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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Aufsatz, der freilich nur für seinen Vater bestimmt war, das Elend und die
Schmach der deutschen Zersplitterung mit einer Beredtsamkeit auseinander, die
uns noch heute hinreißt, obgleich uns der Stoff schon geläufig geworden ist,
ja die auf unsre heutigen Zustände noch ihre volle Anwendung findet. Un¬
gleich wichtiger war eine zweite Denkschrift über die Mittel, die politische Ein¬
heit Deutschlands herzustellen. Da der revolutionäre Weg sich jeder Berech¬
nung entzieht, so sah es Friedrich von Gagern als eine Nothwendigkeit an,
das Streben Nach Verwirklichung der nationalen Einheit an einen staatlichen
Ausgangspunkt und zwar an denjenigen anzuknüpfen, welcher durch Vereini¬
gung der meisten günstigen Bedingungen die größte Wahrscheinlichkeit für sich
haben würde, die übrigen bisher selbstständigen politischen Gebilde sich zu ver¬
söhnen oder unterzuordnen und sich einzuverleiben. Er fand diesen staatlichen
Ausgangspunkt in Preußen. "Preußen darf nur eine kluge und kühne Politik
befolgen, so wird es von ihm abhängen, Deutschland in ein Reich zu verei¬
nigen. Dazu wird nur erfordert, daß es den preußischen Namen in dem
deutschen untergehen lasse, daß es die Kammern der verschiedenen deutschen
Staaten zusammenberuse, aus dem Mediatisirten in ganz Deutschland eine
Pairskammer bilde und allen Offizieren der kleinern deutschen Heere ihren Rang
Zusichere." Die Möglichkeit eines Gelingens sieht Gagern theils in derUnpopu-
larität des östreichischen Absolutismus,.theils in der Interesselosigkeit der kleinen
Kammern, deren kleinlicher Inhalt ein nationales Gefühl nicht erregen kann.
"Sobald Preußen Reichsstände hat, werden diese wie ein Magnet die übrigen
deutschen Kammern anziehen." Um dem entgegenzukommen, soll sich in sämmt¬
lichen kleinen deutschen Kammern eine liberale Partei bilden, welche die Eini¬
gung Deutschlands unter Preußen auf ihre Fahne schreibt. -- Der Grund
dieser Ueberzeugung war nicht etwa eine Vorliebe für die Hohenzollern oder
für die Berliner, sondern die ruhige Ueberlegung. Es hatte Gagern einen
schweren Kampf gekostet, einen Kampf gegen die Traditionen der Familie, gegen
seine eignen Jugendideen und Wünsche, gegen seine Liebe zum östreichischen
Heer, dessen Waffenruhm er mit Stolz getheilt hatte. Vielleicht machte grade
dieser innere Kampf ihn geneigt, bei andern Männern, die im Wesentlichen
derselben Richtung angehörten, den gleichen Proceß vorauszusetzen. In der
That war der Heldenmuth, den die Preußen in den Freiheitskriegen
gezeigt, noch so lebhaft in aller Andenken, daß sich in den gebildetsten Männern
der liberalen Partei eine verwandte Stimmung regte, eine Stimmung, welcher
Paul Pfizer 1831 in seinem Briefwechsel zweier Deutschen einen lauten
Und vernehmlichen Ausdruck gab. Doch täuschte sich Gagern, wie wir später
sehen werden, darin, daß er die Symptome dieser Stimmung als Elemente
einer, wirklichen Partei auffaßte, was sie in der That nicht waren. Für ihn
selbst ging die Idee der Freiheit mit der Idee der Einheit Hand in Hand. Er


Aufsatz, der freilich nur für seinen Vater bestimmt war, das Elend und die
Schmach der deutschen Zersplitterung mit einer Beredtsamkeit auseinander, die
uns noch heute hinreißt, obgleich uns der Stoff schon geläufig geworden ist,
ja die auf unsre heutigen Zustände noch ihre volle Anwendung findet. Un¬
gleich wichtiger war eine zweite Denkschrift über die Mittel, die politische Ein¬
heit Deutschlands herzustellen. Da der revolutionäre Weg sich jeder Berech¬
nung entzieht, so sah es Friedrich von Gagern als eine Nothwendigkeit an,
das Streben Nach Verwirklichung der nationalen Einheit an einen staatlichen
Ausgangspunkt und zwar an denjenigen anzuknüpfen, welcher durch Vereini¬
gung der meisten günstigen Bedingungen die größte Wahrscheinlichkeit für sich
haben würde, die übrigen bisher selbstständigen politischen Gebilde sich zu ver¬
söhnen oder unterzuordnen und sich einzuverleiben. Er fand diesen staatlichen
Ausgangspunkt in Preußen. „Preußen darf nur eine kluge und kühne Politik
befolgen, so wird es von ihm abhängen, Deutschland in ein Reich zu verei¬
nigen. Dazu wird nur erfordert, daß es den preußischen Namen in dem
deutschen untergehen lasse, daß es die Kammern der verschiedenen deutschen
Staaten zusammenberuse, aus dem Mediatisirten in ganz Deutschland eine
Pairskammer bilde und allen Offizieren der kleinern deutschen Heere ihren Rang
Zusichere." Die Möglichkeit eines Gelingens sieht Gagern theils in derUnpopu-
larität des östreichischen Absolutismus,.theils in der Interesselosigkeit der kleinen
Kammern, deren kleinlicher Inhalt ein nationales Gefühl nicht erregen kann.
„Sobald Preußen Reichsstände hat, werden diese wie ein Magnet die übrigen
deutschen Kammern anziehen." Um dem entgegenzukommen, soll sich in sämmt¬
lichen kleinen deutschen Kammern eine liberale Partei bilden, welche die Eini¬
gung Deutschlands unter Preußen auf ihre Fahne schreibt. — Der Grund
dieser Ueberzeugung war nicht etwa eine Vorliebe für die Hohenzollern oder
für die Berliner, sondern die ruhige Ueberlegung. Es hatte Gagern einen
schweren Kampf gekostet, einen Kampf gegen die Traditionen der Familie, gegen
seine eignen Jugendideen und Wünsche, gegen seine Liebe zum östreichischen
Heer, dessen Waffenruhm er mit Stolz getheilt hatte. Vielleicht machte grade
dieser innere Kampf ihn geneigt, bei andern Männern, die im Wesentlichen
derselben Richtung angehörten, den gleichen Proceß vorauszusetzen. In der
That war der Heldenmuth, den die Preußen in den Freiheitskriegen
gezeigt, noch so lebhaft in aller Andenken, daß sich in den gebildetsten Männern
der liberalen Partei eine verwandte Stimmung regte, eine Stimmung, welcher
Paul Pfizer 1831 in seinem Briefwechsel zweier Deutschen einen lauten
Und vernehmlichen Ausdruck gab. Doch täuschte sich Gagern, wie wir später
sehen werden, darin, daß er die Symptome dieser Stimmung als Elemente
einer, wirklichen Partei auffaßte, was sie in der That nicht waren. Für ihn
selbst ging die Idee der Freiheit mit der Idee der Einheit Hand in Hand. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/293>, abgerufen am 21.06.2024.