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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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nur das vage Verlangen nach politischer Einheit sprach sich gleichsam im Chorus
aus. Daher nahm diese Bewegung wesentlich den Charakter einer geistigen
an, die den Gedanken erst zu finden hatte; und da keine der vorgeschlagenen
Richtungen die allgemeinere Zustimmung bis zu dem Grade sich gewinnen konnte,
welcher Bedingung zur Verwirklichung ist, so bleibt die Nation darauf hin¬
gewiesen, die geistige Vorarbeit unter neuen thatsächlichen Erfahrungen fort¬
zusetzen."

Sehr richtig. Der bei weitem größere Theil der Nationalversammlung-
bestand aus Unitariern; aber abgesehen von diesem Namen, der noch dazu sehr
gefährlich war, weil er die Weiterentwicklung der Partei in einem andern
Sinn präjudieirte, als Gagern wollte, hatten diese Männer nichts miteinander
gemein. Man suchte im Anfang die öffentliche Meinung darüber zu täuschen.
Das Programm der Siebzehner enthielt den Entwurf eines Kaiserthums,
welches man nicht anders verstehen konnte, als daß es ganz Deutschland um¬
fassen sollte. Die Souveränetät des Parlaments wurde proclamirt, obgleich
die östreichischen Abgeordneten mit darin saßen. Man ließ die öffentliche
Stimmung, die damals nichts Eifrigeres zu thun hatte, als Preußen herabzu¬
setzen, gewähren, und wir wollen es nicht vergessen, daß es damals ein Oestreicher
war, Herr von Schmerling, der zuerst für Preußen in die Schranken zu treten
wagte. Man wählte einen östreichischen Prinzen zum Reichsverweser. So
kann man sich nicht darüber wundern, daß im October, als nun endlich zur
Sprache kam, was denn eigentlich geeinigt werden sollte, diejenigen Unitarier,
die ganz Deutschland einigen wollten, ihre Gegner als Abtrünnige betrachteten;
ja innerhalb der Weidenbuschpartei selbst nahm ein großer Theil das preußische
Kaiserthum nur als ein pis-aller hin, nur mit dem geheimen Vorbehalt, daß
eS doch noch gelingen würde, Oestreich wieder zum Reich zu fügen.

Noch schlimmer war der Irrthum in Bezug auf die materielle Stärke der
so gebildeten parlamentarischen Partei. Was die jugendlichen Phantasten und
Enthusiasten betrifft, auf deren materiellen Beistand man allenfalls hätte zählen
können, so waren diese nicht für, sondern gegen das preußische Kaiserthum-
Bei denjenigen Classen nun, deren Gesinnung sich auf Seiten der Weidenbusch¬
partei neigte, war die Lebhaftigkeit dieser Gesinnung sehr verschieden. Die
gleiche Gesinnung allein macht noch keine Partei, sondern nur diejenige Ge¬
sinnung, die zu Opfern bereit ist. Um zu prüfen, wie weit das der Fall war,
müssen wir uns zunächst darüber klar machen, was die positive Grundlage
jener abstracten Einheitsidee ist. Es ist der Wunsch, den jeder in seiner Bil¬
dung und äußern Stellung einigermaßen Selbstständige fühlt, einem Staat
anzugehören, dessen er sich unter den Nationen rühmen könne. Das Gefühl
deS Mangels war wol bei allen Deutschen vorhanden; denn wenn wir Oestreich
aufnehmen, wo der Wunsch, mit Deutschland vereinigt zu sein, einen ganz


nur das vage Verlangen nach politischer Einheit sprach sich gleichsam im Chorus
aus. Daher nahm diese Bewegung wesentlich den Charakter einer geistigen
an, die den Gedanken erst zu finden hatte; und da keine der vorgeschlagenen
Richtungen die allgemeinere Zustimmung bis zu dem Grade sich gewinnen konnte,
welcher Bedingung zur Verwirklichung ist, so bleibt die Nation darauf hin¬
gewiesen, die geistige Vorarbeit unter neuen thatsächlichen Erfahrungen fort¬
zusetzen."

Sehr richtig. Der bei weitem größere Theil der Nationalversammlung-
bestand aus Unitariern; aber abgesehen von diesem Namen, der noch dazu sehr
gefährlich war, weil er die Weiterentwicklung der Partei in einem andern
Sinn präjudieirte, als Gagern wollte, hatten diese Männer nichts miteinander
gemein. Man suchte im Anfang die öffentliche Meinung darüber zu täuschen.
Das Programm der Siebzehner enthielt den Entwurf eines Kaiserthums,
welches man nicht anders verstehen konnte, als daß es ganz Deutschland um¬
fassen sollte. Die Souveränetät des Parlaments wurde proclamirt, obgleich
die östreichischen Abgeordneten mit darin saßen. Man ließ die öffentliche
Stimmung, die damals nichts Eifrigeres zu thun hatte, als Preußen herabzu¬
setzen, gewähren, und wir wollen es nicht vergessen, daß es damals ein Oestreicher
war, Herr von Schmerling, der zuerst für Preußen in die Schranken zu treten
wagte. Man wählte einen östreichischen Prinzen zum Reichsverweser. So
kann man sich nicht darüber wundern, daß im October, als nun endlich zur
Sprache kam, was denn eigentlich geeinigt werden sollte, diejenigen Unitarier,
die ganz Deutschland einigen wollten, ihre Gegner als Abtrünnige betrachteten;
ja innerhalb der Weidenbuschpartei selbst nahm ein großer Theil das preußische
Kaiserthum nur als ein pis-aller hin, nur mit dem geheimen Vorbehalt, daß
eS doch noch gelingen würde, Oestreich wieder zum Reich zu fügen.

Noch schlimmer war der Irrthum in Bezug auf die materielle Stärke der
so gebildeten parlamentarischen Partei. Was die jugendlichen Phantasten und
Enthusiasten betrifft, auf deren materiellen Beistand man allenfalls hätte zählen
können, so waren diese nicht für, sondern gegen das preußische Kaiserthum-
Bei denjenigen Classen nun, deren Gesinnung sich auf Seiten der Weidenbusch¬
partei neigte, war die Lebhaftigkeit dieser Gesinnung sehr verschieden. Die
gleiche Gesinnung allein macht noch keine Partei, sondern nur diejenige Ge¬
sinnung, die zu Opfern bereit ist. Um zu prüfen, wie weit das der Fall war,
müssen wir uns zunächst darüber klar machen, was die positive Grundlage
jener abstracten Einheitsidee ist. Es ist der Wunsch, den jeder in seiner Bil¬
dung und äußern Stellung einigermaßen Selbstständige fühlt, einem Staat
anzugehören, dessen er sich unter den Nationen rühmen könne. Das Gefühl
deS Mangels war wol bei allen Deutschen vorhanden; denn wenn wir Oestreich
aufnehmen, wo der Wunsch, mit Deutschland vereinigt zu sein, einen ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/296>, abgerufen am 21.06.2024.