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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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vielerlei auf, was er nicht thun wolle, aber das, was wirklich zu thun sei,
läßt er im Dunkeln. Sein einziger Vorschlag kommt daraus heraus, die pas¬
sive Wählbarkeit zum Parlament auf Ehemänner zu beschränken. Zu welchem
Zweck? Etwa um die Zahl der Ehelosen zu vermindern? Im Gegentheil,
Riehl wünscht eher eine Verminderung der Ehen; denn wer sich keinen genü¬
genden Hausstand gründen kann, soll auch nicht heirathen. Die Zahl der Ehe¬
losen soll bleiben, soll sich sogar noch vermehren, aber -- -- alle Ehelosen
sollen genöthigt werden, sich als dienende'Glieder einer Familie anzuschließen!

Das ist also der Weisheit letzter Schluß. Soll man sich nun darüber
ärgern oder lachen? nicht schildert mit großer Beredtsamkeit die Nachtheile,
die es für ein Mädchen hat, als Gouvernante oder von ihrer Hände Arbeit,
oder von Schriftstellern zu leben. Wovon soll sie aber denn leben, wenn sie
nichts hat? Ist denn die Stellung eines Dienstmädchens ehrenvoller, als die
einer Gouvernante? Soll die Familie sie umsonst aufnehmen, um sie als
ein unschädliches Hausthier in den Stall zu sperren, dem jeder Angehörige
der Familie gelegentlich einen Fußtritt gibt? -- Herr nicht, Herr nicht, es
ist viel leichter, bunte Zustände bunt auszumalen, als auf ernsthafte Fragen eine
vernünftige Antwort zu geben, und Sie, dessen Antwort in einem mitleidigen
Achselzucken besteht, haben keine Ursache, sich über die Nationalökonomen, die
wenigstens eine bestimmte Antwort suchen, so geringschätzig auszudrücken. --
Auch ist grade in dieser Beziehung der bittre Hohn gegen die amerikanischen
Zustände übel angebracht. In dem stolzen Selbstgefühl des amerikanischen
Dienstboten seinem Brodherrn gegenüber mag einige Uebertreibung liegen; es
ist aber doch jedenfalls besser, als die Sitte der guten alten Zeit, wo der Brod¬
herr seine Dienstboten, der Meister seine Lehrlinge von Morgens bis Abends
Prügelte, um sich eine angenehme Motion zu machen. Das Proletariat ist ein
großes Uebel, aber die Leibeigenschaft ist ein viel größeres-

An diese allgemeinen Auseinandersetzungen über daS Wesen der Familie
und des Hauses schließt sich ein höchst liebenswürdiges und interessantes Genre¬
bild über die bürgerliche Baukunst. An sich würde es nichts schaden, daß
nicht nur der leitende Gedanke, sondern auch zum Theil die einzelnen Bilder
aus Reichensperger entlehnt sind, da der Verfasser mehre eigne sehr artige
Einfälle hinzugethan hat; aber es würde doch schicklich gewesen sein, auf die
Quelle hinzuweisen. Die Schilderung der Wohnungen aus der guten alten
Zeit im Vergleich mit den gegenwärtigen Kasernen ist allerliebst, aber die
Hindeutung auf eine praktische Anwendung dieser Grundsätze ist nur komisch
Zu nennen. Wenn nicht den Wunsch ausspricht, daß jede Familie ihr eignes
Haus habe, so stimmen wir diesem Wunsche im höchsten Grade bei; aber wenn
er sich erkundigen wollte, was in einer großen Stadt der Boden kostet, so würde
er sehr bald einsehen, daß das nur fromme Wünsche sind. Nur sehr reiche


vielerlei auf, was er nicht thun wolle, aber das, was wirklich zu thun sei,
läßt er im Dunkeln. Sein einziger Vorschlag kommt daraus heraus, die pas¬
sive Wählbarkeit zum Parlament auf Ehemänner zu beschränken. Zu welchem
Zweck? Etwa um die Zahl der Ehelosen zu vermindern? Im Gegentheil,
Riehl wünscht eher eine Verminderung der Ehen; denn wer sich keinen genü¬
genden Hausstand gründen kann, soll auch nicht heirathen. Die Zahl der Ehe¬
losen soll bleiben, soll sich sogar noch vermehren, aber — — alle Ehelosen
sollen genöthigt werden, sich als dienende'Glieder einer Familie anzuschließen!

Das ist also der Weisheit letzter Schluß. Soll man sich nun darüber
ärgern oder lachen? nicht schildert mit großer Beredtsamkeit die Nachtheile,
die es für ein Mädchen hat, als Gouvernante oder von ihrer Hände Arbeit,
oder von Schriftstellern zu leben. Wovon soll sie aber denn leben, wenn sie
nichts hat? Ist denn die Stellung eines Dienstmädchens ehrenvoller, als die
einer Gouvernante? Soll die Familie sie umsonst aufnehmen, um sie als
ein unschädliches Hausthier in den Stall zu sperren, dem jeder Angehörige
der Familie gelegentlich einen Fußtritt gibt? — Herr nicht, Herr nicht, es
ist viel leichter, bunte Zustände bunt auszumalen, als auf ernsthafte Fragen eine
vernünftige Antwort zu geben, und Sie, dessen Antwort in einem mitleidigen
Achselzucken besteht, haben keine Ursache, sich über die Nationalökonomen, die
wenigstens eine bestimmte Antwort suchen, so geringschätzig auszudrücken. —
Auch ist grade in dieser Beziehung der bittre Hohn gegen die amerikanischen
Zustände übel angebracht. In dem stolzen Selbstgefühl des amerikanischen
Dienstboten seinem Brodherrn gegenüber mag einige Uebertreibung liegen; es
ist aber doch jedenfalls besser, als die Sitte der guten alten Zeit, wo der Brod¬
herr seine Dienstboten, der Meister seine Lehrlinge von Morgens bis Abends
Prügelte, um sich eine angenehme Motion zu machen. Das Proletariat ist ein
großes Uebel, aber die Leibeigenschaft ist ein viel größeres-

An diese allgemeinen Auseinandersetzungen über daS Wesen der Familie
und des Hauses schließt sich ein höchst liebenswürdiges und interessantes Genre¬
bild über die bürgerliche Baukunst. An sich würde es nichts schaden, daß
nicht nur der leitende Gedanke, sondern auch zum Theil die einzelnen Bilder
aus Reichensperger entlehnt sind, da der Verfasser mehre eigne sehr artige
Einfälle hinzugethan hat; aber es würde doch schicklich gewesen sein, auf die
Quelle hinzuweisen. Die Schilderung der Wohnungen aus der guten alten
Zeit im Vergleich mit den gegenwärtigen Kasernen ist allerliebst, aber die
Hindeutung auf eine praktische Anwendung dieser Grundsätze ist nur komisch
Zu nennen. Wenn nicht den Wunsch ausspricht, daß jede Familie ihr eignes
Haus habe, so stimmen wir diesem Wunsche im höchsten Grade bei; aber wenn
er sich erkundigen wollte, was in einer großen Stadt der Boden kostet, so würde
er sehr bald einsehen, daß das nur fromme Wünsche sind. Nur sehr reiche


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[0253] vielerlei auf, was er nicht thun wolle, aber das, was wirklich zu thun sei, läßt er im Dunkeln. Sein einziger Vorschlag kommt daraus heraus, die pas¬ sive Wählbarkeit zum Parlament auf Ehemänner zu beschränken. Zu welchem Zweck? Etwa um die Zahl der Ehelosen zu vermindern? Im Gegentheil, Riehl wünscht eher eine Verminderung der Ehen; denn wer sich keinen genü¬ genden Hausstand gründen kann, soll auch nicht heirathen. Die Zahl der Ehe¬ losen soll bleiben, soll sich sogar noch vermehren, aber — — alle Ehelosen sollen genöthigt werden, sich als dienende'Glieder einer Familie anzuschließen! Das ist also der Weisheit letzter Schluß. Soll man sich nun darüber ärgern oder lachen? nicht schildert mit großer Beredtsamkeit die Nachtheile, die es für ein Mädchen hat, als Gouvernante oder von ihrer Hände Arbeit, oder von Schriftstellern zu leben. Wovon soll sie aber denn leben, wenn sie nichts hat? Ist denn die Stellung eines Dienstmädchens ehrenvoller, als die einer Gouvernante? Soll die Familie sie umsonst aufnehmen, um sie als ein unschädliches Hausthier in den Stall zu sperren, dem jeder Angehörige der Familie gelegentlich einen Fußtritt gibt? — Herr nicht, Herr nicht, es ist viel leichter, bunte Zustände bunt auszumalen, als auf ernsthafte Fragen eine vernünftige Antwort zu geben, und Sie, dessen Antwort in einem mitleidigen Achselzucken besteht, haben keine Ursache, sich über die Nationalökonomen, die wenigstens eine bestimmte Antwort suchen, so geringschätzig auszudrücken. — Auch ist grade in dieser Beziehung der bittre Hohn gegen die amerikanischen Zustände übel angebracht. In dem stolzen Selbstgefühl des amerikanischen Dienstboten seinem Brodherrn gegenüber mag einige Uebertreibung liegen; es ist aber doch jedenfalls besser, als die Sitte der guten alten Zeit, wo der Brod¬ herr seine Dienstboten, der Meister seine Lehrlinge von Morgens bis Abends Prügelte, um sich eine angenehme Motion zu machen. Das Proletariat ist ein großes Uebel, aber die Leibeigenschaft ist ein viel größeres- An diese allgemeinen Auseinandersetzungen über daS Wesen der Familie und des Hauses schließt sich ein höchst liebenswürdiges und interessantes Genre¬ bild über die bürgerliche Baukunst. An sich würde es nichts schaden, daß nicht nur der leitende Gedanke, sondern auch zum Theil die einzelnen Bilder aus Reichensperger entlehnt sind, da der Verfasser mehre eigne sehr artige Einfälle hinzugethan hat; aber es würde doch schicklich gewesen sein, auf die Quelle hinzuweisen. Die Schilderung der Wohnungen aus der guten alten Zeit im Vergleich mit den gegenwärtigen Kasernen ist allerliebst, aber die Hindeutung auf eine praktische Anwendung dieser Grundsätze ist nur komisch Zu nennen. Wenn nicht den Wunsch ausspricht, daß jede Familie ihr eignes Haus habe, so stimmen wir diesem Wunsche im höchsten Grade bei; aber wenn er sich erkundigen wollte, was in einer großen Stadt der Boden kostet, so würde er sehr bald einsehen, daß das nur fromme Wünsche sind. Nur sehr reiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/253>, abgerufen am 21.06.2024.