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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Geistlichen werden bald ähnliche Verfügungen auferlegt werden. -- Bei allen
diesen Verhältnissen befindet sich noch die katholische Kirche am besten, denn
sie hat ein einfaches handgreifliches Recht, über das man nicht in Zweifel sein
kann. Dagegen walten in der protestantischen Kirche abweichende Ansichten
ob, und zuletzt wird man hier, man möge uns diese triviale Redensart ver¬
zeihen, nicht wissen, wer Koch, wer Kellner ist.

Nun gleichen sich zwar solche Uebelstände in der Praxis stets einigermaßen
aus, und wenn es sich um einen bestehenden Rechtszustand handelte, so würde
sich das noch ertragen lassen; aber es handelt sich um die Einführung eines
neuen, den bisherigen protestantischen Sitten und Gewohnheiten widersprechen¬
den Rechtszustanrcs, und da wird wol eine sorgfältige Ueberlegung nothwendig
sein, ehe man sich freiwillig die Hände binden läßt. Das Landrecht hat zwar
nicht die entscheidende principielle Lösung gefunden, welche der Kirche und
dem Staat gleichmäßig zu ihrem Rechte verhilft, nämlich die Civilehe, aber sie
ist doch von allen denkbaren Provisorien das erträglichste und zweckmäßigste.
Wenden wir uns nun zu der ernsthaftesten Seite des Eherechts, zu der Schei¬
dungsfrage, so treten wir hier in Beziehungen ein, die nicht den Charakter der
größern oder geringern Opportunist haben, sondern die tief in den innersten
Kern deS sittlichen Lebens eingreifen.

- In dieser Beziehung spricht der Verfasser der vorliegenden Broschüre ein
sehr ernstes, aber durchaus richtiges Wort: das Unsittliche der Stahlschen
Theorie liegt darin, daß nach ihr auch die tiefste sittliche Zerrüttung deS ehe¬
lichn, Lebens kein Scheidungsgrund ist, sondern nur die Verletzung des ehe¬
lichen.Verhältnisses "nach seiner Naturseite," d. h. der fleischliche Ehebruch und
die räumliche Absonderung durch bösliche Verlassung.

Mit welcher Folgerichtigkeit dieses falsche Princip durchgeführt ist, erkennt
man, wenn man die Scheidungsgründe erwägt, die nach dem Antrag der hoch¬
kirchlichen Partei aus dem Landrecht getilgt werden sollen. Das Landrecht
gestattet die Scheidung auf Grund des Wahnsinns. Der Abgeordnete Stahl,
sowie der Minister der geistlichen Angelegenheiten stellen dagegen auf, daß der
Wahnsinn die Liebe der Eltern zu den Kindern nicht tilgt, also auch nicht die
eheliche Liebe. Hier sind zwei Beziehungen miteinander verwechselt, die ein¬
ander ganz fern liegen. Das Band deS Bluts hört nie auf, die Ehe dagegen
ist etwas Gewordenes, welches daher von den endlichen Zuständen abhängig
bleibt. Am schönsten und edelsten wird es freilich sein) wenn die Treue auch da
fortdauert, wo keine Beziehung des Geistes mehr stattfindet. Aber das Gesetz
'se nicht dazu da, schöne und edle Gefühle zu firiren, sie zur Pflicht zu machen.
Durch den Wahnsinn ist factisch das geistige Band gelöst, es muß daher auch
die gesetzliche Lösung möglich gemacht werden. -- Aber noch charakteristischer
sind die andern Bestimmungen. Das Landrecht gestattet die Scheidung wegen


Geistlichen werden bald ähnliche Verfügungen auferlegt werden. — Bei allen
diesen Verhältnissen befindet sich noch die katholische Kirche am besten, denn
sie hat ein einfaches handgreifliches Recht, über das man nicht in Zweifel sein
kann. Dagegen walten in der protestantischen Kirche abweichende Ansichten
ob, und zuletzt wird man hier, man möge uns diese triviale Redensart ver¬
zeihen, nicht wissen, wer Koch, wer Kellner ist.

Nun gleichen sich zwar solche Uebelstände in der Praxis stets einigermaßen
aus, und wenn es sich um einen bestehenden Rechtszustand handelte, so würde
sich das noch ertragen lassen; aber es handelt sich um die Einführung eines
neuen, den bisherigen protestantischen Sitten und Gewohnheiten widersprechen¬
den Rechtszustanrcs, und da wird wol eine sorgfältige Ueberlegung nothwendig
sein, ehe man sich freiwillig die Hände binden läßt. Das Landrecht hat zwar
nicht die entscheidende principielle Lösung gefunden, welche der Kirche und
dem Staat gleichmäßig zu ihrem Rechte verhilft, nämlich die Civilehe, aber sie
ist doch von allen denkbaren Provisorien das erträglichste und zweckmäßigste.
Wenden wir uns nun zu der ernsthaftesten Seite des Eherechts, zu der Schei¬
dungsfrage, so treten wir hier in Beziehungen ein, die nicht den Charakter der
größern oder geringern Opportunist haben, sondern die tief in den innersten
Kern deS sittlichen Lebens eingreifen.

- In dieser Beziehung spricht der Verfasser der vorliegenden Broschüre ein
sehr ernstes, aber durchaus richtiges Wort: das Unsittliche der Stahlschen
Theorie liegt darin, daß nach ihr auch die tiefste sittliche Zerrüttung deS ehe¬
lichn, Lebens kein Scheidungsgrund ist, sondern nur die Verletzung des ehe¬
lichen.Verhältnisses „nach seiner Naturseite," d. h. der fleischliche Ehebruch und
die räumliche Absonderung durch bösliche Verlassung.

Mit welcher Folgerichtigkeit dieses falsche Princip durchgeführt ist, erkennt
man, wenn man die Scheidungsgründe erwägt, die nach dem Antrag der hoch¬
kirchlichen Partei aus dem Landrecht getilgt werden sollen. Das Landrecht
gestattet die Scheidung auf Grund des Wahnsinns. Der Abgeordnete Stahl,
sowie der Minister der geistlichen Angelegenheiten stellen dagegen auf, daß der
Wahnsinn die Liebe der Eltern zu den Kindern nicht tilgt, also auch nicht die
eheliche Liebe. Hier sind zwei Beziehungen miteinander verwechselt, die ein¬
ander ganz fern liegen. Das Band deS Bluts hört nie auf, die Ehe dagegen
ist etwas Gewordenes, welches daher von den endlichen Zuständen abhängig
bleibt. Am schönsten und edelsten wird es freilich sein) wenn die Treue auch da
fortdauert, wo keine Beziehung des Geistes mehr stattfindet. Aber das Gesetz
'se nicht dazu da, schöne und edle Gefühle zu firiren, sie zur Pflicht zu machen.
Durch den Wahnsinn ist factisch das geistige Band gelöst, es muß daher auch
die gesetzliche Lösung möglich gemacht werden. — Aber noch charakteristischer
sind die andern Bestimmungen. Das Landrecht gestattet die Scheidung wegen


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[0269] Geistlichen werden bald ähnliche Verfügungen auferlegt werden. — Bei allen diesen Verhältnissen befindet sich noch die katholische Kirche am besten, denn sie hat ein einfaches handgreifliches Recht, über das man nicht in Zweifel sein kann. Dagegen walten in der protestantischen Kirche abweichende Ansichten ob, und zuletzt wird man hier, man möge uns diese triviale Redensart ver¬ zeihen, nicht wissen, wer Koch, wer Kellner ist. Nun gleichen sich zwar solche Uebelstände in der Praxis stets einigermaßen aus, und wenn es sich um einen bestehenden Rechtszustand handelte, so würde sich das noch ertragen lassen; aber es handelt sich um die Einführung eines neuen, den bisherigen protestantischen Sitten und Gewohnheiten widersprechen¬ den Rechtszustanrcs, und da wird wol eine sorgfältige Ueberlegung nothwendig sein, ehe man sich freiwillig die Hände binden läßt. Das Landrecht hat zwar nicht die entscheidende principielle Lösung gefunden, welche der Kirche und dem Staat gleichmäßig zu ihrem Rechte verhilft, nämlich die Civilehe, aber sie ist doch von allen denkbaren Provisorien das erträglichste und zweckmäßigste. Wenden wir uns nun zu der ernsthaftesten Seite des Eherechts, zu der Schei¬ dungsfrage, so treten wir hier in Beziehungen ein, die nicht den Charakter der größern oder geringern Opportunist haben, sondern die tief in den innersten Kern deS sittlichen Lebens eingreifen. - In dieser Beziehung spricht der Verfasser der vorliegenden Broschüre ein sehr ernstes, aber durchaus richtiges Wort: das Unsittliche der Stahlschen Theorie liegt darin, daß nach ihr auch die tiefste sittliche Zerrüttung deS ehe¬ lichn, Lebens kein Scheidungsgrund ist, sondern nur die Verletzung des ehe¬ lichen.Verhältnisses „nach seiner Naturseite," d. h. der fleischliche Ehebruch und die räumliche Absonderung durch bösliche Verlassung. Mit welcher Folgerichtigkeit dieses falsche Princip durchgeführt ist, erkennt man, wenn man die Scheidungsgründe erwägt, die nach dem Antrag der hoch¬ kirchlichen Partei aus dem Landrecht getilgt werden sollen. Das Landrecht gestattet die Scheidung auf Grund des Wahnsinns. Der Abgeordnete Stahl, sowie der Minister der geistlichen Angelegenheiten stellen dagegen auf, daß der Wahnsinn die Liebe der Eltern zu den Kindern nicht tilgt, also auch nicht die eheliche Liebe. Hier sind zwei Beziehungen miteinander verwechselt, die ein¬ ander ganz fern liegen. Das Band deS Bluts hört nie auf, die Ehe dagegen ist etwas Gewordenes, welches daher von den endlichen Zuständen abhängig bleibt. Am schönsten und edelsten wird es freilich sein) wenn die Treue auch da fortdauert, wo keine Beziehung des Geistes mehr stattfindet. Aber das Gesetz 'se nicht dazu da, schöne und edle Gefühle zu firiren, sie zur Pflicht zu machen. Durch den Wahnsinn ist factisch das geistige Band gelöst, es muß daher auch die gesetzliche Lösung möglich gemacht werden. — Aber noch charakteristischer sind die andern Bestimmungen. Das Landrecht gestattet die Scheidung wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/269>, abgerufen am 21.06.2024.