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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Einmal hat das deutsche Volk, lange ehe es zum Christenthum bekehrt
wurde, die Ehe gekannt, es hat sie im Wesentlichen in derselben Weise auf¬
gefaßt, wie wir sie auffassen.

Sodann wird es schwierig sein, das Eherecht z. B. deS preußischen
Staats aus kirchlichen Principien herzuleiten, da die staatsrechtlich aner¬
kannten Kirchen nicht etwa blos in Nebendingen, sondern im Grundprincip
voneinander abweichen.

Betrachten wir zunächst die gesetzlich anerkannten Confessionen im preußischen
Staat. Bis zu den letzten Decennien bestanden zwei gleichberechtigte Kirchen,
die evangelisch-unirte und die römisch-katholische. Daneben eristirten noch nicht
unirte reformirte Gemeinden, namentlich die französischen. Bei der Thron¬
besteigung des jetzt regierenden Königs wurde den nicht ünirten Lutheranern,
und zwar mit vollem' Recht, gleichfalls die Anerkennung des Staats zu Theil.
Als man die Zügel der sogenannten Landeskirche, d. h. der unirt-evangelischen,
straffer anzog, entschädigte man diejenigen Prediger und diejenigen Gemeinden,
welche sich mit den bestehenden Vorschriften der Landeskirche in ihrem Gewissen
nicht einverstanden erklären konnten, durch die Berechtigung, sich zu eignen Ge¬
meinden abzusondern. Es gingen daraus zunächst die sogenannten Deutsch¬
katholiken hervor, dann die sogenannten Freien Gemeinden, die zwar vom
Staat vielfach beunruhigt wurden, aber auf alle Fälle noch sorteristiren. Von
anderweitigen Sekten, den Jrvingianern, Gichteliancrn u. s. w., haben wir
keine nähere Kunde, doch sind als constituirte und organisirte Gemeinden noch
die Herrnhuter und Mennoniten in Betracht zu ziehen. -- Zu diesen ver¬
schiedenen Confessionen und Sekten sind neuerdings noch zwei andere gekommen.
Zur allgemeinen Ueberraschung ist nämlich von Seiten des Kirchenregiments
ausgesprochen und so weit als thunlich durchgeführt worden, daß die Union
nicht als eine Verschmelzung, sondern nur als eine Befreundung betrachtet
werden solle. Die evangelisch-unirte preußische Landeskirche zerfällt demnach
gegenwärtig in drei Abtheilungen: 1) in die unirt-lutherische, 2) in die unirt-
reformirte, 3) in die unirte ohne weitern Zusatz. Dazu kommen dann als
anerkannte Confessionen 6) die nicht unirte lutherische, S) die nicht unirte re¬
formirte; außerdem die vorhin erwähnten Sekten, inclusive der geduldeten Licht¬
freunde und Deutschkatholiken. Endlich sind noch die Juden in Erwägung zu
Ziehn. Man hat zwar über den Grad der Emancipation, der denselben zu
Theil werden soll, verschiedene Ansichten, aber darüber sind doch wenigstens
alle einig, daß sie das Recht haben, sich untereinander zu verheirathen. -- Nach
der neuesten Theorie würden sich also die Verhältnisse in Bezug auf das Ehe-
recht folgendermaßen gestalten.

Das Recht, zu trauen, haben die Geistlichen der römisch-katholischen, der
uuirt-lutherischen, der unirt-reformirten,, der unirten Konfession im Allgemeinen;


33 *

Einmal hat das deutsche Volk, lange ehe es zum Christenthum bekehrt
wurde, die Ehe gekannt, es hat sie im Wesentlichen in derselben Weise auf¬
gefaßt, wie wir sie auffassen.

Sodann wird es schwierig sein, das Eherecht z. B. deS preußischen
Staats aus kirchlichen Principien herzuleiten, da die staatsrechtlich aner¬
kannten Kirchen nicht etwa blos in Nebendingen, sondern im Grundprincip
voneinander abweichen.

Betrachten wir zunächst die gesetzlich anerkannten Confessionen im preußischen
Staat. Bis zu den letzten Decennien bestanden zwei gleichberechtigte Kirchen,
die evangelisch-unirte und die römisch-katholische. Daneben eristirten noch nicht
unirte reformirte Gemeinden, namentlich die französischen. Bei der Thron¬
besteigung des jetzt regierenden Königs wurde den nicht ünirten Lutheranern,
und zwar mit vollem' Recht, gleichfalls die Anerkennung des Staats zu Theil.
Als man die Zügel der sogenannten Landeskirche, d. h. der unirt-evangelischen,
straffer anzog, entschädigte man diejenigen Prediger und diejenigen Gemeinden,
welche sich mit den bestehenden Vorschriften der Landeskirche in ihrem Gewissen
nicht einverstanden erklären konnten, durch die Berechtigung, sich zu eignen Ge¬
meinden abzusondern. Es gingen daraus zunächst die sogenannten Deutsch¬
katholiken hervor, dann die sogenannten Freien Gemeinden, die zwar vom
Staat vielfach beunruhigt wurden, aber auf alle Fälle noch sorteristiren. Von
anderweitigen Sekten, den Jrvingianern, Gichteliancrn u. s. w., haben wir
keine nähere Kunde, doch sind als constituirte und organisirte Gemeinden noch
die Herrnhuter und Mennoniten in Betracht zu ziehen. — Zu diesen ver¬
schiedenen Confessionen und Sekten sind neuerdings noch zwei andere gekommen.
Zur allgemeinen Ueberraschung ist nämlich von Seiten des Kirchenregiments
ausgesprochen und so weit als thunlich durchgeführt worden, daß die Union
nicht als eine Verschmelzung, sondern nur als eine Befreundung betrachtet
werden solle. Die evangelisch-unirte preußische Landeskirche zerfällt demnach
gegenwärtig in drei Abtheilungen: 1) in die unirt-lutherische, 2) in die unirt-
reformirte, 3) in die unirte ohne weitern Zusatz. Dazu kommen dann als
anerkannte Confessionen 6) die nicht unirte lutherische, S) die nicht unirte re¬
formirte; außerdem die vorhin erwähnten Sekten, inclusive der geduldeten Licht¬
freunde und Deutschkatholiken. Endlich sind noch die Juden in Erwägung zu
Ziehn. Man hat zwar über den Grad der Emancipation, der denselben zu
Theil werden soll, verschiedene Ansichten, aber darüber sind doch wenigstens
alle einig, daß sie das Recht haben, sich untereinander zu verheirathen. — Nach
der neuesten Theorie würden sich also die Verhältnisse in Bezug auf das Ehe-
recht folgendermaßen gestalten.

Das Recht, zu trauen, haben die Geistlichen der römisch-katholischen, der
uuirt-lutherischen, der unirt-reformirten,, der unirten Konfession im Allgemeinen;


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[0267] Einmal hat das deutsche Volk, lange ehe es zum Christenthum bekehrt wurde, die Ehe gekannt, es hat sie im Wesentlichen in derselben Weise auf¬ gefaßt, wie wir sie auffassen. Sodann wird es schwierig sein, das Eherecht z. B. deS preußischen Staats aus kirchlichen Principien herzuleiten, da die staatsrechtlich aner¬ kannten Kirchen nicht etwa blos in Nebendingen, sondern im Grundprincip voneinander abweichen. Betrachten wir zunächst die gesetzlich anerkannten Confessionen im preußischen Staat. Bis zu den letzten Decennien bestanden zwei gleichberechtigte Kirchen, die evangelisch-unirte und die römisch-katholische. Daneben eristirten noch nicht unirte reformirte Gemeinden, namentlich die französischen. Bei der Thron¬ besteigung des jetzt regierenden Königs wurde den nicht ünirten Lutheranern, und zwar mit vollem' Recht, gleichfalls die Anerkennung des Staats zu Theil. Als man die Zügel der sogenannten Landeskirche, d. h. der unirt-evangelischen, straffer anzog, entschädigte man diejenigen Prediger und diejenigen Gemeinden, welche sich mit den bestehenden Vorschriften der Landeskirche in ihrem Gewissen nicht einverstanden erklären konnten, durch die Berechtigung, sich zu eignen Ge¬ meinden abzusondern. Es gingen daraus zunächst die sogenannten Deutsch¬ katholiken hervor, dann die sogenannten Freien Gemeinden, die zwar vom Staat vielfach beunruhigt wurden, aber auf alle Fälle noch sorteristiren. Von anderweitigen Sekten, den Jrvingianern, Gichteliancrn u. s. w., haben wir keine nähere Kunde, doch sind als constituirte und organisirte Gemeinden noch die Herrnhuter und Mennoniten in Betracht zu ziehen. — Zu diesen ver¬ schiedenen Confessionen und Sekten sind neuerdings noch zwei andere gekommen. Zur allgemeinen Ueberraschung ist nämlich von Seiten des Kirchenregiments ausgesprochen und so weit als thunlich durchgeführt worden, daß die Union nicht als eine Verschmelzung, sondern nur als eine Befreundung betrachtet werden solle. Die evangelisch-unirte preußische Landeskirche zerfällt demnach gegenwärtig in drei Abtheilungen: 1) in die unirt-lutherische, 2) in die unirt- reformirte, 3) in die unirte ohne weitern Zusatz. Dazu kommen dann als anerkannte Confessionen 6) die nicht unirte lutherische, S) die nicht unirte re¬ formirte; außerdem die vorhin erwähnten Sekten, inclusive der geduldeten Licht¬ freunde und Deutschkatholiken. Endlich sind noch die Juden in Erwägung zu Ziehn. Man hat zwar über den Grad der Emancipation, der denselben zu Theil werden soll, verschiedene Ansichten, aber darüber sind doch wenigstens alle einig, daß sie das Recht haben, sich untereinander zu verheirathen. — Nach der neuesten Theorie würden sich also die Verhältnisse in Bezug auf das Ehe- recht folgendermaßen gestalten. Das Recht, zu trauen, haben die Geistlichen der römisch-katholischen, der uuirt-lutherischen, der unirt-reformirten,, der unirten Konfession im Allgemeinen; 33 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/267>, abgerufen am 21.06.2024.