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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Nachtrag der Redaction.

Wir haben den vorstehenden Klagen, über deren Einzelnheiten wir natür¬
lich von hier aus kein Urtheil haben können, dennoch Raum gegeben, weil sie
sich auf einen allgemeinen Nothstand beziehen, der über kurz öder lang einmal
zur Sprache kommen muß. Es sei uns erlaubt, mit einigen Worten darauf
hinzudeuten.

Der Werth deS Geldes hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert.
ES kommt nicht darauf an, hier die Gründe zu erörtern, genug die Thatsache
steht fest. In allen Theilen Deutschlands sind die nothwendigen Lebensbedürf¬
nisse, Lebensmittel, Wohnung und dergl., beträchtlich theurer geworden, in den
größern Städten in einer erschreckenden Weise. Dazu kommt der fieberhafte
Trieb nach erhöhten Genüssen und deren Universalmittel, dem Gelderwerb, der
voraussichtlich in den nächsten Jahren bei der schwindelhafter Vermehrung der
Creditanstalten eine immer größere Ausdehnung gewinnen wird. DaS Geld ist
an Werth gesunken, und doch ist es für den Unbemittelten schwerer geworden,
eS zu erwerben..

Gewerbtreibende, und was sonst in diese Classe gehört, haben daS Mittel
in Händen, wenn sie auch vorübergehend darunter leiden, allmälig das Ver¬
hältniß wieder auszugleichen, indem sie den Preis ihrer Waare erhöhen. Auch
derjenige Theil des Proletariats, der von Handarbeiten lebt, so schrecklich die
augenblickliche Noth sein mag, gewinnt doch mit der Zeit wieder festes Terrain,
denn die freie Concurrenz, d'e im Augenblick freilich das Uebel vergrößert,
hebt eS mit der Zeit wieder auf.

Viel empfindlicher wird die Noth für diejenige Classe von Menschen, die,
von früh auf an eine einseitige Richtung der Thätigkeit gewöhnt, zu jeder
andern unfähig geworden sind, und die ihre ganze Stellung zu gewissen Aus¬
gaben zwingt, die. dem Proletarier erspart bleiben. Wir meinen vorzugsweise
die schlechtbesoldeten Beamten. Sie waren schon früher so gestellt, daß sie nur
durch Aufbietung aller möglichen Rechenkünste eristiren konnten. Sie können
es jetzt nicht mehr, denn der Preis der Lebensbedürfnisse ist gestiegen und ihre
Einnahme ist nicht erhöht. Das gewöhnliche Mitleid wird zunächst durch daS
physische Leiden hervorgerufen, aber das in"ralische ist viel bitterer. Der arme
Beamte kann unmöglich in Hemdsärmeln herumgehen, wie der Holzhacker; er
kann eS nicht ertragen, wenn seine Frau, wenn seine Töchter barfuß auf der
Straße herumlaufen; er wird Anstand nehmen, seine Tochter als Köchin in
Dienst zu geben, und wer vom abstract nationalökonomischen Standpunkt über
dieses Bedenken spottet, der kennt das menschliche Herz sehr wenig.

Freilich ist eS ganz richtig, daß unser ganzes Beamtentum auf ungesun¬
der Grundlage beruht. ES ist in der Ausdehnung, die es in Deutschland ge¬
wonnen hat, nachtheilig sür die productive Kraft deS Volkes im Allgemeinen,


Nachtrag der Redaction.

Wir haben den vorstehenden Klagen, über deren Einzelnheiten wir natür¬
lich von hier aus kein Urtheil haben können, dennoch Raum gegeben, weil sie
sich auf einen allgemeinen Nothstand beziehen, der über kurz öder lang einmal
zur Sprache kommen muß. Es sei uns erlaubt, mit einigen Worten darauf
hinzudeuten.

Der Werth deS Geldes hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert.
ES kommt nicht darauf an, hier die Gründe zu erörtern, genug die Thatsache
steht fest. In allen Theilen Deutschlands sind die nothwendigen Lebensbedürf¬
nisse, Lebensmittel, Wohnung und dergl., beträchtlich theurer geworden, in den
größern Städten in einer erschreckenden Weise. Dazu kommt der fieberhafte
Trieb nach erhöhten Genüssen und deren Universalmittel, dem Gelderwerb, der
voraussichtlich in den nächsten Jahren bei der schwindelhafter Vermehrung der
Creditanstalten eine immer größere Ausdehnung gewinnen wird. DaS Geld ist
an Werth gesunken, und doch ist es für den Unbemittelten schwerer geworden,
eS zu erwerben..

Gewerbtreibende, und was sonst in diese Classe gehört, haben daS Mittel
in Händen, wenn sie auch vorübergehend darunter leiden, allmälig das Ver¬
hältniß wieder auszugleichen, indem sie den Preis ihrer Waare erhöhen. Auch
derjenige Theil des Proletariats, der von Handarbeiten lebt, so schrecklich die
augenblickliche Noth sein mag, gewinnt doch mit der Zeit wieder festes Terrain,
denn die freie Concurrenz, d'e im Augenblick freilich das Uebel vergrößert,
hebt eS mit der Zeit wieder auf.

Viel empfindlicher wird die Noth für diejenige Classe von Menschen, die,
von früh auf an eine einseitige Richtung der Thätigkeit gewöhnt, zu jeder
andern unfähig geworden sind, und die ihre ganze Stellung zu gewissen Aus¬
gaben zwingt, die. dem Proletarier erspart bleiben. Wir meinen vorzugsweise
die schlechtbesoldeten Beamten. Sie waren schon früher so gestellt, daß sie nur
durch Aufbietung aller möglichen Rechenkünste eristiren konnten. Sie können
es jetzt nicht mehr, denn der Preis der Lebensbedürfnisse ist gestiegen und ihre
Einnahme ist nicht erhöht. Das gewöhnliche Mitleid wird zunächst durch daS
physische Leiden hervorgerufen, aber das in»ralische ist viel bitterer. Der arme
Beamte kann unmöglich in Hemdsärmeln herumgehen, wie der Holzhacker; er
kann eS nicht ertragen, wenn seine Frau, wenn seine Töchter barfuß auf der
Straße herumlaufen; er wird Anstand nehmen, seine Tochter als Köchin in
Dienst zu geben, und wer vom abstract nationalökonomischen Standpunkt über
dieses Bedenken spottet, der kennt das menschliche Herz sehr wenig.

Freilich ist eS ganz richtig, daß unser ganzes Beamtentum auf ungesun¬
der Grundlage beruht. ES ist in der Ausdehnung, die es in Deutschland ge¬
wonnen hat, nachtheilig sür die productive Kraft deS Volkes im Allgemeinen,


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[0260] Nachtrag der Redaction. Wir haben den vorstehenden Klagen, über deren Einzelnheiten wir natür¬ lich von hier aus kein Urtheil haben können, dennoch Raum gegeben, weil sie sich auf einen allgemeinen Nothstand beziehen, der über kurz öder lang einmal zur Sprache kommen muß. Es sei uns erlaubt, mit einigen Worten darauf hinzudeuten. Der Werth deS Geldes hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert. ES kommt nicht darauf an, hier die Gründe zu erörtern, genug die Thatsache steht fest. In allen Theilen Deutschlands sind die nothwendigen Lebensbedürf¬ nisse, Lebensmittel, Wohnung und dergl., beträchtlich theurer geworden, in den größern Städten in einer erschreckenden Weise. Dazu kommt der fieberhafte Trieb nach erhöhten Genüssen und deren Universalmittel, dem Gelderwerb, der voraussichtlich in den nächsten Jahren bei der schwindelhafter Vermehrung der Creditanstalten eine immer größere Ausdehnung gewinnen wird. DaS Geld ist an Werth gesunken, und doch ist es für den Unbemittelten schwerer geworden, eS zu erwerben.. Gewerbtreibende, und was sonst in diese Classe gehört, haben daS Mittel in Händen, wenn sie auch vorübergehend darunter leiden, allmälig das Ver¬ hältniß wieder auszugleichen, indem sie den Preis ihrer Waare erhöhen. Auch derjenige Theil des Proletariats, der von Handarbeiten lebt, so schrecklich die augenblickliche Noth sein mag, gewinnt doch mit der Zeit wieder festes Terrain, denn die freie Concurrenz, d'e im Augenblick freilich das Uebel vergrößert, hebt eS mit der Zeit wieder auf. Viel empfindlicher wird die Noth für diejenige Classe von Menschen, die, von früh auf an eine einseitige Richtung der Thätigkeit gewöhnt, zu jeder andern unfähig geworden sind, und die ihre ganze Stellung zu gewissen Aus¬ gaben zwingt, die. dem Proletarier erspart bleiben. Wir meinen vorzugsweise die schlechtbesoldeten Beamten. Sie waren schon früher so gestellt, daß sie nur durch Aufbietung aller möglichen Rechenkünste eristiren konnten. Sie können es jetzt nicht mehr, denn der Preis der Lebensbedürfnisse ist gestiegen und ihre Einnahme ist nicht erhöht. Das gewöhnliche Mitleid wird zunächst durch daS physische Leiden hervorgerufen, aber das in»ralische ist viel bitterer. Der arme Beamte kann unmöglich in Hemdsärmeln herumgehen, wie der Holzhacker; er kann eS nicht ertragen, wenn seine Frau, wenn seine Töchter barfuß auf der Straße herumlaufen; er wird Anstand nehmen, seine Tochter als Köchin in Dienst zu geben, und wer vom abstract nationalökonomischen Standpunkt über dieses Bedenken spottet, der kennt das menschliche Herz sehr wenig. Freilich ist eS ganz richtig, daß unser ganzes Beamtentum auf ungesun¬ der Grundlage beruht. ES ist in der Ausdehnung, die es in Deutschland ge¬ wonnen hat, nachtheilig sür die productive Kraft deS Volkes im Allgemeinen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/260>, abgerufen am 21.06.2024.