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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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hielt die repräsentative Monarchie mit erblichem Oberhause und gewähltem
Volkshaufe nicht allein für eine besondere Bedingung des Bestandes und der
durch sich selbst versicherten Action einer deutschen Centralgewalt, für die Haupt¬
rüstung der Krone, um gegen den historisch so tief begründeten und so mächti¬
gen Particularismus Macht zu erwerben und zu behaupten, damit sie nicht
wieder in die Wege geleitet werde, die nach allmäligen Verfall endlich zur
Auflösung des Reichs geführt haben, sondern er hielt die repräsentative Ver¬
fassung zugleich für die nothwendige politische Lebensform füx ein großes Volk
auf der Bildungsstufe des 19. Jahrhunderts.

Von Jahr zu Jahr befestigte sich Friedrich von Gagern mehr und mehr
in seiner politischen Ueberzeugung, von Jahr zu Jahr steigerte sich die Lebhaftig¬
keit seiner Polemik gegen die politischen Ansichten seines Vaters.*) Im Winter
von 1823--26 schrieb er wiederum mehre Aufsätze, die uns die Kühnheit und
Folgerichtigkeit seiner Entwürfe vollständig klar machen, die uns aber auch zeigen,
daß er in der Schätzung der wirklichen Verhältnisse einen verhängnißvollen
Rechnungsfehler beging.

In einer dieser Denkschriften von 18A6 theilt Gagern diejenigen, die sich
überhaupt mit Politik in Deutschland beschäftigen, in drei Parteien: die ser¬
vilen, die Föderalisten und die Unitarier. Die ersten wollen das Fortbestehen
der bisherigen Bundesverhältnisse, weil sie von den Mißbräuchen derselbe"
Vortheil ziehen, die letzten wollen die Einheit dadurch herstellen, daß sie mit
dem bisherigen Princip der Bundesverfassung vollständig brechen. Zu ihnen
rechnet sich Gagern selbst. Die Föderalisten stimmen in der Neigung zwar im
Ganzen mit ihnen überein, allein sie glauben die wesentlichen Zwecke der Ein¬
heit durch eine allmälige Entwicklung der bisherigen Bundesverfassung erreichen
zu können.

In dieser Classification liegen nun folgende Irrthümer, die wir um so
schärfer hervorheben müssen, da der jüngere Bruder nicht nur, sondern die ganze
Partei, deren Führer er 1848 war, sie theilt, und da sie der Hauptgrund
waren, daß in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs falsch gerechnet
wurde. Ehe wir indeß darauf eingehen, heben wir noch einige Bemerkungen
Heinrichs von Gagern hervor, denen wir vollkommen beipflichten, und die auf
jene Irrthümer das richtige Licht werfen.

"Mit der Erhebung des nationalen Geistes allein war es nicht gethan,



*) Aus einem dieser Briefe, wo er die Nothwendigkeit nachweist, Partei zu ergreife",
zeichnen wir ein goldenes Wort auf, das man noch nicht genug beherzigt hat: "Die No"e
des Vermittlers ist freilich denkbar, aber der Wille ist dazu nicht hinreichend; man muß auch
stark genug sein, um sich als solcher anerkennen zu machen und zwar von beiden Parteien.
Dazu fügt er das Wort der Frau von Staöl: ,,1>" rdgls 6s oonSuitv 6out it no ks"t j""""'"
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hielt die repräsentative Monarchie mit erblichem Oberhause und gewähltem
Volkshaufe nicht allein für eine besondere Bedingung des Bestandes und der
durch sich selbst versicherten Action einer deutschen Centralgewalt, für die Haupt¬
rüstung der Krone, um gegen den historisch so tief begründeten und so mächti¬
gen Particularismus Macht zu erwerben und zu behaupten, damit sie nicht
wieder in die Wege geleitet werde, die nach allmäligen Verfall endlich zur
Auflösung des Reichs geführt haben, sondern er hielt die repräsentative Ver¬
fassung zugleich für die nothwendige politische Lebensform füx ein großes Volk
auf der Bildungsstufe des 19. Jahrhunderts.

Von Jahr zu Jahr befestigte sich Friedrich von Gagern mehr und mehr
in seiner politischen Ueberzeugung, von Jahr zu Jahr steigerte sich die Lebhaftig¬
keit seiner Polemik gegen die politischen Ansichten seines Vaters.*) Im Winter
von 1823—26 schrieb er wiederum mehre Aufsätze, die uns die Kühnheit und
Folgerichtigkeit seiner Entwürfe vollständig klar machen, die uns aber auch zeigen,
daß er in der Schätzung der wirklichen Verhältnisse einen verhängnißvollen
Rechnungsfehler beging.

In einer dieser Denkschriften von 18A6 theilt Gagern diejenigen, die sich
überhaupt mit Politik in Deutschland beschäftigen, in drei Parteien: die ser¬
vilen, die Föderalisten und die Unitarier. Die ersten wollen das Fortbestehen
der bisherigen Bundesverhältnisse, weil sie von den Mißbräuchen derselbe»
Vortheil ziehen, die letzten wollen die Einheit dadurch herstellen, daß sie mit
dem bisherigen Princip der Bundesverfassung vollständig brechen. Zu ihnen
rechnet sich Gagern selbst. Die Föderalisten stimmen in der Neigung zwar im
Ganzen mit ihnen überein, allein sie glauben die wesentlichen Zwecke der Ein¬
heit durch eine allmälige Entwicklung der bisherigen Bundesverfassung erreichen
zu können.

In dieser Classification liegen nun folgende Irrthümer, die wir um so
schärfer hervorheben müssen, da der jüngere Bruder nicht nur, sondern die ganze
Partei, deren Führer er 1848 war, sie theilt, und da sie der Hauptgrund
waren, daß in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs falsch gerechnet
wurde. Ehe wir indeß darauf eingehen, heben wir noch einige Bemerkungen
Heinrichs von Gagern hervor, denen wir vollkommen beipflichten, und die auf
jene Irrthümer das richtige Licht werfen.

„Mit der Erhebung des nationalen Geistes allein war es nicht gethan,



*) Aus einem dieser Briefe, wo er die Nothwendigkeit nachweist, Partei zu ergreife»,
zeichnen wir ein goldenes Wort auf, das man noch nicht genug beherzigt hat: „Die No»e
des Vermittlers ist freilich denkbar, aber der Wille ist dazu nicht hinreichend; man muß auch
stark genug sein, um sich als solcher anerkennen zu machen und zwar von beiden Parteien.
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[0294] hielt die repräsentative Monarchie mit erblichem Oberhause und gewähltem Volkshaufe nicht allein für eine besondere Bedingung des Bestandes und der durch sich selbst versicherten Action einer deutschen Centralgewalt, für die Haupt¬ rüstung der Krone, um gegen den historisch so tief begründeten und so mächti¬ gen Particularismus Macht zu erwerben und zu behaupten, damit sie nicht wieder in die Wege geleitet werde, die nach allmäligen Verfall endlich zur Auflösung des Reichs geführt haben, sondern er hielt die repräsentative Ver¬ fassung zugleich für die nothwendige politische Lebensform füx ein großes Volk auf der Bildungsstufe des 19. Jahrhunderts. Von Jahr zu Jahr befestigte sich Friedrich von Gagern mehr und mehr in seiner politischen Ueberzeugung, von Jahr zu Jahr steigerte sich die Lebhaftig¬ keit seiner Polemik gegen die politischen Ansichten seines Vaters.*) Im Winter von 1823—26 schrieb er wiederum mehre Aufsätze, die uns die Kühnheit und Folgerichtigkeit seiner Entwürfe vollständig klar machen, die uns aber auch zeigen, daß er in der Schätzung der wirklichen Verhältnisse einen verhängnißvollen Rechnungsfehler beging. In einer dieser Denkschriften von 18A6 theilt Gagern diejenigen, die sich überhaupt mit Politik in Deutschland beschäftigen, in drei Parteien: die ser¬ vilen, die Föderalisten und die Unitarier. Die ersten wollen das Fortbestehen der bisherigen Bundesverhältnisse, weil sie von den Mißbräuchen derselbe» Vortheil ziehen, die letzten wollen die Einheit dadurch herstellen, daß sie mit dem bisherigen Princip der Bundesverfassung vollständig brechen. Zu ihnen rechnet sich Gagern selbst. Die Föderalisten stimmen in der Neigung zwar im Ganzen mit ihnen überein, allein sie glauben die wesentlichen Zwecke der Ein¬ heit durch eine allmälige Entwicklung der bisherigen Bundesverfassung erreichen zu können. In dieser Classification liegen nun folgende Irrthümer, die wir um so schärfer hervorheben müssen, da der jüngere Bruder nicht nur, sondern die ganze Partei, deren Führer er 1848 war, sie theilt, und da sie der Hauptgrund waren, daß in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs falsch gerechnet wurde. Ehe wir indeß darauf eingehen, heben wir noch einige Bemerkungen Heinrichs von Gagern hervor, denen wir vollkommen beipflichten, und die auf jene Irrthümer das richtige Licht werfen. „Mit der Erhebung des nationalen Geistes allein war es nicht gethan, *) Aus einem dieser Briefe, wo er die Nothwendigkeit nachweist, Partei zu ergreife», zeichnen wir ein goldenes Wort auf, das man noch nicht genug beherzigt hat: „Die No»e des Vermittlers ist freilich denkbar, aber der Wille ist dazu nicht hinreichend; man muß auch stark genug sein, um sich als solcher anerkennen zu machen und zwar von beiden Parteien. Dazu fügt er das Wort der Frau von Staöl: ,,1>» rdgls 6s oonSuitv 6out it no ks»t j»«»»'« «'esartsr on poiitiPis, s'sse 6s so ralUsr toiyvurs su, xarti. Is noir» rniuivms xyi'mi ^ a.6vvrsÄirvs, lors wöms -jus es xarti, ssi öllsors loin 6s votrs xroxrs wÄiuero 6s voir.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/294>, abgerufen am 21.06.2024.