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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sinnig verheirathen. Wenn er die Eigenschaft hat, sich nur mit solchen Per¬
sonen unterhalten zu können, die Sinn für Poesie haben, so muß er nicht
eine Lebensgefährtin wählen, die keinen Sinn dafür hat. Thut er es aber
dennoch, dann hinaus mit ihm aus der Tragödie ins Lustspiel. Die kleine
Misere des Lebens ist nicht tragisch. Zweitens, ein verheiratheter Mann soll
nicht der ersten besten Schauspielerin, die zu ihm aufs Zimmer kommt, tief
ergriffen die Stirn küssen und sonstige Liebeserklärungen machen, wie es hier
geschieht, oder er soll sich wenigstens nicht verwundern, wenn seine Frau eifer¬
süchtig wird. Die Lady Byron des Dramas hat den gerechtesten Grund zur
Eifersucht, und wenn wir auch die gemeine Art und Weise, wie sie dieselbe
ausläßt, mißbilligen, so müssen wir doch ihre Empfindung billigen; weder daß
Byron ein Dichter ist, noch daß er es, wie er sehr naiv bemerkt, nicht bis
zum wirklichen Ehebruch getrieben hat, kann ihn rechtfertigen. Der schlimmste
Umstand aber dürfte sein, daß er so gar keine Kraft und kein Geschick zeigt,
mit der bösen Welt zu ringen. Wer sich in Abenteuer einläßt, die in der ge¬
wohnten sittlichen Sphäre keinen Platz finden, der muß sich wenigstens mit
Anstand herauszuziehen wissen. Hätte Lord Byron den schönen Brummel
geohrfeigt oder erstochen oder sonst etwas Polizeiwidriges gethan, so stände er
dramatisch besser da, als jetzt in seiner Unschuld. Aber er ist eben kein Held
und es ist sehr komisch, wie er zum Schluß des Stücks ausspricht: "Ich sterbe
bei dem ersten Versuch, ein Held zu sein!" Freilich wetteifern die andern, die
ihn umstehen, ihm Artigkeiten zu sagen, aber er selbst vernichtet den guten
Eindruck wieder durch die letzten sterbenden Worte: "Der Tod das ist die ein¬
zige Consequenz!" Ein Charakter dieser Art gehört wiederum nicht in die Tra¬
gödie. -- Alle diese Einwendungen drängen sich um so mehr auf, da man in
der Dichtung die Tendenz sieht. Der, Genius soll verherrlicht werden auf
Kosten der Gesellschaft; es geschieht das aber nicht, der Genius zeigt sich als
kraft- und willenlos, mit einem Wort, er macht sich lächerlich. -- Auch in
Macchiavell soll wieder der Genius geschildert werden, der den Umständen er¬
liegt. In frühern Zeiten schilderten die Dichter, wie der Held durch das
äußere oder innere Schicksal, d. h. durch die Conseguenz seiner Natur unter¬
geht. Es ist charakteristisch, daß die modernen Dichter ihn an seiner Incon-
sequenz untergehen lassen. Macchiavell ist ein zweiter Uriel Acosta, nur daß
.der letztere mehr Entschuldigungsgründe hat; denn Uriel widerruft doch nur,
Macchiavell dagegen begeht einen Frevel. Er hat nämlich ein Buch geschrieben,
nicht den Fürsten, den wir kennen, sondern ein anderes, eine blutige Satire
gegen die Tyrannei Cäsar Borgias, um die öffentliche Meinung gegen ihn
aufzureizen. Borgia läßt ihn ins Gefängniß werfen und bietet ihm die Frei¬
heit an, wenn er das Buch so umarbeiten will, daß es als eine Apologie gilt.
Der Monolog, den Macchiavell infolge dessen hält, ist beachtenswerth:


sinnig verheirathen. Wenn er die Eigenschaft hat, sich nur mit solchen Per¬
sonen unterhalten zu können, die Sinn für Poesie haben, so muß er nicht
eine Lebensgefährtin wählen, die keinen Sinn dafür hat. Thut er es aber
dennoch, dann hinaus mit ihm aus der Tragödie ins Lustspiel. Die kleine
Misere des Lebens ist nicht tragisch. Zweitens, ein verheiratheter Mann soll
nicht der ersten besten Schauspielerin, die zu ihm aufs Zimmer kommt, tief
ergriffen die Stirn küssen und sonstige Liebeserklärungen machen, wie es hier
geschieht, oder er soll sich wenigstens nicht verwundern, wenn seine Frau eifer¬
süchtig wird. Die Lady Byron des Dramas hat den gerechtesten Grund zur
Eifersucht, und wenn wir auch die gemeine Art und Weise, wie sie dieselbe
ausläßt, mißbilligen, so müssen wir doch ihre Empfindung billigen; weder daß
Byron ein Dichter ist, noch daß er es, wie er sehr naiv bemerkt, nicht bis
zum wirklichen Ehebruch getrieben hat, kann ihn rechtfertigen. Der schlimmste
Umstand aber dürfte sein, daß er so gar keine Kraft und kein Geschick zeigt,
mit der bösen Welt zu ringen. Wer sich in Abenteuer einläßt, die in der ge¬
wohnten sittlichen Sphäre keinen Platz finden, der muß sich wenigstens mit
Anstand herauszuziehen wissen. Hätte Lord Byron den schönen Brummel
geohrfeigt oder erstochen oder sonst etwas Polizeiwidriges gethan, so stände er
dramatisch besser da, als jetzt in seiner Unschuld. Aber er ist eben kein Held
und es ist sehr komisch, wie er zum Schluß des Stücks ausspricht: „Ich sterbe
bei dem ersten Versuch, ein Held zu sein!" Freilich wetteifern die andern, die
ihn umstehen, ihm Artigkeiten zu sagen, aber er selbst vernichtet den guten
Eindruck wieder durch die letzten sterbenden Worte: „Der Tod das ist die ein¬
zige Consequenz!" Ein Charakter dieser Art gehört wiederum nicht in die Tra¬
gödie. — Alle diese Einwendungen drängen sich um so mehr auf, da man in
der Dichtung die Tendenz sieht. Der, Genius soll verherrlicht werden auf
Kosten der Gesellschaft; es geschieht das aber nicht, der Genius zeigt sich als
kraft- und willenlos, mit einem Wort, er macht sich lächerlich. — Auch in
Macchiavell soll wieder der Genius geschildert werden, der den Umständen er¬
liegt. In frühern Zeiten schilderten die Dichter, wie der Held durch das
äußere oder innere Schicksal, d. h. durch die Conseguenz seiner Natur unter¬
geht. Es ist charakteristisch, daß die modernen Dichter ihn an seiner Incon-
sequenz untergehen lassen. Macchiavell ist ein zweiter Uriel Acosta, nur daß
.der letztere mehr Entschuldigungsgründe hat; denn Uriel widerruft doch nur,
Macchiavell dagegen begeht einen Frevel. Er hat nämlich ein Buch geschrieben,
nicht den Fürsten, den wir kennen, sondern ein anderes, eine blutige Satire
gegen die Tyrannei Cäsar Borgias, um die öffentliche Meinung gegen ihn
aufzureizen. Borgia läßt ihn ins Gefängniß werfen und bietet ihm die Frei¬
heit an, wenn er das Buch so umarbeiten will, daß es als eine Apologie gilt.
Der Monolog, den Macchiavell infolge dessen hält, ist beachtenswerth:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/278>, abgerufen am 21.06.2024.