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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ferner die Geistlichen der nichtunirten lutherischen und der nichtunirten refor-
mirten Confession, der Herrnhuter und Mennoniten, endlich die jüdischen
Rabbiner. Wie es mit den Engeln und Viceengeln der Jrvingianer beschaffen
sein soll, ist uns nicht bekannt. Den Geistlichen der Lichtfreunde und Deutsch¬
katholiken soll nach der strengen Theorie das Recht der Trauung versagt sein.

Nach derselben Theorie darf der Staat dem Gewissen der einzelnen Geist¬
lichen keinen Zwang anthun. Der Geistliche, der eine neue Ehe zu sanctioniren
mit seinem Gewissen nicht für vereinbar hielt, konnte dazu nicht gezwungen
werden. So weit ging man bis noch vor wenigen Jahren, man erkannte das
individuelle Gewissen der Geistlichen als letzte Instanz an.

Jetzt ist man weiter gegangen; zwar nicht dem Staat, wol aber dem
Kirchenregiment räumt man allerdings einen Zwang auf das individuelle Ge¬
wissen ein; man verwehrt den Geistlichen, seinem individuellen Gewissen ge¬
mäß eine neue Ehe zu sanctioniren, sobald diese mit den allgemeinen kirchlichen
Principien unvereinbar ist.

Welches sind nun die allgemeinen kirchlichen Principien? Die Frage ist
nicht müßig, denn wenn auch die Neulutheraner sich den Katholiken so viel
als möglich nähern, so bleibt doch zwischen ihnen ein himmelweiter Unterschied
bestehen. Erstens ist die Ehe bei den Katholiken ein Sacrament, bei den Pro¬
testanten nicht. Man mag von Seiten der Neulutheraner den annäherungs-
weise sacramentalen Charakter des Instituts so scharf hervorheben, man mag
die Scheidungsgründe so sehr erschweren, als man will, immer fehlt der pro¬
testantischen Ehe das Kriterium des Sacraments, die Jndelibilität. Auch die
neuesten neulutherischen Anträge lassen die wirkliche Scheidung (mithin das
Recht, eine neue Ehe einzugehen) auf Grund des Ehebruchs gelten. Zweitens
geht das katholische Kirchenrecht von andern Bedingungen einer wirklichen Ehe
aus, als das protestantische. Nach dem katholischen Kirchenrecht sind viele
Ehen wegen verbotener Verwandtschaftsgrade und dergl. null und nichtig, deren
Giltigkeit nach lutherischem Kirchenrecht außer Frage steht. Es wird daher un¬
möglich sein, aus zwei in der Hauptsache einander widersprechenden Systemen,
ganz abgesehen von den noch weiter abweichenden Normen der übrigen Sekten,
ein gemeinsames Recht herzuleiten. Nun wird zunächst kein Prediger einer
der anerkannten Confessionen ein Paar einsegnen noch einsegnen dürfen, welches
nicht zu seiner Kirche gehört. Ob es zu seiner Kirche gehört, ist wieder nicht
landrechtlich, sondern kirchenrechtlich festzustellen. Mit dem Gewissen manches
Geistlichen wird es unvereinbar sein, jemand zu seiner Kirche zu rechnen, der
im Lauf einer bestimmten Zeit nicht das Abendmahl genommen hat, und das
Kirchenregiment wird voraussichtlich dieses Gewissen bestätigen. Kein katholischer
Geistlicher darf eine gemischte Ehe einsegnen, in der sich nicht das Ehepaar-
verpflichtet, alle Kinder katholisch erziehen zu lassen. Dem protestantischen


ferner die Geistlichen der nichtunirten lutherischen und der nichtunirten refor-
mirten Confession, der Herrnhuter und Mennoniten, endlich die jüdischen
Rabbiner. Wie es mit den Engeln und Viceengeln der Jrvingianer beschaffen
sein soll, ist uns nicht bekannt. Den Geistlichen der Lichtfreunde und Deutsch¬
katholiken soll nach der strengen Theorie das Recht der Trauung versagt sein.

Nach derselben Theorie darf der Staat dem Gewissen der einzelnen Geist¬
lichen keinen Zwang anthun. Der Geistliche, der eine neue Ehe zu sanctioniren
mit seinem Gewissen nicht für vereinbar hielt, konnte dazu nicht gezwungen
werden. So weit ging man bis noch vor wenigen Jahren, man erkannte das
individuelle Gewissen der Geistlichen als letzte Instanz an.

Jetzt ist man weiter gegangen; zwar nicht dem Staat, wol aber dem
Kirchenregiment räumt man allerdings einen Zwang auf das individuelle Ge¬
wissen ein; man verwehrt den Geistlichen, seinem individuellen Gewissen ge¬
mäß eine neue Ehe zu sanctioniren, sobald diese mit den allgemeinen kirchlichen
Principien unvereinbar ist.

Welches sind nun die allgemeinen kirchlichen Principien? Die Frage ist
nicht müßig, denn wenn auch die Neulutheraner sich den Katholiken so viel
als möglich nähern, so bleibt doch zwischen ihnen ein himmelweiter Unterschied
bestehen. Erstens ist die Ehe bei den Katholiken ein Sacrament, bei den Pro¬
testanten nicht. Man mag von Seiten der Neulutheraner den annäherungs-
weise sacramentalen Charakter des Instituts so scharf hervorheben, man mag
die Scheidungsgründe so sehr erschweren, als man will, immer fehlt der pro¬
testantischen Ehe das Kriterium des Sacraments, die Jndelibilität. Auch die
neuesten neulutherischen Anträge lassen die wirkliche Scheidung (mithin das
Recht, eine neue Ehe einzugehen) auf Grund des Ehebruchs gelten. Zweitens
geht das katholische Kirchenrecht von andern Bedingungen einer wirklichen Ehe
aus, als das protestantische. Nach dem katholischen Kirchenrecht sind viele
Ehen wegen verbotener Verwandtschaftsgrade und dergl. null und nichtig, deren
Giltigkeit nach lutherischem Kirchenrecht außer Frage steht. Es wird daher un¬
möglich sein, aus zwei in der Hauptsache einander widersprechenden Systemen,
ganz abgesehen von den noch weiter abweichenden Normen der übrigen Sekten,
ein gemeinsames Recht herzuleiten. Nun wird zunächst kein Prediger einer
der anerkannten Confessionen ein Paar einsegnen noch einsegnen dürfen, welches
nicht zu seiner Kirche gehört. Ob es zu seiner Kirche gehört, ist wieder nicht
landrechtlich, sondern kirchenrechtlich festzustellen. Mit dem Gewissen manches
Geistlichen wird es unvereinbar sein, jemand zu seiner Kirche zu rechnen, der
im Lauf einer bestimmten Zeit nicht das Abendmahl genommen hat, und das
Kirchenregiment wird voraussichtlich dieses Gewissen bestätigen. Kein katholischer
Geistlicher darf eine gemischte Ehe einsegnen, in der sich nicht das Ehepaar-
verpflichtet, alle Kinder katholisch erziehen zu lassen. Dem protestantischen


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[0268] ferner die Geistlichen der nichtunirten lutherischen und der nichtunirten refor- mirten Confession, der Herrnhuter und Mennoniten, endlich die jüdischen Rabbiner. Wie es mit den Engeln und Viceengeln der Jrvingianer beschaffen sein soll, ist uns nicht bekannt. Den Geistlichen der Lichtfreunde und Deutsch¬ katholiken soll nach der strengen Theorie das Recht der Trauung versagt sein. Nach derselben Theorie darf der Staat dem Gewissen der einzelnen Geist¬ lichen keinen Zwang anthun. Der Geistliche, der eine neue Ehe zu sanctioniren mit seinem Gewissen nicht für vereinbar hielt, konnte dazu nicht gezwungen werden. So weit ging man bis noch vor wenigen Jahren, man erkannte das individuelle Gewissen der Geistlichen als letzte Instanz an. Jetzt ist man weiter gegangen; zwar nicht dem Staat, wol aber dem Kirchenregiment räumt man allerdings einen Zwang auf das individuelle Ge¬ wissen ein; man verwehrt den Geistlichen, seinem individuellen Gewissen ge¬ mäß eine neue Ehe zu sanctioniren, sobald diese mit den allgemeinen kirchlichen Principien unvereinbar ist. Welches sind nun die allgemeinen kirchlichen Principien? Die Frage ist nicht müßig, denn wenn auch die Neulutheraner sich den Katholiken so viel als möglich nähern, so bleibt doch zwischen ihnen ein himmelweiter Unterschied bestehen. Erstens ist die Ehe bei den Katholiken ein Sacrament, bei den Pro¬ testanten nicht. Man mag von Seiten der Neulutheraner den annäherungs- weise sacramentalen Charakter des Instituts so scharf hervorheben, man mag die Scheidungsgründe so sehr erschweren, als man will, immer fehlt der pro¬ testantischen Ehe das Kriterium des Sacraments, die Jndelibilität. Auch die neuesten neulutherischen Anträge lassen die wirkliche Scheidung (mithin das Recht, eine neue Ehe einzugehen) auf Grund des Ehebruchs gelten. Zweitens geht das katholische Kirchenrecht von andern Bedingungen einer wirklichen Ehe aus, als das protestantische. Nach dem katholischen Kirchenrecht sind viele Ehen wegen verbotener Verwandtschaftsgrade und dergl. null und nichtig, deren Giltigkeit nach lutherischem Kirchenrecht außer Frage steht. Es wird daher un¬ möglich sein, aus zwei in der Hauptsache einander widersprechenden Systemen, ganz abgesehen von den noch weiter abweichenden Normen der übrigen Sekten, ein gemeinsames Recht herzuleiten. Nun wird zunächst kein Prediger einer der anerkannten Confessionen ein Paar einsegnen noch einsegnen dürfen, welches nicht zu seiner Kirche gehört. Ob es zu seiner Kirche gehört, ist wieder nicht landrechtlich, sondern kirchenrechtlich festzustellen. Mit dem Gewissen manches Geistlichen wird es unvereinbar sein, jemand zu seiner Kirche zu rechnen, der im Lauf einer bestimmten Zeit nicht das Abendmahl genommen hat, und das Kirchenregiment wird voraussichtlich dieses Gewissen bestätigen. Kein katholischer Geistlicher darf eine gemischte Ehe einsegnen, in der sich nicht das Ehepaar- verpflichtet, alle Kinder katholisch erziehen zu lassen. Dem protestantischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/268>, abgerufen am 21.06.2024.