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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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denen jedes unabhängige Blatt aus seiner Kisron-v melas neue Beiträge lie¬
fern könnte.

Wer der Presse fernsteht, sucht ihre höchste Noth und ihre ärgste Qual
selten am rechten Punkte. Als die Preßgesetze noch neu waren, da schien
freilich jene polizeiliche Machtvollkommenheit das Entsetzlichste, welche gegen
mißliebige Blätter die Confiscation in ihren verschiedenen Graden und Formen
(Confiscation der ganzen Auflage, der localen Auflage, der Postsendung, der
in öffentlichen Localen aufliegenden Blätter) als Zuchtmittel und Todtma߬
regelung anwendete, wenn auch mit der bestimmten Voraussicht, baß die poli¬
zeiliche Maßregel vom Gericht wieder aufgehoben werde oder daß sie nicht ein¬
mal zu einem gerichtlichen Verfahren führen könne. Z. B. ist in Baiern aus
diese Weise eine Denuncirung der Tagespresse erreicht worden, deren Besprechung
längere Zeit ein stehendes Thema der nichtbaierischen Zeitungen, auch mehrmals
den Stoff zu parlamentarischen Conversationen lieferte. Und ihre statistischen
Resultate sind erschreckend genug. Denn obgleich von 1850 bis 1854 1103
Preßstrafuntersuchungen anhängig gemacht wurden, so konnte doch in keinem
einzigen dieser Fälle eine Anklage auf ein durch Mißbrauch der Presse begange¬
nes Verbrechen gestellt werden, sondern nur gegen Vergehen. Von diesen
1103 durch vorläufige polizeiliche Beschlagnahme veranlaßten, von der Staats-
anwaltschaft verfolgten und eingeleiteten Untersuchungen wurden aber schon von
dem Stadtgerichte nicht weniger als 698 eingestellt. Bleiben 405 Fälle übrig.
An die Appellationsgerichte zu weiterer Verweisung an die Schwurgerichte ge¬
bracht, wurden wieder 145 Preßuntersuchungen eingestellt, die in vier vollen
Jahren nur 69 Preßvergehen den Assisen übergaben. Davon endeten mit
Verurtheilung blos 14 Fälle (ferner 8 in contumaciam, also ohne Geschworne)
mit Freisprechung dagegen 46. Dagegen wurde 197 mal jener Paragraph
des Preßgesetzes in Anwendung gebracht, welcher gestattet, "auch dann, wenn
eine Verurtheilung nicht erfolgt, oder eine Person, gegen welche eine Anklage
gerichtet werden könne, nicht gegeben ist" über eine Schrift Vernichtung oder
Unterdrückung zu verhängen (54 mal durch die Appellativnsgerichte, 133 mal
durch die Stadtgerichte).

Sehr ähnliche Resultate würden sich auch in andern Staaten herausstellen,
wenn die statistischen Nachweise dafür zu erlangen wären. Dennoch ist das
polizeiliche Consiscationöverfahren, weil es doch stets der Berufung auf irgend
einen Gesetzartikel bedarf, noch nicht das Drückendste. Noch weniger die strengste
Anwendung der äußersten Härten der Preßgesetze. Denn diese liegen den
Redactionen vor und können bei den seit 1850 herrschenden Zeitströmungen,
welche ihre Verkörperung im Bundespreßgesetz fanden, niemals in milder Hand¬
habung erwartet werden. Was aber das Drückendste und Entnervendfte >se,
davon erfährt gewöhnlich das Publicum nichts. Es sind die administrativen


denen jedes unabhängige Blatt aus seiner Kisron-v melas neue Beiträge lie¬
fern könnte.

Wer der Presse fernsteht, sucht ihre höchste Noth und ihre ärgste Qual
selten am rechten Punkte. Als die Preßgesetze noch neu waren, da schien
freilich jene polizeiliche Machtvollkommenheit das Entsetzlichste, welche gegen
mißliebige Blätter die Confiscation in ihren verschiedenen Graden und Formen
(Confiscation der ganzen Auflage, der localen Auflage, der Postsendung, der
in öffentlichen Localen aufliegenden Blätter) als Zuchtmittel und Todtma߬
regelung anwendete, wenn auch mit der bestimmten Voraussicht, baß die poli¬
zeiliche Maßregel vom Gericht wieder aufgehoben werde oder daß sie nicht ein¬
mal zu einem gerichtlichen Verfahren führen könne. Z. B. ist in Baiern aus
diese Weise eine Denuncirung der Tagespresse erreicht worden, deren Besprechung
längere Zeit ein stehendes Thema der nichtbaierischen Zeitungen, auch mehrmals
den Stoff zu parlamentarischen Conversationen lieferte. Und ihre statistischen
Resultate sind erschreckend genug. Denn obgleich von 1850 bis 1854 1103
Preßstrafuntersuchungen anhängig gemacht wurden, so konnte doch in keinem
einzigen dieser Fälle eine Anklage auf ein durch Mißbrauch der Presse begange¬
nes Verbrechen gestellt werden, sondern nur gegen Vergehen. Von diesen
1103 durch vorläufige polizeiliche Beschlagnahme veranlaßten, von der Staats-
anwaltschaft verfolgten und eingeleiteten Untersuchungen wurden aber schon von
dem Stadtgerichte nicht weniger als 698 eingestellt. Bleiben 405 Fälle übrig.
An die Appellationsgerichte zu weiterer Verweisung an die Schwurgerichte ge¬
bracht, wurden wieder 145 Preßuntersuchungen eingestellt, die in vier vollen
Jahren nur 69 Preßvergehen den Assisen übergaben. Davon endeten mit
Verurtheilung blos 14 Fälle (ferner 8 in contumaciam, also ohne Geschworne)
mit Freisprechung dagegen 46. Dagegen wurde 197 mal jener Paragraph
des Preßgesetzes in Anwendung gebracht, welcher gestattet, „auch dann, wenn
eine Verurtheilung nicht erfolgt, oder eine Person, gegen welche eine Anklage
gerichtet werden könne, nicht gegeben ist" über eine Schrift Vernichtung oder
Unterdrückung zu verhängen (54 mal durch die Appellativnsgerichte, 133 mal
durch die Stadtgerichte).

Sehr ähnliche Resultate würden sich auch in andern Staaten herausstellen,
wenn die statistischen Nachweise dafür zu erlangen wären. Dennoch ist das
polizeiliche Consiscationöverfahren, weil es doch stets der Berufung auf irgend
einen Gesetzartikel bedarf, noch nicht das Drückendste. Noch weniger die strengste
Anwendung der äußersten Härten der Preßgesetze. Denn diese liegen den
Redactionen vor und können bei den seit 1850 herrschenden Zeitströmungen,
welche ihre Verkörperung im Bundespreßgesetz fanden, niemals in milder Hand¬
habung erwartet werden. Was aber das Drückendste und Entnervendfte >se,
davon erfährt gewöhnlich das Publicum nichts. Es sind die administrativen


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[0312] denen jedes unabhängige Blatt aus seiner Kisron-v melas neue Beiträge lie¬ fern könnte. Wer der Presse fernsteht, sucht ihre höchste Noth und ihre ärgste Qual selten am rechten Punkte. Als die Preßgesetze noch neu waren, da schien freilich jene polizeiliche Machtvollkommenheit das Entsetzlichste, welche gegen mißliebige Blätter die Confiscation in ihren verschiedenen Graden und Formen (Confiscation der ganzen Auflage, der localen Auflage, der Postsendung, der in öffentlichen Localen aufliegenden Blätter) als Zuchtmittel und Todtma߬ regelung anwendete, wenn auch mit der bestimmten Voraussicht, baß die poli¬ zeiliche Maßregel vom Gericht wieder aufgehoben werde oder daß sie nicht ein¬ mal zu einem gerichtlichen Verfahren führen könne. Z. B. ist in Baiern aus diese Weise eine Denuncirung der Tagespresse erreicht worden, deren Besprechung längere Zeit ein stehendes Thema der nichtbaierischen Zeitungen, auch mehrmals den Stoff zu parlamentarischen Conversationen lieferte. Und ihre statistischen Resultate sind erschreckend genug. Denn obgleich von 1850 bis 1854 1103 Preßstrafuntersuchungen anhängig gemacht wurden, so konnte doch in keinem einzigen dieser Fälle eine Anklage auf ein durch Mißbrauch der Presse begange¬ nes Verbrechen gestellt werden, sondern nur gegen Vergehen. Von diesen 1103 durch vorläufige polizeiliche Beschlagnahme veranlaßten, von der Staats- anwaltschaft verfolgten und eingeleiteten Untersuchungen wurden aber schon von dem Stadtgerichte nicht weniger als 698 eingestellt. Bleiben 405 Fälle übrig. An die Appellationsgerichte zu weiterer Verweisung an die Schwurgerichte ge¬ bracht, wurden wieder 145 Preßuntersuchungen eingestellt, die in vier vollen Jahren nur 69 Preßvergehen den Assisen übergaben. Davon endeten mit Verurtheilung blos 14 Fälle (ferner 8 in contumaciam, also ohne Geschworne) mit Freisprechung dagegen 46. Dagegen wurde 197 mal jener Paragraph des Preßgesetzes in Anwendung gebracht, welcher gestattet, „auch dann, wenn eine Verurtheilung nicht erfolgt, oder eine Person, gegen welche eine Anklage gerichtet werden könne, nicht gegeben ist" über eine Schrift Vernichtung oder Unterdrückung zu verhängen (54 mal durch die Appellativnsgerichte, 133 mal durch die Stadtgerichte). Sehr ähnliche Resultate würden sich auch in andern Staaten herausstellen, wenn die statistischen Nachweise dafür zu erlangen wären. Dennoch ist das polizeiliche Consiscationöverfahren, weil es doch stets der Berufung auf irgend einen Gesetzartikel bedarf, noch nicht das Drückendste. Noch weniger die strengste Anwendung der äußersten Härten der Preßgesetze. Denn diese liegen den Redactionen vor und können bei den seit 1850 herrschenden Zeitströmungen, welche ihre Verkörperung im Bundespreßgesetz fanden, niemals in milder Hand¬ habung erwartet werden. Was aber das Drückendste und Entnervendfte >se, davon erfährt gewöhnlich das Publicum nichts. Es sind die administrativen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/312>, abgerufen am 22.06.2024.