Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz andere historische Voraussetzung hat, wie die übrigen Länder, daß hier
der Umweg der sicherste Weg ist, der zur Freiheit führt. Wir wollen ein offnes
Geständniß ablegen. Wir hatten die Majorität in der Paulskirche, aber wir
verdankten sie nicht der Einheitsidee, sondern theils dem guten liberalen Ruf der
einzelnen Führer, theils dem lebhaften Wunsch der Mittelclasse, den Wühlereien
ein Ende zu machen. Hätte die Paulskirche dem Publicum die deutsche Ein¬
heit gebracht, so wäre dasselbe trotz mancher Einwendungen zuletzt damit zu¬
frieden gewesen; aber das Ansinnen, für die Herstellung derselben etwas zu
thun, hätte kein Gehör gesunden.

Worauf beruht nun, da es mit der nationalen Unterstützung von aus¬
wärts nicht viel sagen will, die eigentliche Stärke Preußens, dasjenige, was
die kleindeutschen Patrioten veranlaßt, ihre Hoffnungen auf Preußen zu setzen?
-- Auch hier müssen wir uns gegen den verehrten Mann, dem wir gern in
allen Punkten folgen möchten, einige Einwendungen erlauben.

Daß die wünschenswerthen Veränderungen in der Bundesverfassung mit all¬
seitiger Einwilligung sämmtlicher Berechtigten zu Stande kommen könnten, daran
ist, wie Gagern sehr richtig bemerkt, nicht zu denken. So sehr man sich auch be¬
mühen mag, das, was kommen soll, durch friedliche, legale Entwicklungen vor¬
zubereiten, zuletzt gelangt man doch an einen Punkt, wo es heißt: Kraft gegen
Kraft. ES wäre ein schreckliches Schicksal für Deutschland, wenn daS einmal
in der Form eines Bürgerkriegs stattfinden sollte, wie es im Jahr -1850 den
Anschein hatte, namentlich wenn die Kräfte auf beiden Seiten ungefähr gleich
gemessen sein sollten. Wir haben an dem dreißigjährigen und dem siebenjähri¬
gen Kriege genug gehabt. Der günstigste Fall träte dann ein, wenn auf der
einen Seite das Uebergewicht so groß ist, daß seine bloße Entfaltung genügt,
die Sache in Ordnung zu bringen, wie es bei der Reform der eidgenössischen
Verfassung 18i7 der Fall war. Wenn man nun die Hilfe, die Preußen aus
der öffentlichen Meinung Deutschlands schöpfen könnte, ungebührlich überschätzt,
so geschieht das häusig auch mit der preußischen Hausmacht. Der Waffenstill¬
stand von Malmö, der Frieden mit Dänemark und die olmützer Punctationen
werden immer dunkle Tage in der deutschen Geschichte bleiben. aber die Re¬
gierung kann vieles zu ihrer Entschuldigung anführen. Man hängt sich zu
sehr an die Reminiscenzen des siebenjähriges Kriegs und vergißt dabei einmal,
daß die Kriegführung eine andre geworden ist, zweitens, daß in jedem Jahre
jenes Kriegs es in der Hand der Feinde Preußens lag, diesen Staat zu ver¬
nichten, wenn sie nicht ^radezu von Gott geblendet gewesen wären. Preußen
steht noch heute, so wie 17S6. Jeder ernsthafte Krieg muß auf die Gefahr
des Untergangs unternommen werden und Preußen hat heute viel mehr zu
verlieren als damals. Im Jahr 1850 war die Uebermacht so entschieden auf
Seite der Verbündeten, daß der preußische Patriot nur mit Zagen dem Aus-


ganz andere historische Voraussetzung hat, wie die übrigen Länder, daß hier
der Umweg der sicherste Weg ist, der zur Freiheit führt. Wir wollen ein offnes
Geständniß ablegen. Wir hatten die Majorität in der Paulskirche, aber wir
verdankten sie nicht der Einheitsidee, sondern theils dem guten liberalen Ruf der
einzelnen Führer, theils dem lebhaften Wunsch der Mittelclasse, den Wühlereien
ein Ende zu machen. Hätte die Paulskirche dem Publicum die deutsche Ein¬
heit gebracht, so wäre dasselbe trotz mancher Einwendungen zuletzt damit zu¬
frieden gewesen; aber das Ansinnen, für die Herstellung derselben etwas zu
thun, hätte kein Gehör gesunden.

Worauf beruht nun, da es mit der nationalen Unterstützung von aus¬
wärts nicht viel sagen will, die eigentliche Stärke Preußens, dasjenige, was
die kleindeutschen Patrioten veranlaßt, ihre Hoffnungen auf Preußen zu setzen?
— Auch hier müssen wir uns gegen den verehrten Mann, dem wir gern in
allen Punkten folgen möchten, einige Einwendungen erlauben.

Daß die wünschenswerthen Veränderungen in der Bundesverfassung mit all¬
seitiger Einwilligung sämmtlicher Berechtigten zu Stande kommen könnten, daran
ist, wie Gagern sehr richtig bemerkt, nicht zu denken. So sehr man sich auch be¬
mühen mag, das, was kommen soll, durch friedliche, legale Entwicklungen vor¬
zubereiten, zuletzt gelangt man doch an einen Punkt, wo es heißt: Kraft gegen
Kraft. ES wäre ein schreckliches Schicksal für Deutschland, wenn daS einmal
in der Form eines Bürgerkriegs stattfinden sollte, wie es im Jahr -1850 den
Anschein hatte, namentlich wenn die Kräfte auf beiden Seiten ungefähr gleich
gemessen sein sollten. Wir haben an dem dreißigjährigen und dem siebenjähri¬
gen Kriege genug gehabt. Der günstigste Fall träte dann ein, wenn auf der
einen Seite das Uebergewicht so groß ist, daß seine bloße Entfaltung genügt,
die Sache in Ordnung zu bringen, wie es bei der Reform der eidgenössischen
Verfassung 18i7 der Fall war. Wenn man nun die Hilfe, die Preußen aus
der öffentlichen Meinung Deutschlands schöpfen könnte, ungebührlich überschätzt,
so geschieht das häusig auch mit der preußischen Hausmacht. Der Waffenstill¬
stand von Malmö, der Frieden mit Dänemark und die olmützer Punctationen
werden immer dunkle Tage in der deutschen Geschichte bleiben. aber die Re¬
gierung kann vieles zu ihrer Entschuldigung anführen. Man hängt sich zu
sehr an die Reminiscenzen des siebenjähriges Kriegs und vergißt dabei einmal,
daß die Kriegführung eine andre geworden ist, zweitens, daß in jedem Jahre
jenes Kriegs es in der Hand der Feinde Preußens lag, diesen Staat zu ver¬
nichten, wenn sie nicht ^radezu von Gott geblendet gewesen wären. Preußen
steht noch heute, so wie 17S6. Jeder ernsthafte Krieg muß auf die Gefahr
des Untergangs unternommen werden und Preußen hat heute viel mehr zu
verlieren als damals. Im Jahr 1850 war die Uebermacht so entschieden auf
Seite der Verbündeten, daß der preußische Patriot nur mit Zagen dem Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101825"/>
          <p xml:id="ID_762" prev="#ID_761"> ganz andere historische Voraussetzung hat, wie die übrigen Länder, daß hier<lb/>
der Umweg der sicherste Weg ist, der zur Freiheit führt. Wir wollen ein offnes<lb/>
Geständniß ablegen. Wir hatten die Majorität in der Paulskirche, aber wir<lb/>
verdankten sie nicht der Einheitsidee, sondern theils dem guten liberalen Ruf der<lb/>
einzelnen Führer, theils dem lebhaften Wunsch der Mittelclasse, den Wühlereien<lb/>
ein Ende zu machen. Hätte die Paulskirche dem Publicum die deutsche Ein¬<lb/>
heit gebracht, so wäre dasselbe trotz mancher Einwendungen zuletzt damit zu¬<lb/>
frieden gewesen; aber das Ansinnen, für die Herstellung derselben etwas zu<lb/>
thun, hätte kein Gehör gesunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_763"> Worauf beruht nun, da es mit der nationalen Unterstützung von aus¬<lb/>
wärts nicht viel sagen will, die eigentliche Stärke Preußens, dasjenige, was<lb/>
die kleindeutschen Patrioten veranlaßt, ihre Hoffnungen auf Preußen zu setzen?<lb/>
&#x2014; Auch hier müssen wir uns gegen den verehrten Mann, dem wir gern in<lb/>
allen Punkten folgen möchten, einige Einwendungen erlauben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_764" next="#ID_765"> Daß die wünschenswerthen Veränderungen in der Bundesverfassung mit all¬<lb/>
seitiger Einwilligung sämmtlicher Berechtigten zu Stande kommen könnten, daran<lb/>
ist, wie Gagern sehr richtig bemerkt, nicht zu denken. So sehr man sich auch be¬<lb/>
mühen mag, das, was kommen soll, durch friedliche, legale Entwicklungen vor¬<lb/>
zubereiten, zuletzt gelangt man doch an einen Punkt, wo es heißt: Kraft gegen<lb/>
Kraft. ES wäre ein schreckliches Schicksal für Deutschland, wenn daS einmal<lb/>
in der Form eines Bürgerkriegs stattfinden sollte, wie es im Jahr -1850 den<lb/>
Anschein hatte, namentlich wenn die Kräfte auf beiden Seiten ungefähr gleich<lb/>
gemessen sein sollten. Wir haben an dem dreißigjährigen und dem siebenjähri¬<lb/>
gen Kriege genug gehabt. Der günstigste Fall träte dann ein, wenn auf der<lb/>
einen Seite das Uebergewicht so groß ist, daß seine bloße Entfaltung genügt,<lb/>
die Sache in Ordnung zu bringen, wie es bei der Reform der eidgenössischen<lb/>
Verfassung 18i7 der Fall war. Wenn man nun die Hilfe, die Preußen aus<lb/>
der öffentlichen Meinung Deutschlands schöpfen könnte, ungebührlich überschätzt,<lb/>
so geschieht das häusig auch mit der preußischen Hausmacht. Der Waffenstill¬<lb/>
stand von Malmö, der Frieden mit Dänemark und die olmützer Punctationen<lb/>
werden immer dunkle Tage in der deutschen Geschichte bleiben. aber die Re¬<lb/>
gierung kann vieles zu ihrer Entschuldigung anführen. Man hängt sich zu<lb/>
sehr an die Reminiscenzen des siebenjähriges Kriegs und vergißt dabei einmal,<lb/>
daß die Kriegführung eine andre geworden ist, zweitens, daß in jedem Jahre<lb/>
jenes Kriegs es in der Hand der Feinde Preußens lag, diesen Staat zu ver¬<lb/>
nichten, wenn sie nicht ^radezu von Gott geblendet gewesen wären. Preußen<lb/>
steht noch heute, so wie 17S6. Jeder ernsthafte Krieg muß auf die Gefahr<lb/>
des Untergangs unternommen werden und Preußen hat heute viel mehr zu<lb/>
verlieren als damals. Im Jahr 1850 war die Uebermacht so entschieden auf<lb/>
Seite der Verbündeten, daß der preußische Patriot nur mit Zagen dem Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] ganz andere historische Voraussetzung hat, wie die übrigen Länder, daß hier der Umweg der sicherste Weg ist, der zur Freiheit führt. Wir wollen ein offnes Geständniß ablegen. Wir hatten die Majorität in der Paulskirche, aber wir verdankten sie nicht der Einheitsidee, sondern theils dem guten liberalen Ruf der einzelnen Führer, theils dem lebhaften Wunsch der Mittelclasse, den Wühlereien ein Ende zu machen. Hätte die Paulskirche dem Publicum die deutsche Ein¬ heit gebracht, so wäre dasselbe trotz mancher Einwendungen zuletzt damit zu¬ frieden gewesen; aber das Ansinnen, für die Herstellung derselben etwas zu thun, hätte kein Gehör gesunden. Worauf beruht nun, da es mit der nationalen Unterstützung von aus¬ wärts nicht viel sagen will, die eigentliche Stärke Preußens, dasjenige, was die kleindeutschen Patrioten veranlaßt, ihre Hoffnungen auf Preußen zu setzen? — Auch hier müssen wir uns gegen den verehrten Mann, dem wir gern in allen Punkten folgen möchten, einige Einwendungen erlauben. Daß die wünschenswerthen Veränderungen in der Bundesverfassung mit all¬ seitiger Einwilligung sämmtlicher Berechtigten zu Stande kommen könnten, daran ist, wie Gagern sehr richtig bemerkt, nicht zu denken. So sehr man sich auch be¬ mühen mag, das, was kommen soll, durch friedliche, legale Entwicklungen vor¬ zubereiten, zuletzt gelangt man doch an einen Punkt, wo es heißt: Kraft gegen Kraft. ES wäre ein schreckliches Schicksal für Deutschland, wenn daS einmal in der Form eines Bürgerkriegs stattfinden sollte, wie es im Jahr -1850 den Anschein hatte, namentlich wenn die Kräfte auf beiden Seiten ungefähr gleich gemessen sein sollten. Wir haben an dem dreißigjährigen und dem siebenjähri¬ gen Kriege genug gehabt. Der günstigste Fall träte dann ein, wenn auf der einen Seite das Uebergewicht so groß ist, daß seine bloße Entfaltung genügt, die Sache in Ordnung zu bringen, wie es bei der Reform der eidgenössischen Verfassung 18i7 der Fall war. Wenn man nun die Hilfe, die Preußen aus der öffentlichen Meinung Deutschlands schöpfen könnte, ungebührlich überschätzt, so geschieht das häusig auch mit der preußischen Hausmacht. Der Waffenstill¬ stand von Malmö, der Frieden mit Dänemark und die olmützer Punctationen werden immer dunkle Tage in der deutschen Geschichte bleiben. aber die Re¬ gierung kann vieles zu ihrer Entschuldigung anführen. Man hängt sich zu sehr an die Reminiscenzen des siebenjähriges Kriegs und vergißt dabei einmal, daß die Kriegführung eine andre geworden ist, zweitens, daß in jedem Jahre jenes Kriegs es in der Hand der Feinde Preußens lag, diesen Staat zu ver¬ nichten, wenn sie nicht ^radezu von Gott geblendet gewesen wären. Preußen steht noch heute, so wie 17S6. Jeder ernsthafte Krieg muß auf die Gefahr des Untergangs unternommen werden und Preußen hat heute viel mehr zu verlieren als damals. Im Jahr 1850 war die Uebermacht so entschieden auf Seite der Verbündeten, daß der preußische Patriot nur mit Zagen dem Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/298>, abgerufen am 21.06.2024.