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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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am nachtheiligsten für den Beamten selbst, der durch eine lange Gewohnheit
zu einer einseitig arbeitenden Maschine herabgesetzt den freien Gebrauch seiner
Gliedmaßen und Geisteskräfte verloren hat und nicht mehr im Stande ist, nach
einer andern Richtung hin thätig zu sein. Wir sind vollkommen mit denen
einverstanden, die in der Ueberzeugung, daß viel zu viel Papier unnütz ver¬
schrieben wird, eine wesentliche Beschränkung des Beamtenthums herbeizuführen
wünschen. Wir hoffen, daß mehr und mehr die Staatsbeamten sich in
Communalbeamte verwandeln werden, und daß damit der Nimbus eines
königlichen Officianten aufhört, der bisher so viele thörichte Jünglinge ver¬
lockte.

Aber diese Umwandlung wird so schnell nicht durchzuführen sein, da wir
erst allmälig lernen müssen aus eignen Füßen zu stehen, und da bisher die
verschiedenen politischen Parteien, welches Symbol sie auch auf ihre Fahne
schreiben mögen, der Durchführung desselben doch fast ohne Unterschied auf dem
hergebrachten bureaukratischen Wege nachstreben. Der Staat, der es zu¬
gelassen hat, daß ein Beamtenproletariat sich bildet, übernimmt damit still¬
schweigend die Verpflichtung, wenigstens bis zu den Grenzen der Möglichkeit
dafür zu sorgen.

Sehr charakteristisch ist das in dem obigen Artikel mitgetheilte Rescript an
die Katastralbeamten, sie sollten, sobald sie amtsunfähig wären, bei Zeiten
dafür sorgen, sich einen andern Lebenserwerb zu verschaffen. Aber dazu sind
sie nicht mehr im Stande. Ihr Arm ist zu schwach geworden, um Holz zu
hacken oder Steine zu klopfen, ihr Kopf hat eine zu einseitige Richtung ge¬
nommen, um sich in etwas Anderes zu finden.

Wir sind gewiß nicht der Ansicht, daß der Staat aller Noth abhelfen soll.
Sobald man sich eine Aufgabe stellt, die über die Kräfte geht, restgnirt man
sich sehr schnell darauf, gar nichts zu thun; aber innerhalb der Sphäre seiner
Wirksamkeit muß der Staat das Seinige thun; er muß seine eignen Beamten
standesmäßig besolden; ja wir gehen in unsern Anforderungen noch weiter.
Wenn man z. B., über den schrecklichen Nothstand der Schullehrer geklagt und
den Staat zum Einschreiten aufgefordert hat, so war die gewöhnliche Antwort,
es seien das keine Staatsbeamten, und der Staat könne in die Rechte und
Pflichten der Communen nicht eingreifen. Dieselbe politische Partei, die sonst
den Gemeinden alle Selbstständigkeit entziehen möchte, und die Kategorie der
Beamten, die dem Ministerium unbedingte Unterstützung schuldig seien, bis auf
die Gebirgsführer und Schweinehirten ausdehnt, sängt hier, wo es gilt, thätig
^"zugreifen, sofort von der Souveränetät der Communen zu träumen an. Die
Sache steht aber so, daß der Schulunterricht von Staatswegen für eine
Zwangspflicht erklärt wird, und da er sich außerdem das Aufstchtsrecht über
"lie Schulen vorbehält, so geht er damit hie Verpflichtung ein, seine Anfor-


am nachtheiligsten für den Beamten selbst, der durch eine lange Gewohnheit
zu einer einseitig arbeitenden Maschine herabgesetzt den freien Gebrauch seiner
Gliedmaßen und Geisteskräfte verloren hat und nicht mehr im Stande ist, nach
einer andern Richtung hin thätig zu sein. Wir sind vollkommen mit denen
einverstanden, die in der Ueberzeugung, daß viel zu viel Papier unnütz ver¬
schrieben wird, eine wesentliche Beschränkung des Beamtenthums herbeizuführen
wünschen. Wir hoffen, daß mehr und mehr die Staatsbeamten sich in
Communalbeamte verwandeln werden, und daß damit der Nimbus eines
königlichen Officianten aufhört, der bisher so viele thörichte Jünglinge ver¬
lockte.

Aber diese Umwandlung wird so schnell nicht durchzuführen sein, da wir
erst allmälig lernen müssen aus eignen Füßen zu stehen, und da bisher die
verschiedenen politischen Parteien, welches Symbol sie auch auf ihre Fahne
schreiben mögen, der Durchführung desselben doch fast ohne Unterschied auf dem
hergebrachten bureaukratischen Wege nachstreben. Der Staat, der es zu¬
gelassen hat, daß ein Beamtenproletariat sich bildet, übernimmt damit still¬
schweigend die Verpflichtung, wenigstens bis zu den Grenzen der Möglichkeit
dafür zu sorgen.

Sehr charakteristisch ist das in dem obigen Artikel mitgetheilte Rescript an
die Katastralbeamten, sie sollten, sobald sie amtsunfähig wären, bei Zeiten
dafür sorgen, sich einen andern Lebenserwerb zu verschaffen. Aber dazu sind
sie nicht mehr im Stande. Ihr Arm ist zu schwach geworden, um Holz zu
hacken oder Steine zu klopfen, ihr Kopf hat eine zu einseitige Richtung ge¬
nommen, um sich in etwas Anderes zu finden.

Wir sind gewiß nicht der Ansicht, daß der Staat aller Noth abhelfen soll.
Sobald man sich eine Aufgabe stellt, die über die Kräfte geht, restgnirt man
sich sehr schnell darauf, gar nichts zu thun; aber innerhalb der Sphäre seiner
Wirksamkeit muß der Staat das Seinige thun; er muß seine eignen Beamten
standesmäßig besolden; ja wir gehen in unsern Anforderungen noch weiter.
Wenn man z. B., über den schrecklichen Nothstand der Schullehrer geklagt und
den Staat zum Einschreiten aufgefordert hat, so war die gewöhnliche Antwort,
es seien das keine Staatsbeamten, und der Staat könne in die Rechte und
Pflichten der Communen nicht eingreifen. Dieselbe politische Partei, die sonst
den Gemeinden alle Selbstständigkeit entziehen möchte, und die Kategorie der
Beamten, die dem Ministerium unbedingte Unterstützung schuldig seien, bis auf
die Gebirgsführer und Schweinehirten ausdehnt, sängt hier, wo es gilt, thätig
^"zugreifen, sofort von der Souveränetät der Communen zu träumen an. Die
Sache steht aber so, daß der Schulunterricht von Staatswegen für eine
Zwangspflicht erklärt wird, und da er sich außerdem das Aufstchtsrecht über
"lie Schulen vorbehält, so geht er damit hie Verpflichtung ein, seine Anfor-


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[0261] am nachtheiligsten für den Beamten selbst, der durch eine lange Gewohnheit zu einer einseitig arbeitenden Maschine herabgesetzt den freien Gebrauch seiner Gliedmaßen und Geisteskräfte verloren hat und nicht mehr im Stande ist, nach einer andern Richtung hin thätig zu sein. Wir sind vollkommen mit denen einverstanden, die in der Ueberzeugung, daß viel zu viel Papier unnütz ver¬ schrieben wird, eine wesentliche Beschränkung des Beamtenthums herbeizuführen wünschen. Wir hoffen, daß mehr und mehr die Staatsbeamten sich in Communalbeamte verwandeln werden, und daß damit der Nimbus eines königlichen Officianten aufhört, der bisher so viele thörichte Jünglinge ver¬ lockte. Aber diese Umwandlung wird so schnell nicht durchzuführen sein, da wir erst allmälig lernen müssen aus eignen Füßen zu stehen, und da bisher die verschiedenen politischen Parteien, welches Symbol sie auch auf ihre Fahne schreiben mögen, der Durchführung desselben doch fast ohne Unterschied auf dem hergebrachten bureaukratischen Wege nachstreben. Der Staat, der es zu¬ gelassen hat, daß ein Beamtenproletariat sich bildet, übernimmt damit still¬ schweigend die Verpflichtung, wenigstens bis zu den Grenzen der Möglichkeit dafür zu sorgen. Sehr charakteristisch ist das in dem obigen Artikel mitgetheilte Rescript an die Katastralbeamten, sie sollten, sobald sie amtsunfähig wären, bei Zeiten dafür sorgen, sich einen andern Lebenserwerb zu verschaffen. Aber dazu sind sie nicht mehr im Stande. Ihr Arm ist zu schwach geworden, um Holz zu hacken oder Steine zu klopfen, ihr Kopf hat eine zu einseitige Richtung ge¬ nommen, um sich in etwas Anderes zu finden. Wir sind gewiß nicht der Ansicht, daß der Staat aller Noth abhelfen soll. Sobald man sich eine Aufgabe stellt, die über die Kräfte geht, restgnirt man sich sehr schnell darauf, gar nichts zu thun; aber innerhalb der Sphäre seiner Wirksamkeit muß der Staat das Seinige thun; er muß seine eignen Beamten standesmäßig besolden; ja wir gehen in unsern Anforderungen noch weiter. Wenn man z. B., über den schrecklichen Nothstand der Schullehrer geklagt und den Staat zum Einschreiten aufgefordert hat, so war die gewöhnliche Antwort, es seien das keine Staatsbeamten, und der Staat könne in die Rechte und Pflichten der Communen nicht eingreifen. Dieselbe politische Partei, die sonst den Gemeinden alle Selbstständigkeit entziehen möchte, und die Kategorie der Beamten, die dem Ministerium unbedingte Unterstützung schuldig seien, bis auf die Gebirgsführer und Schweinehirten ausdehnt, sängt hier, wo es gilt, thätig ^"zugreifen, sofort von der Souveränetät der Communen zu träumen an. Die Sache steht aber so, daß der Schulunterricht von Staatswegen für eine Zwangspflicht erklärt wird, und da er sich außerdem das Aufstchtsrecht über "lie Schulen vorbehält, so geht er damit hie Verpflichtung ein, seine Anfor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/261>, abgerufen am 21.06.2024.