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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Redweise. Das Leben des Friedrich Myconius von K. F. Letters ose (Hamburg
und'Gotha 1834) ist so brauchbar, als man von einem Buch verlangen kann,
welches hauptsachlich zur Erbauung und ohne Benutzung der handschriftlichen
Quellen geschrieben ist.

1310.

"Johannes Tetzel von Pirna in Meißen, ein Dominicanermönch, war
ein gewaltiger Ausschreier der Jndulgenzien oder des Ablasses deS römischen
Papstes. Er verharrte mit diesem seinem Vorhaben zwei Jahre in der dazumal
neuen Stadt Annaberg und bethörte das Volk so sehr, daß sie alle glaubten,
es wäre kein andrer Weg, Vergebung her Sünde und das ewige Leben zu er¬
langen, als die Genugthuung durch unsre Werke, von welcher Genugthuung
er doch sagte, daß sie unmöglich wäre. Doch wäre noch ein einziger Weg
übrig, nämlich wenn wir dieselbigen uns <Md von dem römischen Papst er¬
kauften, uns also kauften des Papsts Indulgenz, welche er nannte Vergebung
der Sünden und einen gewissen Eingang ins ewige Leben. Hier könnte ich
Wunder über Wunder und unglaubliche-Dinge sagen, was für Predigten ich
die zwei Jahre auf dem Annaberg von dem Tetzel gehört habe; denn ich hörte
ihn ganz fleißig predigen, und er predigte alle Tage, ich konnte auch andern
seine Predigten nachsagen, mit allen Geberden und Ausreden, nicht, daß ich
seiner Spott hatte, sondern es war mein großer Ernst. Denn ich hielt alles
für oriiLuIg, und göttliches Wort, dem man glauben müsse, und was vom Papst
kam, das hielt ich, als käme es von Christo selbst.

Zuletzt, um Pfingsten im Jahre Christi -IL10, traute er, er wolle das,
rothe Kreuz niederlegen, und die Thür des Himmels zuschließen, und die
Sonne auslöschen, und es würde nimmermehr wieder dazu kommen, daß man
um so ein gering Geld Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen
könnte. Ja es wäre nicht zu hoffen, daß, so lange die Welt stehen würde,
solche Mildigkeit des Papstes wieder hierher käme. Er vermahnte auch, daß
jedermann wohl wahrnehmen sollte seiner eignen Seele Seligkeit und die seiner
verstorbenen und lebendigen Freunde. Denn jetzt sei vorhanden der Tag des
Heils und die angenehme Zeit. Und er sprach: es versäume ja niemand
seine eigne Seligkeit, denn wenn du nicht hast des Papsts Briefe, so kannst
du von vielen Sünden und easibus rsservaüs durch keinen Menschen absolvirt
und losgesprochen werden. Es wurden öffentlich an die Kirchthüren und
Mauern der Kirche gedruckte Briefe angeschlagen, darinnen geboten war, daß
man, um dem deutschen Volk für seine Andacht ein Zeichen von Dank zu geben,
hinfür zum Schluß die Ablaßbriefe und die vollkommene Gewalt nicht so theuer
wie im Anfang verkaufen sollte, und am Ende des Briefs zu unterst war da¬
zu geschrieben: eauperibus "Zvntrn- gratis, den Armen, Unvermögenden
man die Ablaßbriefe umsonst geben, ohne Gelb um Gottes willen.


Redweise. Das Leben des Friedrich Myconius von K. F. Letters ose (Hamburg
und'Gotha 1834) ist so brauchbar, als man von einem Buch verlangen kann,
welches hauptsachlich zur Erbauung und ohne Benutzung der handschriftlichen
Quellen geschrieben ist.

1310.

„Johannes Tetzel von Pirna in Meißen, ein Dominicanermönch, war
ein gewaltiger Ausschreier der Jndulgenzien oder des Ablasses deS römischen
Papstes. Er verharrte mit diesem seinem Vorhaben zwei Jahre in der dazumal
neuen Stadt Annaberg und bethörte das Volk so sehr, daß sie alle glaubten,
es wäre kein andrer Weg, Vergebung her Sünde und das ewige Leben zu er¬
langen, als die Genugthuung durch unsre Werke, von welcher Genugthuung
er doch sagte, daß sie unmöglich wäre. Doch wäre noch ein einziger Weg
übrig, nämlich wenn wir dieselbigen uns <Md von dem römischen Papst er¬
kauften, uns also kauften des Papsts Indulgenz, welche er nannte Vergebung
der Sünden und einen gewissen Eingang ins ewige Leben. Hier könnte ich
Wunder über Wunder und unglaubliche-Dinge sagen, was für Predigten ich
die zwei Jahre auf dem Annaberg von dem Tetzel gehört habe; denn ich hörte
ihn ganz fleißig predigen, und er predigte alle Tage, ich konnte auch andern
seine Predigten nachsagen, mit allen Geberden und Ausreden, nicht, daß ich
seiner Spott hatte, sondern es war mein großer Ernst. Denn ich hielt alles
für oriiLuIg, und göttliches Wort, dem man glauben müsse, und was vom Papst
kam, das hielt ich, als käme es von Christo selbst.

Zuletzt, um Pfingsten im Jahre Christi -IL10, traute er, er wolle das,
rothe Kreuz niederlegen, und die Thür des Himmels zuschließen, und die
Sonne auslöschen, und es würde nimmermehr wieder dazu kommen, daß man
um so ein gering Geld Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen
könnte. Ja es wäre nicht zu hoffen, daß, so lange die Welt stehen würde,
solche Mildigkeit des Papstes wieder hierher käme. Er vermahnte auch, daß
jedermann wohl wahrnehmen sollte seiner eignen Seele Seligkeit und die seiner
verstorbenen und lebendigen Freunde. Denn jetzt sei vorhanden der Tag des
Heils und die angenehme Zeit. Und er sprach: es versäume ja niemand
seine eigne Seligkeit, denn wenn du nicht hast des Papsts Briefe, so kannst
du von vielen Sünden und easibus rsservaüs durch keinen Menschen absolvirt
und losgesprochen werden. Es wurden öffentlich an die Kirchthüren und
Mauern der Kirche gedruckte Briefe angeschlagen, darinnen geboten war, daß
man, um dem deutschen Volk für seine Andacht ein Zeichen von Dank zu geben,
hinfür zum Schluß die Ablaßbriefe und die vollkommene Gewalt nicht so theuer
wie im Anfang verkaufen sollte, und am Ende des Briefs zu unterst war da¬
zu geschrieben: eauperibus «Zvntrn- gratis, den Armen, Unvermögenden
man die Ablaßbriefe umsonst geben, ohne Gelb um Gottes willen.


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[0304] Redweise. Das Leben des Friedrich Myconius von K. F. Letters ose (Hamburg und'Gotha 1834) ist so brauchbar, als man von einem Buch verlangen kann, welches hauptsachlich zur Erbauung und ohne Benutzung der handschriftlichen Quellen geschrieben ist. 1310. „Johannes Tetzel von Pirna in Meißen, ein Dominicanermönch, war ein gewaltiger Ausschreier der Jndulgenzien oder des Ablasses deS römischen Papstes. Er verharrte mit diesem seinem Vorhaben zwei Jahre in der dazumal neuen Stadt Annaberg und bethörte das Volk so sehr, daß sie alle glaubten, es wäre kein andrer Weg, Vergebung her Sünde und das ewige Leben zu er¬ langen, als die Genugthuung durch unsre Werke, von welcher Genugthuung er doch sagte, daß sie unmöglich wäre. Doch wäre noch ein einziger Weg übrig, nämlich wenn wir dieselbigen uns <Md von dem römischen Papst er¬ kauften, uns also kauften des Papsts Indulgenz, welche er nannte Vergebung der Sünden und einen gewissen Eingang ins ewige Leben. Hier könnte ich Wunder über Wunder und unglaubliche-Dinge sagen, was für Predigten ich die zwei Jahre auf dem Annaberg von dem Tetzel gehört habe; denn ich hörte ihn ganz fleißig predigen, und er predigte alle Tage, ich konnte auch andern seine Predigten nachsagen, mit allen Geberden und Ausreden, nicht, daß ich seiner Spott hatte, sondern es war mein großer Ernst. Denn ich hielt alles für oriiLuIg, und göttliches Wort, dem man glauben müsse, und was vom Papst kam, das hielt ich, als käme es von Christo selbst. Zuletzt, um Pfingsten im Jahre Christi -IL10, traute er, er wolle das, rothe Kreuz niederlegen, und die Thür des Himmels zuschließen, und die Sonne auslöschen, und es würde nimmermehr wieder dazu kommen, daß man um so ein gering Geld Vergebung der Sünden und ewiges Leben erlangen könnte. Ja es wäre nicht zu hoffen, daß, so lange die Welt stehen würde, solche Mildigkeit des Papstes wieder hierher käme. Er vermahnte auch, daß jedermann wohl wahrnehmen sollte seiner eignen Seele Seligkeit und die seiner verstorbenen und lebendigen Freunde. Denn jetzt sei vorhanden der Tag des Heils und die angenehme Zeit. Und er sprach: es versäume ja niemand seine eigne Seligkeit, denn wenn du nicht hast des Papsts Briefe, so kannst du von vielen Sünden und easibus rsservaüs durch keinen Menschen absolvirt und losgesprochen werden. Es wurden öffentlich an die Kirchthüren und Mauern der Kirche gedruckte Briefe angeschlagen, darinnen geboten war, daß man, um dem deutschen Volk für seine Andacht ein Zeichen von Dank zu geben, hinfür zum Schluß die Ablaßbriefe und die vollkommene Gewalt nicht so theuer wie im Anfang verkaufen sollte, und am Ende des Briefs zu unterst war da¬ zu geschrieben: eauperibus «Zvntrn- gratis, den Armen, Unvermögenden man die Ablaßbriefe umsonst geben, ohne Gelb um Gottes willen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/304>, abgerufen am 22.06.2024.