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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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strahlen die Einflüsse der Ueberweiblichkeit von den Frauen auch auf die Män¬
ner über, und das Uebermaß der Sonderung der Geschlechter droht sich dadurch
wieder auszugleichen, daß der feine Mann weibisch wird, ein Milchgesicht an
Leib und Seele. Mit der Frivolität geht bald die religiöse Heuchelei, ver¬
schwommene pietistische Schönseeligkeit Hand in Hand und die Büßerinnen
selbst unterwühlen den sittlichen Ernst des religiösen Geistes. Von Frauen
ist der Rongecultus und ähnliches ausgegangen. So haben gar viele über¬
weibliche Frauen auch im ersten Rausche unsrer letzten revolutionären Bewegung
sofort ihren natürlichen Geschlechtsberuf des Beharrens und Bewahrens ver¬
gessen und den Radicalen begeistert zugejubelt. Die Demokraten mit ihren
jungen, stattlich bebarteten Wortführern , mit ihren Turnerscharen, den wallen¬
den Fahnen und wogenden Federn, den malerischen Volksversammlungen, den
prächtig declamirenden Volksrednern stellten mehr dar, als sie thaten und waren.
Der weiblichen Natur entging diese Wahlverwandtschaft nicht. Die gesetzten,
glatt rasirten, conservativen Männer dagegen, deren Chorführer in den Par¬
lamenten einen bedenklich starken Beitrag zur Statistik der Glatzköpfe lieferten,
stellten für ein Frauenauge äußerlich wenig oder nichts dar. Aber auch die
politische Lehre der Demokraten entsprach jenem merkwürdigen radicalen Natur¬
recht der Gesellschaft, welches sich bei den Frauen sofort da ausbildet, wo sie
das feste geschichtliche Recht der Überlieferten Sitte aufgeben. Anstatt also
so viel von der Emancipation der Frauen zu reden, sollten wir lieber daran
denken, uns von den Frauen zu emancipiren.

Dies ist, abgesehen von einzelnen, theils passenden, theils unpassenden
Nebenbemerkungen der Gedankengang des Buchs, dem wir im Wesentlichen
beipflichten. Es kommt jetzt nur darauf an, für die richtig aufgedeckten Schä¬
den auch die richtige Abhilfe zu finden und hier ist Riehl rathlos.

Zunächst sollte man denken, daß die weibliche Erziehung ins Auge gefaßt
werden müßte. Wenn die Frauen eine ganz andre Logik haben, als wir, so
liegt das zum großen Theil an ihrer falschen Erziehung. Man gewöhnt sie
an Virtuosität des Gefühls, an Schnellfertigkeit des Urtheils, aber man ent¬
zieht ihnen die gründliche Kenntniß auch des geringfügigsten Gegenstandes. ES
fehlt ihnen jene Zucht des Gedankens, die für das Denken überhaupt noth¬
wendig ist.

Statt in einer verbesserten Erziehung sucht aber der Verfasser das Heil¬
mittel in einer veränderten gesellschaftlich-politischen Stellung der Familie. Die
Frauen sind ihrer Natur wie ihrer Bestimmung nach conservativ, die bevorzug¬
ten Träger der socialen Unterschiede, allein ihre Natur wie ihr Beruf findet
nur im Kreise der Familie die volle Ausbildung. "Die Familie muß politisch
emancipirt werden, dann sind die Frauen emancipirt."

Das klingt fast wie ein delphischer Orakelspnlch und nicht zählt zwar


strahlen die Einflüsse der Ueberweiblichkeit von den Frauen auch auf die Män¬
ner über, und das Uebermaß der Sonderung der Geschlechter droht sich dadurch
wieder auszugleichen, daß der feine Mann weibisch wird, ein Milchgesicht an
Leib und Seele. Mit der Frivolität geht bald die religiöse Heuchelei, ver¬
schwommene pietistische Schönseeligkeit Hand in Hand und die Büßerinnen
selbst unterwühlen den sittlichen Ernst des religiösen Geistes. Von Frauen
ist der Rongecultus und ähnliches ausgegangen. So haben gar viele über¬
weibliche Frauen auch im ersten Rausche unsrer letzten revolutionären Bewegung
sofort ihren natürlichen Geschlechtsberuf des Beharrens und Bewahrens ver¬
gessen und den Radicalen begeistert zugejubelt. Die Demokraten mit ihren
jungen, stattlich bebarteten Wortführern , mit ihren Turnerscharen, den wallen¬
den Fahnen und wogenden Federn, den malerischen Volksversammlungen, den
prächtig declamirenden Volksrednern stellten mehr dar, als sie thaten und waren.
Der weiblichen Natur entging diese Wahlverwandtschaft nicht. Die gesetzten,
glatt rasirten, conservativen Männer dagegen, deren Chorführer in den Par¬
lamenten einen bedenklich starken Beitrag zur Statistik der Glatzköpfe lieferten,
stellten für ein Frauenauge äußerlich wenig oder nichts dar. Aber auch die
politische Lehre der Demokraten entsprach jenem merkwürdigen radicalen Natur¬
recht der Gesellschaft, welches sich bei den Frauen sofort da ausbildet, wo sie
das feste geschichtliche Recht der Überlieferten Sitte aufgeben. Anstatt also
so viel von der Emancipation der Frauen zu reden, sollten wir lieber daran
denken, uns von den Frauen zu emancipiren.

Dies ist, abgesehen von einzelnen, theils passenden, theils unpassenden
Nebenbemerkungen der Gedankengang des Buchs, dem wir im Wesentlichen
beipflichten. Es kommt jetzt nur darauf an, für die richtig aufgedeckten Schä¬
den auch die richtige Abhilfe zu finden und hier ist Riehl rathlos.

Zunächst sollte man denken, daß die weibliche Erziehung ins Auge gefaßt
werden müßte. Wenn die Frauen eine ganz andre Logik haben, als wir, so
liegt das zum großen Theil an ihrer falschen Erziehung. Man gewöhnt sie
an Virtuosität des Gefühls, an Schnellfertigkeit des Urtheils, aber man ent¬
zieht ihnen die gründliche Kenntniß auch des geringfügigsten Gegenstandes. ES
fehlt ihnen jene Zucht des Gedankens, die für das Denken überhaupt noth¬
wendig ist.

Statt in einer verbesserten Erziehung sucht aber der Verfasser das Heil¬
mittel in einer veränderten gesellschaftlich-politischen Stellung der Familie. Die
Frauen sind ihrer Natur wie ihrer Bestimmung nach conservativ, die bevorzug¬
ten Träger der socialen Unterschiede, allein ihre Natur wie ihr Beruf findet
nur im Kreise der Familie die volle Ausbildung. „Die Familie muß politisch
emancipirt werden, dann sind die Frauen emancipirt."

Das klingt fast wie ein delphischer Orakelspnlch und nicht zählt zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/252>, abgerufen am 21.06.2024.