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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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gang entgegensah. -- Und doch ist es im Grunde nur die militärische und
Politische Concentration Preußens, die es in den Hoffnungen Deutschlands
jene entscheidende Rolle spielen läßt. Diese Hoffnung wird sich steigern, je
mehr innere Kraft Preußen entwickelt; sie wird mehr und mehr verblassen, je
kraftloser der Staat sich zeigt. Die Hoffnungen, die man auf Preußen setzt,
beruhen nicht auf seiner Bildung, nicht auf feiner Vielseitigkeit, nicht auf sei¬
ner Liberalität, sondern auf seiner Stärke. Freilich wird die Stärke auf Deutsch¬
land nur dann einwirken können, wenn sie zugleich Sympathien für sich er¬
weckt; aber ohne diese Stärke sind die Sympathien nichts. Hätte man vor dem
November dem liberalen Preußen die Kaiserwürde übertragen wollen (man denke
an den Antrag des Abgeordneten Braun), so wäre ein allgemeines Gelächter
entstanden. Im April -1849 erregte der Antrag zwar Unwillen, aber kein Ge¬
lächter. Wie sehr wir Ursache haben, über die weitern Schritte des Mini¬
steriums Manteuffel bedenklich zu sein, was es im November 18i8 vollbracht,
war wirklich eine rettende That, für Deutschland wie für Preußen.

Wir nehmen keinen Anstand, im directesten Widerspruch gegen Heinrich von
Gagern zu erklären, die Stärke Preußens liegt im specifischen Preußenthum.
Aber freilich ist für uns das specifische Preußenthum nicht in der Partei G^er-
lach-Wagener zu suchen; es gibt vielmehr keine Partei^ welche dem specifischen
Preußenthum so entgegengesetzt wäre. Das specifische Preußenthum liegt in
der Erinnerung an Friedrich den Großen, in dem daran sich knüpfenden Erobe¬
rungstrieb, in den Ideen der bürgerlichen Gleichheit, der religiöseinAufklärung, deS
rationalistischen Regiments; es liegt ferner in der protestantischen, antikatholischen
Bildung. Von allen diesen will die Doctrin das Gegentheil, und darum hassen
alle aufrichtigen Anhänger der Partei Friedrich den Großen und seine Schöpfun¬
gen und werden nur dann für ihn warm, wenn sie sich -- an seinen Stock erinnern.

"Das specifische Preußenthum," sagt Heinrich von Gagern, "ist der hassens-
wertheste innere Feind der Einheit Deutschlands und in der That, in nichts
ist auch Deutschland so einig, als in der gleichartig ausgeprägten, Antipathie
aller auch sonst sich gegenüberstehenden Parteien gegen dieses specifische Preu¬
ßenthum." "Das specifische Preußenthum. ... hat zwar den Ehrgeiz, Preu¬
ßen weiter zu vergrößern, aber nur durch solche territoriale Allusionen, die
es glaubt durch den Verdauungsproceß sich assimiliren zu können.... Rhein¬
land .und Westphalen (?) sind ihm lästige preußische Besitzungen, weil sie jener
Assimilirung widerstehen.....und wie dieses specifische Preußenthum gleich¬
artig ist gegen Deutschland, so ist es entschieden abgeneigt gegen Oestreich;
en>e Empfindung, welcher die Gegenseitigkeit natürlich Vorschub leistet.....
Es betrachtet den zu verewigenden Dualismus, den alle andern deutschen Par¬
teien als das Nationalunglück verwünschen, als den eigentlichsten Ausdruck der
Gleichberechtigung mit Oestreich u. s. w."


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gang entgegensah. — Und doch ist es im Grunde nur die militärische und
Politische Concentration Preußens, die es in den Hoffnungen Deutschlands
jene entscheidende Rolle spielen läßt. Diese Hoffnung wird sich steigern, je
mehr innere Kraft Preußen entwickelt; sie wird mehr und mehr verblassen, je
kraftloser der Staat sich zeigt. Die Hoffnungen, die man auf Preußen setzt,
beruhen nicht auf seiner Bildung, nicht auf feiner Vielseitigkeit, nicht auf sei¬
ner Liberalität, sondern auf seiner Stärke. Freilich wird die Stärke auf Deutsch¬
land nur dann einwirken können, wenn sie zugleich Sympathien für sich er¬
weckt; aber ohne diese Stärke sind die Sympathien nichts. Hätte man vor dem
November dem liberalen Preußen die Kaiserwürde übertragen wollen (man denke
an den Antrag des Abgeordneten Braun), so wäre ein allgemeines Gelächter
entstanden. Im April -1849 erregte der Antrag zwar Unwillen, aber kein Ge¬
lächter. Wie sehr wir Ursache haben, über die weitern Schritte des Mini¬
steriums Manteuffel bedenklich zu sein, was es im November 18i8 vollbracht,
war wirklich eine rettende That, für Deutschland wie für Preußen.

Wir nehmen keinen Anstand, im directesten Widerspruch gegen Heinrich von
Gagern zu erklären, die Stärke Preußens liegt im specifischen Preußenthum.
Aber freilich ist für uns das specifische Preußenthum nicht in der Partei G^er-
lach-Wagener zu suchen; es gibt vielmehr keine Partei^ welche dem specifischen
Preußenthum so entgegengesetzt wäre. Das specifische Preußenthum liegt in
der Erinnerung an Friedrich den Großen, in dem daran sich knüpfenden Erobe¬
rungstrieb, in den Ideen der bürgerlichen Gleichheit, der religiöseinAufklärung, deS
rationalistischen Regiments; es liegt ferner in der protestantischen, antikatholischen
Bildung. Von allen diesen will die Doctrin das Gegentheil, und darum hassen
alle aufrichtigen Anhänger der Partei Friedrich den Großen und seine Schöpfun¬
gen und werden nur dann für ihn warm, wenn sie sich — an seinen Stock erinnern.

„Das specifische Preußenthum," sagt Heinrich von Gagern, „ist der hassens-
wertheste innere Feind der Einheit Deutschlands und in der That, in nichts
ist auch Deutschland so einig, als in der gleichartig ausgeprägten, Antipathie
aller auch sonst sich gegenüberstehenden Parteien gegen dieses specifische Preu¬
ßenthum." „Das specifische Preußenthum. ... hat zwar den Ehrgeiz, Preu¬
ßen weiter zu vergrößern, aber nur durch solche territoriale Allusionen, die
es glaubt durch den Verdauungsproceß sich assimiliren zu können.... Rhein¬
land .und Westphalen (?) sind ihm lästige preußische Besitzungen, weil sie jener
Assimilirung widerstehen.....und wie dieses specifische Preußenthum gleich¬
artig ist gegen Deutschland, so ist es entschieden abgeneigt gegen Oestreich;
en>e Empfindung, welcher die Gegenseitigkeit natürlich Vorschub leistet.....
Es betrachtet den zu verewigenden Dualismus, den alle andern deutschen Par¬
teien als das Nationalunglück verwünschen, als den eigentlichsten Ausdruck der
Gleichberechtigung mit Oestreich u. s. w."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/299>, abgerufen am 27.07.2024.