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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Person des Erzählers für uns interessant. Wie unähnlich der sanfte, fein
organisirte Mann auch seinem trotzigen Freunde sein mag, in dem Jugendleben
beider ist eine auffallende Ähnlichkeit. Und manches, waS aus Luthers
Jugend uns unbekannt geblieben ist, findet seine Erklärung in dein, was
MyconiuS über seine eigne Jünglingszeit erzählt. Beide waren arme Schüler
einer lateinischen Schule, beide wurden durch den allgemeinen Drang nach
Wissen in die damalige Gelehrtenlaufbahn hereingetrieben, beide wurden durch
innere Kämpfe und jugendliche Schwärmerei in das Kloster getrieben, beide
wurden Pediger des Franciscanerordens, beide fanden im Kloster nicht den Frie¬
den, welchen sie leidenschaftlich suchten, sondern neue Zweifel, größere Kämpfe,
Jahre der Qual, banger Unsicherheit. Auch manche Zufälligkeiten im Leben
beider stimmen zusammen. Für beide wurde der unverschämte Tetzel der Stein
des Anstoßes und Aergernisses, der ihr Gemües empörte und die ganze Rich¬
tung und Thätigkeit ihres spätern Lebens bestimmte; und beide starben in
demselben Jahre, Myconius sieben Wochen nach Luther, nachdem er sechs Jahr
vorher aus einer tödtlichen Krankheit durch einen Beschwörungsbrief Luthers
Zu neuem Leben erweckt war.*)

Friedrich Myconius hat außer Theologischem (er hat wenig drucken lassen)
auch in. deutscher Sprache eine Chronik seiner Zeit geschrieben, in welcher seine
eigne Thätigkeit und die Zustände Gothas am ausführlichsten und interessan¬
testen behandelt sind; außerdem hat er Einzelnes aus seinem Leben besonders
erzählt, theils lateinisch, theils deutsch, wie es ihm unter die Feder kam. Am
-bekanntesten und öfter gedruckt ist der Traum, welchen er in der ersten Nacht
nach seinem Eintritt ins Kloster hatte. Der Apostel Paulus, welcher darin
als sein Führer auftrat, hatte, wie Myconius nach Jahren zu erkennen glaubte,
Person, Gesicht und Stimme Luthers. Dieser lauge Traum ist in lateinischer
Sprache niedergeschrieben, so auch die Einleitung dazu, welche für uns lehr¬
reicher ist, weil sie seine Stimmungen vor dem Eintritt ins Kloster mit schöner
Einfachheit schildert. Von dieser Einleitung aber findet sich in einem Manu-
seript der G. Bibliothek zu Gotha lM-ire. IZ. ne>. 1S3), unter andern, zum
Theil ungedruckten Schriften des Myconius und seiner Zeitgenossen auch eine
durch Myconius selbst verfertigte deutsche Uebersetzung. Nach dieser ist das Folgende
^ne sehr getreue, nur an wenigen Stellen verkürzte Uebertragung in unsre



*) Luther schreibt im Jahr ->nit: "Also begehre und bitte ich, daß mich der liebe Gott
a" Eurer Statt wollte lassen trank werden und mich heißen ablegen diese meine Hülle --
deshalb bitte und ermahne ich Euch mit Ernst, daß Ihr sammt uns den lieben Gott wollt
^Ulm, daß er Euch länger am Leben erhalte, zu Dienst und Besserung seiner Kirche und dem
Teufel zu Spott und Verdruß -- der Herr lasse mich- ja nicht hören, so lange ich
l°be, daß Ihr gestorben seid, sondern schaffö, daß Ihr mich überlebt. Das
bitte ich mit Ernst, wills anch gewähret sein und so haben, und mein Wille
soll.hteriunen geschehen. Amen."

Person des Erzählers für uns interessant. Wie unähnlich der sanfte, fein
organisirte Mann auch seinem trotzigen Freunde sein mag, in dem Jugendleben
beider ist eine auffallende Ähnlichkeit. Und manches, waS aus Luthers
Jugend uns unbekannt geblieben ist, findet seine Erklärung in dein, was
MyconiuS über seine eigne Jünglingszeit erzählt. Beide waren arme Schüler
einer lateinischen Schule, beide wurden durch den allgemeinen Drang nach
Wissen in die damalige Gelehrtenlaufbahn hereingetrieben, beide wurden durch
innere Kämpfe und jugendliche Schwärmerei in das Kloster getrieben, beide
wurden Pediger des Franciscanerordens, beide fanden im Kloster nicht den Frie¬
den, welchen sie leidenschaftlich suchten, sondern neue Zweifel, größere Kämpfe,
Jahre der Qual, banger Unsicherheit. Auch manche Zufälligkeiten im Leben
beider stimmen zusammen. Für beide wurde der unverschämte Tetzel der Stein
des Anstoßes und Aergernisses, der ihr Gemües empörte und die ganze Rich¬
tung und Thätigkeit ihres spätern Lebens bestimmte; und beide starben in
demselben Jahre, Myconius sieben Wochen nach Luther, nachdem er sechs Jahr
vorher aus einer tödtlichen Krankheit durch einen Beschwörungsbrief Luthers
Zu neuem Leben erweckt war.*)

Friedrich Myconius hat außer Theologischem (er hat wenig drucken lassen)
auch in. deutscher Sprache eine Chronik seiner Zeit geschrieben, in welcher seine
eigne Thätigkeit und die Zustände Gothas am ausführlichsten und interessan¬
testen behandelt sind; außerdem hat er Einzelnes aus seinem Leben besonders
erzählt, theils lateinisch, theils deutsch, wie es ihm unter die Feder kam. Am
-bekanntesten und öfter gedruckt ist der Traum, welchen er in der ersten Nacht
nach seinem Eintritt ins Kloster hatte. Der Apostel Paulus, welcher darin
als sein Führer auftrat, hatte, wie Myconius nach Jahren zu erkennen glaubte,
Person, Gesicht und Stimme Luthers. Dieser lauge Traum ist in lateinischer
Sprache niedergeschrieben, so auch die Einleitung dazu, welche für uns lehr¬
reicher ist, weil sie seine Stimmungen vor dem Eintritt ins Kloster mit schöner
Einfachheit schildert. Von dieser Einleitung aber findet sich in einem Manu-
seript der G. Bibliothek zu Gotha lM-ire. IZ. ne>. 1S3), unter andern, zum
Theil ungedruckten Schriften des Myconius und seiner Zeitgenossen auch eine
durch Myconius selbst verfertigte deutsche Uebersetzung. Nach dieser ist das Folgende
^ne sehr getreue, nur an wenigen Stellen verkürzte Uebertragung in unsre



*) Luther schreibt im Jahr ->nit: „Also begehre und bitte ich, daß mich der liebe Gott
a» Eurer Statt wollte lassen trank werden und mich heißen ablegen diese meine Hülle —
deshalb bitte und ermahne ich Euch mit Ernst, daß Ihr sammt uns den lieben Gott wollt
^Ulm, daß er Euch länger am Leben erhalte, zu Dienst und Besserung seiner Kirche und dem
Teufel zu Spott und Verdruß — der Herr lasse mich- ja nicht hören, so lange ich
l°be, daß Ihr gestorben seid, sondern schaffö, daß Ihr mich überlebt. Das
bitte ich mit Ernst, wills anch gewähret sein und so haben, und mein Wille
soll.hteriunen geschehen. Amen."
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[0303] Person des Erzählers für uns interessant. Wie unähnlich der sanfte, fein organisirte Mann auch seinem trotzigen Freunde sein mag, in dem Jugendleben beider ist eine auffallende Ähnlichkeit. Und manches, waS aus Luthers Jugend uns unbekannt geblieben ist, findet seine Erklärung in dein, was MyconiuS über seine eigne Jünglingszeit erzählt. Beide waren arme Schüler einer lateinischen Schule, beide wurden durch den allgemeinen Drang nach Wissen in die damalige Gelehrtenlaufbahn hereingetrieben, beide wurden durch innere Kämpfe und jugendliche Schwärmerei in das Kloster getrieben, beide wurden Pediger des Franciscanerordens, beide fanden im Kloster nicht den Frie¬ den, welchen sie leidenschaftlich suchten, sondern neue Zweifel, größere Kämpfe, Jahre der Qual, banger Unsicherheit. Auch manche Zufälligkeiten im Leben beider stimmen zusammen. Für beide wurde der unverschämte Tetzel der Stein des Anstoßes und Aergernisses, der ihr Gemües empörte und die ganze Rich¬ tung und Thätigkeit ihres spätern Lebens bestimmte; und beide starben in demselben Jahre, Myconius sieben Wochen nach Luther, nachdem er sechs Jahr vorher aus einer tödtlichen Krankheit durch einen Beschwörungsbrief Luthers Zu neuem Leben erweckt war.*) Friedrich Myconius hat außer Theologischem (er hat wenig drucken lassen) auch in. deutscher Sprache eine Chronik seiner Zeit geschrieben, in welcher seine eigne Thätigkeit und die Zustände Gothas am ausführlichsten und interessan¬ testen behandelt sind; außerdem hat er Einzelnes aus seinem Leben besonders erzählt, theils lateinisch, theils deutsch, wie es ihm unter die Feder kam. Am -bekanntesten und öfter gedruckt ist der Traum, welchen er in der ersten Nacht nach seinem Eintritt ins Kloster hatte. Der Apostel Paulus, welcher darin als sein Führer auftrat, hatte, wie Myconius nach Jahren zu erkennen glaubte, Person, Gesicht und Stimme Luthers. Dieser lauge Traum ist in lateinischer Sprache niedergeschrieben, so auch die Einleitung dazu, welche für uns lehr¬ reicher ist, weil sie seine Stimmungen vor dem Eintritt ins Kloster mit schöner Einfachheit schildert. Von dieser Einleitung aber findet sich in einem Manu- seript der G. Bibliothek zu Gotha lM-ire. IZ. ne>. 1S3), unter andern, zum Theil ungedruckten Schriften des Myconius und seiner Zeitgenossen auch eine durch Myconius selbst verfertigte deutsche Uebersetzung. Nach dieser ist das Folgende ^ne sehr getreue, nur an wenigen Stellen verkürzte Uebertragung in unsre *) Luther schreibt im Jahr ->nit: „Also begehre und bitte ich, daß mich der liebe Gott a» Eurer Statt wollte lassen trank werden und mich heißen ablegen diese meine Hülle — deshalb bitte und ermahne ich Euch mit Ernst, daß Ihr sammt uns den lieben Gott wollt ^Ulm, daß er Euch länger am Leben erhalte, zu Dienst und Besserung seiner Kirche und dem Teufel zu Spott und Verdruß — der Herr lasse mich- ja nicht hören, so lange ich l°be, daß Ihr gestorben seid, sondern schaffö, daß Ihr mich überlebt. Das bitte ich mit Ernst, wills anch gewähret sein und so haben, und mein Wille soll.hteriunen geschehen. Amen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/303>, abgerufen am 22.06.2024.