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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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auf die östreichische Regierung nicht bestimmend einwirken. Niemand gibt frei¬
willig auf, was er besitzt, und ob im nächsten Menschenalter die in Italien
angesammelte Kraft stark genug sein wird, um äußerlich eine Veränderung des
Zustandes herbeizuführen, darüber können wir heut noch gar nichts ausmachen.
Wir wollten nur so' viel feststellen, daß, wenn wir Oestreich als unsern Stamm¬
genossen und den Mitkämpfer für Deutschland betrachten, dies nicht in Bezug
auf Italien geschehen kann.

Ganz anders verhält es sich mit dem Osten. Daß Oestreich einen Jn-
stinct für seine große Aufgabe in diesen Gegenden hat, zeigt sein Verhalten
während des ganzen Krieges, zeigt das Widerstreben, mit dem es gegenwärtig
die Donaufürstenthümer räumt. Nur hat es die Mittel zum Fortschritt nicht
ernst genug vorher erwogen.

Die orientalische Krisis, die dies Mal, so gut oder, so schlecht es gehen
wollte, vertagt ist, wird über kurz oder lang von neuem eintreten, sei es, obste
durch die innere Schwäche des türkischen Reichs, oder durch den Ehrgeiz der frem¬
den Mächte herbeigeführt wird. Falls es nun zur Theilung kommt, liegt es im
Interesse Deutschlands, liegt es im Interesse der türkischen Provinzen selbst,
daß so viel als cköglich davon in die Hände Oestreichs fällt. Indem sich
Oestreich nach dieser Seite hin erweitert, kämpft es für unsre eigne Sache.
Wenn man ihm nun zum Vorwurf machen wollte, daß es nicht energisch genug
seine Absichten verfolgt hat, so darf man aus der andern Seite nicht verschweigen,
daß Deutschland zum Theil selbst daran schuld ist. Wenn wir von der Herr¬
schaft Oestreichs an der Donau Vortheil ziehen wollen, so ist es billig, daß wir
ihm auch bei der Erwerbung derselben unter die Arme greifen. Möchte, wenn
ein ähnlicher Fall eintritt, Deutschland, möchte namentlich Preußen seine Auf¬
gabe richtiger verstehen. Es ist, um alles andere bei Seite zu lassen, für
Deutschland, für Preußen von der höchsten Bedeutung, nach welcher Seile hin
die Spitze des mächtigen östreichischen Schwerts sich richtet. ,

Indem wir uns nun zu Deutschland selbst wenden, kommen wir an
den schwierigsten Punkt, den wir begreiflicherweise nur oberflächlich berühren
können; und doch liegt der richtige Weg auch hier auf der Hand. Alle Welt
ist darüber einig, daß die ungenügende Stellung Deutschlands den übrigen
Staaten gegenüber aus dem Dualismus zwischen Oestreich und Preußen ent¬
springt, weil jeder der beiden Staaten, um das Gleichgewicht zu erhalten,
jeden Versuch des andern, seinen Einfluß zu erweitern, so viel als möglich zu
vereiteln sucht. Alle Welt ist ferner darüber einig, daß dieser Dualismus nicht
in der Weise aufzuheben ist, daß einer der beiden Staaten ti-e Herrschaft allein
an sich reißt. Nur in einer kurzen Zeit der frankfurter Aufregung dachte man
flüchtig an die Möglichkeit, Preußen die Kaiserkrone über ganz Deutschland
anzubieten. Nur in der Zeit nach Olmütz, schmerzlichen Angedenkens, trug


auf die östreichische Regierung nicht bestimmend einwirken. Niemand gibt frei¬
willig auf, was er besitzt, und ob im nächsten Menschenalter die in Italien
angesammelte Kraft stark genug sein wird, um äußerlich eine Veränderung des
Zustandes herbeizuführen, darüber können wir heut noch gar nichts ausmachen.
Wir wollten nur so' viel feststellen, daß, wenn wir Oestreich als unsern Stamm¬
genossen und den Mitkämpfer für Deutschland betrachten, dies nicht in Bezug
auf Italien geschehen kann.

Ganz anders verhält es sich mit dem Osten. Daß Oestreich einen Jn-
stinct für seine große Aufgabe in diesen Gegenden hat, zeigt sein Verhalten
während des ganzen Krieges, zeigt das Widerstreben, mit dem es gegenwärtig
die Donaufürstenthümer räumt. Nur hat es die Mittel zum Fortschritt nicht
ernst genug vorher erwogen.

Die orientalische Krisis, die dies Mal, so gut oder, so schlecht es gehen
wollte, vertagt ist, wird über kurz oder lang von neuem eintreten, sei es, obste
durch die innere Schwäche des türkischen Reichs, oder durch den Ehrgeiz der frem¬
den Mächte herbeigeführt wird. Falls es nun zur Theilung kommt, liegt es im
Interesse Deutschlands, liegt es im Interesse der türkischen Provinzen selbst,
daß so viel als cköglich davon in die Hände Oestreichs fällt. Indem sich
Oestreich nach dieser Seite hin erweitert, kämpft es für unsre eigne Sache.
Wenn man ihm nun zum Vorwurf machen wollte, daß es nicht energisch genug
seine Absichten verfolgt hat, so darf man aus der andern Seite nicht verschweigen,
daß Deutschland zum Theil selbst daran schuld ist. Wenn wir von der Herr¬
schaft Oestreichs an der Donau Vortheil ziehen wollen, so ist es billig, daß wir
ihm auch bei der Erwerbung derselben unter die Arme greifen. Möchte, wenn
ein ähnlicher Fall eintritt, Deutschland, möchte namentlich Preußen seine Auf¬
gabe richtiger verstehen. Es ist, um alles andere bei Seite zu lassen, für
Deutschland, für Preußen von der höchsten Bedeutung, nach welcher Seile hin
die Spitze des mächtigen östreichischen Schwerts sich richtet. ,

Indem wir uns nun zu Deutschland selbst wenden, kommen wir an
den schwierigsten Punkt, den wir begreiflicherweise nur oberflächlich berühren
können; und doch liegt der richtige Weg auch hier auf der Hand. Alle Welt
ist darüber einig, daß die ungenügende Stellung Deutschlands den übrigen
Staaten gegenüber aus dem Dualismus zwischen Oestreich und Preußen ent¬
springt, weil jeder der beiden Staaten, um das Gleichgewicht zu erhalten,
jeden Versuch des andern, seinen Einfluß zu erweitern, so viel als möglich zu
vereiteln sucht. Alle Welt ist ferner darüber einig, daß dieser Dualismus nicht
in der Weise aufzuheben ist, daß einer der beiden Staaten ti-e Herrschaft allein
an sich reißt. Nur in einer kurzen Zeit der frankfurter Aufregung dachte man
flüchtig an die Möglichkeit, Preußen die Kaiserkrone über ganz Deutschland
anzubieten. Nur in der Zeit nach Olmütz, schmerzlichen Angedenkens, trug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/230>, abgerufen am 27.07.2024.