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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Maße gewürdigt, wie man es von fast vierjährigen Erörterungen über dies
Thema wohl hätte erwarten können. Im Gegentheil. Der 1832 von preu¬
ßischer Seite dem östreichisch-sächsisch-hessischen gegenübergestellte Entwurf hatte
sich in allen principiellen Härten accommodirt und war in allen detaillirenden
Bestimmungen überstimmt worden. Die zwei Jahre der bundeötäglichen Ver¬
handlung hatten aus beiden Principien heraus blos geschärft, zugespitzt und
darin ihr Kompromiß gefunden. So sah man mit diesen Normen die Strenge
der bestehenden Preßgesetze nur cumulirt, die weiteste Befugniß des administra¬
tiven Ermessens als leitendes Princip hingestellt, die Existenz jedes periodischen
Blattes an strengste Concessionsbedingungen geknüpft, den Einzelstaaten even¬
tuell die Octroyirung der nach diesen Normen zu modificirenden Preß- und
Strafgesetze aufgegeben, in zwei langen Artikeln (16 und 17) aber ein eng¬
maschiges Netz der gefährlichsten Schlingen für jede Meinungsäußerung, ja
selbst für Mittheilungen von Thatsachen geflochten und schließlich trotzdem
noch jeder Negierung überlassen "nach Bedürfniß eingreifendere Bestimmungen
zu treffen".

Im ersten Momente hatte es den Anschein, als würden alle Staaten, in
denen eine Preßgesetzgebung vorhanden, nach dem östreichisch'preußischen
Beispiel, diese für genügend erachten. Auch die inspirirter Organe führten
damals mit Emphase aus, daß, wenn andere Staaten genöthigt werden sollten,
ihre Specialgesetze den Bundesnormen zu accommodiren, während die Gro߬
mächte sich dessen weigerten, damit eine Ungleichheit der Souveränetätsrechte
der einzelnen Bundesglieder hergestellt werde. Man machte geltend, baß die
von den Bundesnormen geforderten Cautionen viele kleinere Länder journa¬
listisch mundtodt machen, ihre Bevölkerung aber den Einflüssen der preußischen
und östreichischen' Preßorganisation vollkommen anheimgeben müßten. Aus¬
schließlich Kurhessen, obgleich noch unter der Herrschaft des Belagerungs¬
zustandes, eilte hastig mit der Octroyirung der Bundcsnormen. Dennoch
folgten nach und nach auch Sachsen, Hannover, Hessendarmstadt, Nassau,
Sachsen-Meiningen, Oldenburg, Neuß und Waldeck auf demselben Wege; im
Jahr 1866 noch Würtemberg und Mecklenburg. Braunschweig, Bremen,
Baden haben die Abänderungen ihrer Preßgesetze mit den legislatorischen
Organen vereinbart. Andere Staaten haben die Bundesnormen blos zur
öffentlichen Kenntniß gebracht, noch andere verhandeln noch über Preßgesetze,
für die sie maßgebend sein sollen, mit ihren Landesvertrctungen. Und be¬
merkenswerth genug sind die Entwürfe je neuer, desto härter, oft selbst noch
über die Bundesnormen hinaus.

Die Weltereignisse seit dem Erlasse des Bundeöbeschlusses bis jetzt waren
zu gewaltig, als daß die Geschicke unserer Tagespresse zum Thema allgemei¬
nerer Erörterung geworden wäre. Außerdem brachte es im Allgemeinen die


Maße gewürdigt, wie man es von fast vierjährigen Erörterungen über dies
Thema wohl hätte erwarten können. Im Gegentheil. Der 1832 von preu¬
ßischer Seite dem östreichisch-sächsisch-hessischen gegenübergestellte Entwurf hatte
sich in allen principiellen Härten accommodirt und war in allen detaillirenden
Bestimmungen überstimmt worden. Die zwei Jahre der bundeötäglichen Ver¬
handlung hatten aus beiden Principien heraus blos geschärft, zugespitzt und
darin ihr Kompromiß gefunden. So sah man mit diesen Normen die Strenge
der bestehenden Preßgesetze nur cumulirt, die weiteste Befugniß des administra¬
tiven Ermessens als leitendes Princip hingestellt, die Existenz jedes periodischen
Blattes an strengste Concessionsbedingungen geknüpft, den Einzelstaaten even¬
tuell die Octroyirung der nach diesen Normen zu modificirenden Preß- und
Strafgesetze aufgegeben, in zwei langen Artikeln (16 und 17) aber ein eng¬
maschiges Netz der gefährlichsten Schlingen für jede Meinungsäußerung, ja
selbst für Mittheilungen von Thatsachen geflochten und schließlich trotzdem
noch jeder Negierung überlassen „nach Bedürfniß eingreifendere Bestimmungen
zu treffen".

Im ersten Momente hatte es den Anschein, als würden alle Staaten, in
denen eine Preßgesetzgebung vorhanden, nach dem östreichisch'preußischen
Beispiel, diese für genügend erachten. Auch die inspirirter Organe führten
damals mit Emphase aus, daß, wenn andere Staaten genöthigt werden sollten,
ihre Specialgesetze den Bundesnormen zu accommodiren, während die Gro߬
mächte sich dessen weigerten, damit eine Ungleichheit der Souveränetätsrechte
der einzelnen Bundesglieder hergestellt werde. Man machte geltend, baß die
von den Bundesnormen geforderten Cautionen viele kleinere Länder journa¬
listisch mundtodt machen, ihre Bevölkerung aber den Einflüssen der preußischen
und östreichischen' Preßorganisation vollkommen anheimgeben müßten. Aus¬
schließlich Kurhessen, obgleich noch unter der Herrschaft des Belagerungs¬
zustandes, eilte hastig mit der Octroyirung der Bundcsnormen. Dennoch
folgten nach und nach auch Sachsen, Hannover, Hessendarmstadt, Nassau,
Sachsen-Meiningen, Oldenburg, Neuß und Waldeck auf demselben Wege; im
Jahr 1866 noch Würtemberg und Mecklenburg. Braunschweig, Bremen,
Baden haben die Abänderungen ihrer Preßgesetze mit den legislatorischen
Organen vereinbart. Andere Staaten haben die Bundesnormen blos zur
öffentlichen Kenntniß gebracht, noch andere verhandeln noch über Preßgesetze,
für die sie maßgebend sein sollen, mit ihren Landesvertrctungen. Und be¬
merkenswerth genug sind die Entwürfe je neuer, desto härter, oft selbst noch
über die Bundesnormen hinaus.

Die Weltereignisse seit dem Erlasse des Bundeöbeschlusses bis jetzt waren
zu gewaltig, als daß die Geschicke unserer Tagespresse zum Thema allgemei¬
nerer Erörterung geworden wäre. Außerdem brachte es im Allgemeinen die


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/310>, abgerufen am 22.06.2024.