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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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lieber Gott, wollest mein Vater sein, du wollest mir die Sünde vergeben, ich
ergebe mich dir ganz und gar, du möchtest jetzt aus mir machen, was dir ge¬
fiele und weil die Priester ohne Geld mir nicht wollten gnädig sein, daß du
mein gnädiger Gott und Bater sein wolltest. --

Da empfand ich, daß mein ganzes Herz verwandelt war und ich hatte
einen Verdruß über alle Dinge in der Welt und deuchte mich, ich wäre dieses
Lebens ganz satt. Eins nur begehrte ich, nämlich Gott zu leben, daß ich ihm
gefallen möchte. Aber wer war damals, der mir gelehret hätte, wie ick mich
dazu anstellen mußte, denn daS Wort, Leben und Licht der Menschen war durch
die ganze Welt begraben in tiefster Finsterniß der menschlichen Satzungen und der
ganz närrischen "guten Werfe". Von Christo war eS ganz stille, man wußte
nichts von ihm, oder wenn seiner gedacht wurde, so ward er uns vorgestellt
als ein grausamer erschrecklicher Richter, welchen kaum seine Mutter und alle
Heiligen im Himmel mit blutigen Thränen versöhnen und gnädig machen
konnten, doch so, daß er, Christus, den Menschen, der Buße thäte, für eine
jede Todsünde sieben Jahre in die Pein des Fegefeuers hineinstieße. Es wäre >
die Pein des Fegefeuers von der höllischen Pein durch nichts unterschieden,
als daß sie nicht sollte ewig währen. Mir aber brachte jetzt der heilige Geist
die Hoffnung, daß mir Gott würde gnädig sein.

Und jetzt fing ich an und berathschlagte etliche Tage bei mir, wie ich einen
andern Stand meines Lebens anfangen möchte. Denn ich sah die Sünde der
Welt und deS ganzen menschlichen Geschlechts, ich sah meine vielfältige Sünde,
die da sehr groß war. Ich hatte auch etwas gehört von der heimlichen großen
Heiligkeit und von dem reinen unschuldigen Leben der Mönche, wie sie Gott
Tag und Nacht dienten, wären abgesondert von allem bösen Leben der Welt
und lebten gar nüchtern, fromm und keusch, hielten Messen, sängen Psalmen,
fasteten und beteten immer zu. Ich hatte auch dies scheinbare Leben gesehen,
ich wußte aber und verstand nicht, daß es die höchste Abgötterei und Heuchelei
war. --

Darauf zeigte ich meinen Nath dem Präceptor an, dem Magister Andreas
Staffelstein, als dem obersten Regenten der Schule, der rieth mir alsbald, ich sollte
mich in das Franciscanerkloster begeben, dessen Neubau zu der Zeit angefangen
war. Und damit ich nicht durch langen Verzug anders gesinnt würde, ging
er alsbald selbst mit mir hin zu den Mönchen, lobte mein Ingenium und Kopf,
rühmte, daß er mich allein gehabt unter seinen Schülern, von dem er guter
Zuversicht sei, ich würde ein recht gottseliger Mensch werden.

Ich wollte aber mein Vornehmen auch meinen Eltern zuvor anzeigen und
ihre Bedenken darüber hören, dieweil ich ein einziger Sohn war und Erbe
meiner Eltern. Sie aber lehrten mich aus dem Hieronymo: ich solle Vater
und Mutter liegen lassen und nicht achten und zu dem Kreuze Christi laufen.


lieber Gott, wollest mein Vater sein, du wollest mir die Sünde vergeben, ich
ergebe mich dir ganz und gar, du möchtest jetzt aus mir machen, was dir ge¬
fiele und weil die Priester ohne Geld mir nicht wollten gnädig sein, daß du
mein gnädiger Gott und Bater sein wolltest. —

Da empfand ich, daß mein ganzes Herz verwandelt war und ich hatte
einen Verdruß über alle Dinge in der Welt und deuchte mich, ich wäre dieses
Lebens ganz satt. Eins nur begehrte ich, nämlich Gott zu leben, daß ich ihm
gefallen möchte. Aber wer war damals, der mir gelehret hätte, wie ick mich
dazu anstellen mußte, denn daS Wort, Leben und Licht der Menschen war durch
die ganze Welt begraben in tiefster Finsterniß der menschlichen Satzungen und der
ganz närrischen „guten Werfe". Von Christo war eS ganz stille, man wußte
nichts von ihm, oder wenn seiner gedacht wurde, so ward er uns vorgestellt
als ein grausamer erschrecklicher Richter, welchen kaum seine Mutter und alle
Heiligen im Himmel mit blutigen Thränen versöhnen und gnädig machen
konnten, doch so, daß er, Christus, den Menschen, der Buße thäte, für eine
jede Todsünde sieben Jahre in die Pein des Fegefeuers hineinstieße. Es wäre >
die Pein des Fegefeuers von der höllischen Pein durch nichts unterschieden,
als daß sie nicht sollte ewig währen. Mir aber brachte jetzt der heilige Geist
die Hoffnung, daß mir Gott würde gnädig sein.

Und jetzt fing ich an und berathschlagte etliche Tage bei mir, wie ich einen
andern Stand meines Lebens anfangen möchte. Denn ich sah die Sünde der
Welt und deS ganzen menschlichen Geschlechts, ich sah meine vielfältige Sünde,
die da sehr groß war. Ich hatte auch etwas gehört von der heimlichen großen
Heiligkeit und von dem reinen unschuldigen Leben der Mönche, wie sie Gott
Tag und Nacht dienten, wären abgesondert von allem bösen Leben der Welt
und lebten gar nüchtern, fromm und keusch, hielten Messen, sängen Psalmen,
fasteten und beteten immer zu. Ich hatte auch dies scheinbare Leben gesehen,
ich wußte aber und verstand nicht, daß es die höchste Abgötterei und Heuchelei
war. —

Darauf zeigte ich meinen Nath dem Präceptor an, dem Magister Andreas
Staffelstein, als dem obersten Regenten der Schule, der rieth mir alsbald, ich sollte
mich in das Franciscanerkloster begeben, dessen Neubau zu der Zeit angefangen
war. Und damit ich nicht durch langen Verzug anders gesinnt würde, ging
er alsbald selbst mit mir hin zu den Mönchen, lobte mein Ingenium und Kopf,
rühmte, daß er mich allein gehabt unter seinen Schülern, von dem er guter
Zuversicht sei, ich würde ein recht gottseliger Mensch werden.

Ich wollte aber mein Vornehmen auch meinen Eltern zuvor anzeigen und
ihre Bedenken darüber hören, dieweil ich ein einziger Sohn war und Erbe
meiner Eltern. Sie aber lehrten mich aus dem Hieronymo: ich solle Vater
und Mutter liegen lassen und nicht achten und zu dem Kreuze Christi laufen.


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[0308] lieber Gott, wollest mein Vater sein, du wollest mir die Sünde vergeben, ich ergebe mich dir ganz und gar, du möchtest jetzt aus mir machen, was dir ge¬ fiele und weil die Priester ohne Geld mir nicht wollten gnädig sein, daß du mein gnädiger Gott und Bater sein wolltest. — Da empfand ich, daß mein ganzes Herz verwandelt war und ich hatte einen Verdruß über alle Dinge in der Welt und deuchte mich, ich wäre dieses Lebens ganz satt. Eins nur begehrte ich, nämlich Gott zu leben, daß ich ihm gefallen möchte. Aber wer war damals, der mir gelehret hätte, wie ick mich dazu anstellen mußte, denn daS Wort, Leben und Licht der Menschen war durch die ganze Welt begraben in tiefster Finsterniß der menschlichen Satzungen und der ganz närrischen „guten Werfe". Von Christo war eS ganz stille, man wußte nichts von ihm, oder wenn seiner gedacht wurde, so ward er uns vorgestellt als ein grausamer erschrecklicher Richter, welchen kaum seine Mutter und alle Heiligen im Himmel mit blutigen Thränen versöhnen und gnädig machen konnten, doch so, daß er, Christus, den Menschen, der Buße thäte, für eine jede Todsünde sieben Jahre in die Pein des Fegefeuers hineinstieße. Es wäre > die Pein des Fegefeuers von der höllischen Pein durch nichts unterschieden, als daß sie nicht sollte ewig währen. Mir aber brachte jetzt der heilige Geist die Hoffnung, daß mir Gott würde gnädig sein. Und jetzt fing ich an und berathschlagte etliche Tage bei mir, wie ich einen andern Stand meines Lebens anfangen möchte. Denn ich sah die Sünde der Welt und deS ganzen menschlichen Geschlechts, ich sah meine vielfältige Sünde, die da sehr groß war. Ich hatte auch etwas gehört von der heimlichen großen Heiligkeit und von dem reinen unschuldigen Leben der Mönche, wie sie Gott Tag und Nacht dienten, wären abgesondert von allem bösen Leben der Welt und lebten gar nüchtern, fromm und keusch, hielten Messen, sängen Psalmen, fasteten und beteten immer zu. Ich hatte auch dies scheinbare Leben gesehen, ich wußte aber und verstand nicht, daß es die höchste Abgötterei und Heuchelei war. — Darauf zeigte ich meinen Nath dem Präceptor an, dem Magister Andreas Staffelstein, als dem obersten Regenten der Schule, der rieth mir alsbald, ich sollte mich in das Franciscanerkloster begeben, dessen Neubau zu der Zeit angefangen war. Und damit ich nicht durch langen Verzug anders gesinnt würde, ging er alsbald selbst mit mir hin zu den Mönchen, lobte mein Ingenium und Kopf, rühmte, daß er mich allein gehabt unter seinen Schülern, von dem er guter Zuversicht sei, ich würde ein recht gottseliger Mensch werden. Ich wollte aber mein Vornehmen auch meinen Eltern zuvor anzeigen und ihre Bedenken darüber hören, dieweil ich ein einziger Sohn war und Erbe meiner Eltern. Sie aber lehrten mich aus dem Hieronymo: ich solle Vater und Mutter liegen lassen und nicht achten und zu dem Kreuze Christi laufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/308>, abgerufen am 22.06.2024.