Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band."Nein, um diesen Preis kann ich die Freiheit nicht erwählen! -- Unddochl!-- „Nein, um diesen Preis kann ich die Freiheit nicht erwählen! — Unddochl!— <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101806"/> <p xml:id="ID_710" prev="#ID_709" next="#ID_711"> „Nein, um diesen Preis kann ich die Freiheit nicht erwählen! — Unddochl!—<lb/> Gott verläßt den, der sich selbst verläßt! Komm mir zu Hilfe, männlicher Ver¬<lb/> stand, denn fürwahr, ich will nicht feig mich selbst verlassen! — Sind dem<lb/> Geist nicht alle Kräfte Unterthan, die bösen wie die guten? Kann er nicht<lb/> selbst die Sünde sich dienstbar machen, um sie dann zu besiegen?--Halt!<lb/> Hier ist der Punkt, an dem sich Tugend und Laster scheiden! O, an welchem<lb/> Scheidewege stehe ich?! Hier liegt das Heili'gthum des Mannes, seine Ehre,<lb/> sein guter Name, seine fleckenlos bewahrte Bürgertugend — und drüben über<lb/> jenem Wege hin ruft das Weib den Gatten, ruft das Vaterland den Sohn,<lb/> der die Erkenntniß hat von seiner Noth, um Schutz an. Marietta und Ita¬<lb/> lien, o beide tragen dasselbe holde Angesicht, und beide fallen durch den näm¬<lb/> lichen Tyrannen! — Um zu retten, muß ich frei sein!--Aber auf dem<lb/> Weg zur Freiheit liegt das Laster, die falsche zweizüngige Heuchelei, die felle<lb/> Servilität, der Meinungswechsel ohne Ueberzeugung, die mit Recht empörte<lb/> sittliche Verachtung der Welt! — Darf, kann ich den Weg gehen?!! —<lb/> Ach, Herkules, du hast dirs leicht gemacht, du wähltest Tugend, o süß ist<lb/> Tugend! Doch wer den Weg nicht wandeln darf, wo durch die Bäume frische<lb/> Morgenluft heranweht, wer von Gewalt gezwungen, durch finstre Sündenkiuft<lb/> sich drängen muß, und es doch unternimmt, auf diesem abscheuvollen Seiten¬<lb/> weg zu seinem hellen Tugendziele zu gelangen, o der ist größer!--Sei<lb/> eS denn! — Frei, unter einer Heuchlermaske kann ich dir nützen, Vaterland!<lb/> Ich wähle der Welt Verachtung, wähle die Vernichtung meines frühern<lb/> Menschen; ich widerrufe meine ausgesprochene Ansicht, um ihr— von innen<lb/> treu zu sein!" — O Kotzebue, Kotzebue! mit welchem Unrecht verunglimpft<lb/> man dich! Das alles hast du ja schon viel besser gesagt. Wir aber wider-<lb/> holen, mit solchen Charakteren, die nicht aus einem innern Drang ihrer Natur<lb/> handeln, sondern nach dieser oder jener Rücksicht, und die dann augenblicklich,<lb/> wenn sie einmal zu einem Entschluß gekommen sind, bereuen, weil die Um¬<lb/> stände doch nicht alle stimmen wollen, mit solchen Charakteren heraus aus der<lb/> Tragödie, denn sie gehören ins Lustspiel. Elise Schmidt weiß selbst nicht, ob<lb/> Macchiavell recht oder unrecht gehandelt hat, denn sein Zweck gelingt ihm in<lb/> der That, und die Achtung derer, auf deren Urtheil es ihm ankommt, bleibt<lb/> ihm unverkürzt; er ist nur beim Publicum in ein schlechtes Renommee ge¬<lb/> kommen und bestraft sich dafür selbst, indem er sich mit seiner Marietta inS<lb/> Privatleben zurückzieht. Elise Schmidt muß wenig den Macchiavell gelesen<lb/> haben, sonst hätte sie dieser antiken heidnischen Natur solche Weinerlichkeilen<lb/> uicht zugemuthet. — Macchiavell ist übrigens nicht der einzige Genius des<lb/> Stücks, welcher der Gesellschaft unterliegt. Auch Cäsar Borgia ist eigentlich<lb/> e>n Held, der nur deshalb Bösewicht wurde, weil das Zeitalter sür große<lb/> Thaten keinen Raum gibt, und der den Schmerz dieses Schicksals mit Humor</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
„Nein, um diesen Preis kann ich die Freiheit nicht erwählen! — Unddochl!—
Gott verläßt den, der sich selbst verläßt! Komm mir zu Hilfe, männlicher Ver¬
stand, denn fürwahr, ich will nicht feig mich selbst verlassen! — Sind dem
Geist nicht alle Kräfte Unterthan, die bösen wie die guten? Kann er nicht
selbst die Sünde sich dienstbar machen, um sie dann zu besiegen?--Halt!
Hier ist der Punkt, an dem sich Tugend und Laster scheiden! O, an welchem
Scheidewege stehe ich?! Hier liegt das Heili'gthum des Mannes, seine Ehre,
sein guter Name, seine fleckenlos bewahrte Bürgertugend — und drüben über
jenem Wege hin ruft das Weib den Gatten, ruft das Vaterland den Sohn,
der die Erkenntniß hat von seiner Noth, um Schutz an. Marietta und Ita¬
lien, o beide tragen dasselbe holde Angesicht, und beide fallen durch den näm¬
lichen Tyrannen! — Um zu retten, muß ich frei sein!--Aber auf dem
Weg zur Freiheit liegt das Laster, die falsche zweizüngige Heuchelei, die felle
Servilität, der Meinungswechsel ohne Ueberzeugung, die mit Recht empörte
sittliche Verachtung der Welt! — Darf, kann ich den Weg gehen?!! —
Ach, Herkules, du hast dirs leicht gemacht, du wähltest Tugend, o süß ist
Tugend! Doch wer den Weg nicht wandeln darf, wo durch die Bäume frische
Morgenluft heranweht, wer von Gewalt gezwungen, durch finstre Sündenkiuft
sich drängen muß, und es doch unternimmt, auf diesem abscheuvollen Seiten¬
weg zu seinem hellen Tugendziele zu gelangen, o der ist größer!--Sei
eS denn! — Frei, unter einer Heuchlermaske kann ich dir nützen, Vaterland!
Ich wähle der Welt Verachtung, wähle die Vernichtung meines frühern
Menschen; ich widerrufe meine ausgesprochene Ansicht, um ihr— von innen
treu zu sein!" — O Kotzebue, Kotzebue! mit welchem Unrecht verunglimpft
man dich! Das alles hast du ja schon viel besser gesagt. Wir aber wider-
holen, mit solchen Charakteren, die nicht aus einem innern Drang ihrer Natur
handeln, sondern nach dieser oder jener Rücksicht, und die dann augenblicklich,
wenn sie einmal zu einem Entschluß gekommen sind, bereuen, weil die Um¬
stände doch nicht alle stimmen wollen, mit solchen Charakteren heraus aus der
Tragödie, denn sie gehören ins Lustspiel. Elise Schmidt weiß selbst nicht, ob
Macchiavell recht oder unrecht gehandelt hat, denn sein Zweck gelingt ihm in
der That, und die Achtung derer, auf deren Urtheil es ihm ankommt, bleibt
ihm unverkürzt; er ist nur beim Publicum in ein schlechtes Renommee ge¬
kommen und bestraft sich dafür selbst, indem er sich mit seiner Marietta inS
Privatleben zurückzieht. Elise Schmidt muß wenig den Macchiavell gelesen
haben, sonst hätte sie dieser antiken heidnischen Natur solche Weinerlichkeilen
uicht zugemuthet. — Macchiavell ist übrigens nicht der einzige Genius des
Stücks, welcher der Gesellschaft unterliegt. Auch Cäsar Borgia ist eigentlich
e>n Held, der nur deshalb Bösewicht wurde, weil das Zeitalter sür große
Thaten keinen Raum gibt, und der den Schmerz dieses Schicksals mit Humor
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