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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sauer Motive, dagegen ist die Gemeinheit zuweilen unerträglich, und die Form
und der Stoff oft auch in anderer Beziehung veraltet. ES ist gar kein Grund
vorhanden, warum man dergleichen nicht in einer geschickten Metamorphose
wieder auf die Bühne bringen sollte; und grade Männer wie Laube, welche
das Handwerk wie die Kunst verstehn, wären dazu am besten geeignet. Frei¬
lich ist eine Zeit der raschen lebendigen Production vorzuziehen; aber man
kann sich doch kaum mehr darüber täuschen, daß unsre Zeit nicht eine solche
ist. Schlecht gerechnet neun Zehntel aller gedruckten Dramen sterben vor der
Geburt d. h. sie werden weder gespielt noch gelesen, und von den übrigen hat
wiederum bei weitem die größere Hälfte einen nur momentanen oder localen
Erfolg. Der Trieb zur Production ist seit Ende der dreißiger Jahre ungeheuer
groß, das Talent ist aber nicht in gleichem Maße gewachsen, und man
darf daher eine Beeinträchtigung desselben durch Wiederaufnahme deS Alten
nicht befürchten. -- Wir wollen noch auf ein verwandtes Gebiet, hindeuten,
auf die Jnscenesetzung beliebter Romane, wie es namentlich Frau Birch-
Pseiffer fast fabrikmäßig betreibt. Kunstwerke im ernstern Sinn werden freilich
nicht daraus hervorgehen, und man kann es einem ernsten Dichter wie Auer-
bach nicht verdenken, wenn er sich über die Verstümmelung eines Stoffs, den er mit
so vieler Liebe bearbeitet, ereifert. Wenn wir aber fragen, ob der Kunst oder dem
Dichter ein Nachtheil daraus geschieht, so möchte die Antwort doch wol verneinend
ausfallen. Es ist doch immer besser, so allerliebste Scenen, wie sie in Dorf und Stadt
vorkommen, auch wenn ein abgeschmackter Schluß daran geklebt ist, auf dem Thea¬
ter zu sehen, als Originalerfindungen ohne Sinn und Verstand, und der Verleger
der Frau Professorin wird wahrhaftig auch keinen Schaden davon gehabt haben,
daß jeder deutsche Jüngling und jede deutsche Jungfrau das Lorle und den Wa¬
deleswirth auf dem Theater hat schwäbeln hören und auf ihre nähere Bekanntschaft
neugierig war. -- Es wurde damals von Gutzkow darauf aufmerksam gemacht,
daß es doch unbillig sei, wenn Frau Birch-Pfeiffer aus dem Geist und Talent
eines Andern Geldgewinn zöge. Allein dieser Gesichtspunkt kann doch nicht
maßgebend sein, denn es ist zwar sehr wünschenswert!), daß die Dichter für
ihr Talent und ihre Arbeit auch den äußern Lohn empfangen, aber einmal
können sie sich im Ganzen jetzt nicht darüber beklagen, (ein gut einschlagendes
Theaterstück bringt zwei- bis dreitausend Thaler ein, während Lobecks Aglao-
phamus mit fünf Thalern der Bogen bezahlt wurde und bei den meisten
Torlchungen die Philologen froh sind, wenn der Buchhändler ihre Werke um¬
sonst verlegt); andrerseits lassen sich geistige Producte doch nicht geradezu nach
dein industriellen Maßstab verwerthen. Wendet man einmal diesen Gesichts¬
punkt an, so muß man auch sagen: Waare ist Waare. Auch in der Industrie
wird nicht immer die Tüchtigkeit und Solidität, sondern ebenso häufig die
Mode bezahlt. Es gibt in dieser Beziehung keinen objectiven Werthmesser,


Grenzboten. II. 1836. Zj

sauer Motive, dagegen ist die Gemeinheit zuweilen unerträglich, und die Form
und der Stoff oft auch in anderer Beziehung veraltet. ES ist gar kein Grund
vorhanden, warum man dergleichen nicht in einer geschickten Metamorphose
wieder auf die Bühne bringen sollte; und grade Männer wie Laube, welche
das Handwerk wie die Kunst verstehn, wären dazu am besten geeignet. Frei¬
lich ist eine Zeit der raschen lebendigen Production vorzuziehen; aber man
kann sich doch kaum mehr darüber täuschen, daß unsre Zeit nicht eine solche
ist. Schlecht gerechnet neun Zehntel aller gedruckten Dramen sterben vor der
Geburt d. h. sie werden weder gespielt noch gelesen, und von den übrigen hat
wiederum bei weitem die größere Hälfte einen nur momentanen oder localen
Erfolg. Der Trieb zur Production ist seit Ende der dreißiger Jahre ungeheuer
groß, das Talent ist aber nicht in gleichem Maße gewachsen, und man
darf daher eine Beeinträchtigung desselben durch Wiederaufnahme deS Alten
nicht befürchten. — Wir wollen noch auf ein verwandtes Gebiet, hindeuten,
auf die Jnscenesetzung beliebter Romane, wie es namentlich Frau Birch-
Pseiffer fast fabrikmäßig betreibt. Kunstwerke im ernstern Sinn werden freilich
nicht daraus hervorgehen, und man kann es einem ernsten Dichter wie Auer-
bach nicht verdenken, wenn er sich über die Verstümmelung eines Stoffs, den er mit
so vieler Liebe bearbeitet, ereifert. Wenn wir aber fragen, ob der Kunst oder dem
Dichter ein Nachtheil daraus geschieht, so möchte die Antwort doch wol verneinend
ausfallen. Es ist doch immer besser, so allerliebste Scenen, wie sie in Dorf und Stadt
vorkommen, auch wenn ein abgeschmackter Schluß daran geklebt ist, auf dem Thea¬
ter zu sehen, als Originalerfindungen ohne Sinn und Verstand, und der Verleger
der Frau Professorin wird wahrhaftig auch keinen Schaden davon gehabt haben,
daß jeder deutsche Jüngling und jede deutsche Jungfrau das Lorle und den Wa¬
deleswirth auf dem Theater hat schwäbeln hören und auf ihre nähere Bekanntschaft
neugierig war. — Es wurde damals von Gutzkow darauf aufmerksam gemacht,
daß es doch unbillig sei, wenn Frau Birch-Pfeiffer aus dem Geist und Talent
eines Andern Geldgewinn zöge. Allein dieser Gesichtspunkt kann doch nicht
maßgebend sein, denn es ist zwar sehr wünschenswert!), daß die Dichter für
ihr Talent und ihre Arbeit auch den äußern Lohn empfangen, aber einmal
können sie sich im Ganzen jetzt nicht darüber beklagen, (ein gut einschlagendes
Theaterstück bringt zwei- bis dreitausend Thaler ein, während Lobecks Aglao-
phamus mit fünf Thalern der Bogen bezahlt wurde und bei den meisten
Torlchungen die Philologen froh sind, wenn der Buchhändler ihre Werke um¬
sonst verlegt); andrerseits lassen sich geistige Producte doch nicht geradezu nach
dein industriellen Maßstab verwerthen. Wendet man einmal diesen Gesichts¬
punkt an, so muß man auch sagen: Waare ist Waare. Auch in der Industrie
wird nicht immer die Tüchtigkeit und Solidität, sondern ebenso häufig die
Mode bezahlt. Es gibt in dieser Beziehung keinen objectiven Werthmesser,


Grenzboten. II. 1836. Zj
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[0273] sauer Motive, dagegen ist die Gemeinheit zuweilen unerträglich, und die Form und der Stoff oft auch in anderer Beziehung veraltet. ES ist gar kein Grund vorhanden, warum man dergleichen nicht in einer geschickten Metamorphose wieder auf die Bühne bringen sollte; und grade Männer wie Laube, welche das Handwerk wie die Kunst verstehn, wären dazu am besten geeignet. Frei¬ lich ist eine Zeit der raschen lebendigen Production vorzuziehen; aber man kann sich doch kaum mehr darüber täuschen, daß unsre Zeit nicht eine solche ist. Schlecht gerechnet neun Zehntel aller gedruckten Dramen sterben vor der Geburt d. h. sie werden weder gespielt noch gelesen, und von den übrigen hat wiederum bei weitem die größere Hälfte einen nur momentanen oder localen Erfolg. Der Trieb zur Production ist seit Ende der dreißiger Jahre ungeheuer groß, das Talent ist aber nicht in gleichem Maße gewachsen, und man darf daher eine Beeinträchtigung desselben durch Wiederaufnahme deS Alten nicht befürchten. — Wir wollen noch auf ein verwandtes Gebiet, hindeuten, auf die Jnscenesetzung beliebter Romane, wie es namentlich Frau Birch- Pseiffer fast fabrikmäßig betreibt. Kunstwerke im ernstern Sinn werden freilich nicht daraus hervorgehen, und man kann es einem ernsten Dichter wie Auer- bach nicht verdenken, wenn er sich über die Verstümmelung eines Stoffs, den er mit so vieler Liebe bearbeitet, ereifert. Wenn wir aber fragen, ob der Kunst oder dem Dichter ein Nachtheil daraus geschieht, so möchte die Antwort doch wol verneinend ausfallen. Es ist doch immer besser, so allerliebste Scenen, wie sie in Dorf und Stadt vorkommen, auch wenn ein abgeschmackter Schluß daran geklebt ist, auf dem Thea¬ ter zu sehen, als Originalerfindungen ohne Sinn und Verstand, und der Verleger der Frau Professorin wird wahrhaftig auch keinen Schaden davon gehabt haben, daß jeder deutsche Jüngling und jede deutsche Jungfrau das Lorle und den Wa¬ deleswirth auf dem Theater hat schwäbeln hören und auf ihre nähere Bekanntschaft neugierig war. — Es wurde damals von Gutzkow darauf aufmerksam gemacht, daß es doch unbillig sei, wenn Frau Birch-Pfeiffer aus dem Geist und Talent eines Andern Geldgewinn zöge. Allein dieser Gesichtspunkt kann doch nicht maßgebend sein, denn es ist zwar sehr wünschenswert!), daß die Dichter für ihr Talent und ihre Arbeit auch den äußern Lohn empfangen, aber einmal können sie sich im Ganzen jetzt nicht darüber beklagen, (ein gut einschlagendes Theaterstück bringt zwei- bis dreitausend Thaler ein, während Lobecks Aglao- phamus mit fünf Thalern der Bogen bezahlt wurde und bei den meisten Torlchungen die Philologen froh sind, wenn der Buchhändler ihre Werke um¬ sonst verlegt); andrerseits lassen sich geistige Producte doch nicht geradezu nach dein industriellen Maßstab verwerthen. Wendet man einmal diesen Gesichts¬ punkt an, so muß man auch sagen: Waare ist Waare. Auch in der Industrie wird nicht immer die Tüchtigkeit und Solidität, sondern ebenso häufig die Mode bezahlt. Es gibt in dieser Beziehung keinen objectiven Werthmesser, Grenzboten. II. 1836. Zj

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/273>, abgerufen am 21.06.2024.