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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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zu tragen sucht. Daß Hebbel und selb-se Gutzkow solche Figuren besser zu
schildern wissen, liegt in der Natur der Sache; aber daß die Dichterin auch
Lucrezia Borgia so vollständig verpfuscht hat, nimmt uns Wunder, da ihr hier
doch schon V. Hugo vorgearbeitet hatte, und da sämmtliche französische Dich¬
terinnen den innern Dämon in des Weibes Brust so vortrefflich zu schildern
wissen. Daß wir übrigens kein Drama erhalten, in welchem Cäsar Borgia
der Held ist, bedauern wir nur mäßig, denn es könnte doch nur ein Duplicat
von Richard til. sein. -- Im dritten Drama ist nicht der Großfürst Alerei,
wie in Schillers Don Carlos, sondern Peter der Große der Genius, der mit
den Einrichtungen der Welt insofern in Conflict kommt, als sie ihn zwingen,
um des allgemeinen Wohls willen seinen Sohn hinrichten zu lassen. DaS
nächste Vorbild ist Immermann, doch hatte dieser das Problem insofern tra¬
gischer und historischer gefaßt, als er in der starken Willenskraft des Kaisers
etwas Dämonisches fand, das ihn zu einer argen That verleitete. Elise Schmidt
stellt sich einfach auf Seiten des weisen Monarchen, der zum Besten des Vater¬
landes mit tiefem Bedauern das Todesurtheil vollstrecken läßt. Beide haben
ihren Helden idealisirt; von dem wilden Barbaren, der aus angeborner Lust
höchst eigenhändig Dutzende von Verbrechern köpfte, ist nichts übrig geblieben;
wir sehen den wohlwollenden Monarchen vor uns, der nicht blos bis zum
Erceß rechtschaffen ne, der nicht blos seinen Unterthanen für alle Kinder
einsteht, die zum Militärdienst gezogen werden, sondern der auch eine ge¬
wisse Virtuosität im Verzeihen entwickelt, und den der Gedanke der Civili¬
sation als reines Ideal durchglüht. Der echte Peter verstand die Civili¬
sation, freilich in weit größerm Stil, ungefähr in der Weise Mehemed Alis,
und wenn er schon in der Jugend die Hingerichteten Strelitzen vor das
Fenster seiner Schwester hängen ließ, um ihr Gehorsam einzuprägen, so
war es nur folgerichtig, wenn er später seinen widerstrebenden und ungehor¬
samen Sohn umbrachte. Uebrigens fehlen die Dichter dieses Themas meistens
auch darin, daß sie den Sohn gar zu schwächlich darstellen. Es ist kein Kampf,
sondern eine Schlächterei, denn die Kräfte sind zu ungleich. Wie viel besser
hat es Byron verstanden, in der Parisina zwei ebenbürtige Naturen aufein¬
anderstoßen zu lassen. Das Thema an sich ist das alte, des Brutus, der
seine Söhne der Republik opfert; aber wenn an sich schon die'Herrschaft einer
Abstraction über die Totalität des Gefühls keinen dramatischen Eindruck macht,
so ist die Unnatur bei Brutus doch nicht so groß. Er ist Richter und Diener
der Republik; er muß gegen die sämmtlichen Verschwörer die äußerste Strenge
gebrauchen und kann daher seine Söhne nicht ausschließen. Peter dagegen
ist Selbstherrscher. Wenn er aus seiner leidenschaftlichen Natur heraus ge¬
waltthätig handelt, so haben wir nichts dagegen einzuwenden; aber die Ab'
straction hat kein Recht, denn sie hat keine Macht über ihn. -- Noch eine Be-


zu tragen sucht. Daß Hebbel und selb-se Gutzkow solche Figuren besser zu
schildern wissen, liegt in der Natur der Sache; aber daß die Dichterin auch
Lucrezia Borgia so vollständig verpfuscht hat, nimmt uns Wunder, da ihr hier
doch schon V. Hugo vorgearbeitet hatte, und da sämmtliche französische Dich¬
terinnen den innern Dämon in des Weibes Brust so vortrefflich zu schildern
wissen. Daß wir übrigens kein Drama erhalten, in welchem Cäsar Borgia
der Held ist, bedauern wir nur mäßig, denn es könnte doch nur ein Duplicat
von Richard til. sein. — Im dritten Drama ist nicht der Großfürst Alerei,
wie in Schillers Don Carlos, sondern Peter der Große der Genius, der mit
den Einrichtungen der Welt insofern in Conflict kommt, als sie ihn zwingen,
um des allgemeinen Wohls willen seinen Sohn hinrichten zu lassen. DaS
nächste Vorbild ist Immermann, doch hatte dieser das Problem insofern tra¬
gischer und historischer gefaßt, als er in der starken Willenskraft des Kaisers
etwas Dämonisches fand, das ihn zu einer argen That verleitete. Elise Schmidt
stellt sich einfach auf Seiten des weisen Monarchen, der zum Besten des Vater¬
landes mit tiefem Bedauern das Todesurtheil vollstrecken läßt. Beide haben
ihren Helden idealisirt; von dem wilden Barbaren, der aus angeborner Lust
höchst eigenhändig Dutzende von Verbrechern köpfte, ist nichts übrig geblieben;
wir sehen den wohlwollenden Monarchen vor uns, der nicht blos bis zum
Erceß rechtschaffen ne, der nicht blos seinen Unterthanen für alle Kinder
einsteht, die zum Militärdienst gezogen werden, sondern der auch eine ge¬
wisse Virtuosität im Verzeihen entwickelt, und den der Gedanke der Civili¬
sation als reines Ideal durchglüht. Der echte Peter verstand die Civili¬
sation, freilich in weit größerm Stil, ungefähr in der Weise Mehemed Alis,
und wenn er schon in der Jugend die Hingerichteten Strelitzen vor das
Fenster seiner Schwester hängen ließ, um ihr Gehorsam einzuprägen, so
war es nur folgerichtig, wenn er später seinen widerstrebenden und ungehor¬
samen Sohn umbrachte. Uebrigens fehlen die Dichter dieses Themas meistens
auch darin, daß sie den Sohn gar zu schwächlich darstellen. Es ist kein Kampf,
sondern eine Schlächterei, denn die Kräfte sind zu ungleich. Wie viel besser
hat es Byron verstanden, in der Parisina zwei ebenbürtige Naturen aufein¬
anderstoßen zu lassen. Das Thema an sich ist das alte, des Brutus, der
seine Söhne der Republik opfert; aber wenn an sich schon die'Herrschaft einer
Abstraction über die Totalität des Gefühls keinen dramatischen Eindruck macht,
so ist die Unnatur bei Brutus doch nicht so groß. Er ist Richter und Diener
der Republik; er muß gegen die sämmtlichen Verschwörer die äußerste Strenge
gebrauchen und kann daher seine Söhne nicht ausschließen. Peter dagegen
ist Selbstherrscher. Wenn er aus seiner leidenschaftlichen Natur heraus ge¬
waltthätig handelt, so haben wir nichts dagegen einzuwenden; aber die Ab'
straction hat kein Recht, denn sie hat keine Macht über ihn. — Noch eine Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/280>, abgerufen am 26.07.2024.