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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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tionäre Partei, sondern die konservative wird es immer mit Schmerz und Un¬
willen empfinden, unter fremder Herrschaft zu stehn, und der Besitz wird daher
immer den Charakter einer militärischen Occupation an sich tragen. "Es ist
hier mit Italien ganz anders, als, etwa in Ungarn oder Polen, wo Oestreich
es mit einer dünn gesäeten, noch immer erst halb entwickelten Bevölkerung zu
thun hat, der es an Cultur in jeder Weise überlegen ist, und der es sich als
Wohlthäter erweisen kann, auch wo es Gewalt gebraucht. Die italienische
Nation dagegen hat schon früher der Cultur die wichtigsten Dienste geleistet,
und eine so schlechte Rolle sie in allen Aufständen des vergangenen Jahr¬
hunderts spielte, sie hat doch noch alle Elemente in sich, um sich wieder zu dem
Charakter einer Nation zu erheben. Alle frühern Versuche gingen von der
radicalen Partei aus, die zu jeder bleibenden Organisation unfähig war, und
es gab keinen Staat, der ernsthaft mit Oestreich rivalistren konnte, da Frank¬
reich erst durch die Restaurationsherrschaft, dann durch die innern Zerwürfnisse
aus seiner natürlichen Bahn entführt war. Diesen wichtigen Unterschied dürfen
wir nicht vergessen, wenn wir über die gegenwärtige Lage der Dinge ein rich¬
tiges Urtheil fällen wollen. Es hat sich jetzt in Italien selbst ein kräftiger
Staat gebildet, den allmälig die gesammte nationale Partei als ihren Vor¬
kämpfer betrachten wird, und Frankreich hat seine alten napoleonischen Tradi¬
tionen wieder aufgenommen, um sie nicht wieder aufzugeben. Wir sind nicht
im entferntesten der Ansicht, daß Frankreichs Einmischung in die Verhältnisse
Italiens von philanthropischen, humanen Absichten ausgehen wird; aber Frank¬
reich ist nicht im Besitz, es wird sich also, um Einfluß zu gewinnen, aus die
oppositionelle Seite werfen müssen, namentlich so lange es im Bunde mit Eng¬
land verharrt. Oestreich dagegen ist genöthigt, um seine eignen Besitzungen
und namentlich die Secundvgenituren seines Hauses zu erhalten, aufmerksam
jeden Versuch eines politischen Fortschritts zu überwachen und zur Beseitigung
desselben sich stets mit den conservativsten d. h. unpopulärsten Mächten Italiens
Zu verbinden. Dies muß wiederum eine Rückwirkung auf Oestreich selbst aus¬
üben, und die Nothwendigkeit, z. B. im Kirchenstaat die bestehende Gewalt in
ihrer ganzen Ausdehnung zu schützen, dehnt sich dann auf die Kirche über¬
haupt aus. Ein freieres Verhalten gegen die Kirche in Oestreich selbst, ge¬
wiß das nothwendigste Mittel, um die vorhandenen Kräfte zur Geltung zu
bringen, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, so lange für Italien das
Bündniß mit der Kirche eine Nothwendigkeit ist. '-^cum daher, abgesehen von
der Negierung, das östreichische Publicum heute wie im Jahr -1848 mit ge¬
rechtem Stolz auf die Waffenthaten seines Heers in Italien hinblickt, und
d'e Herrschaft des Kaisers vis seine eigne Herrschaft empfindet, so muß es
sich doch zunächst klar machen, ob der reale Gewinn diesem idealen entspricht.

Wir wiederholen es, diese und ähnliche Betrachtungen werden und können


tionäre Partei, sondern die konservative wird es immer mit Schmerz und Un¬
willen empfinden, unter fremder Herrschaft zu stehn, und der Besitz wird daher
immer den Charakter einer militärischen Occupation an sich tragen. „Es ist
hier mit Italien ganz anders, als, etwa in Ungarn oder Polen, wo Oestreich
es mit einer dünn gesäeten, noch immer erst halb entwickelten Bevölkerung zu
thun hat, der es an Cultur in jeder Weise überlegen ist, und der es sich als
Wohlthäter erweisen kann, auch wo es Gewalt gebraucht. Die italienische
Nation dagegen hat schon früher der Cultur die wichtigsten Dienste geleistet,
und eine so schlechte Rolle sie in allen Aufständen des vergangenen Jahr¬
hunderts spielte, sie hat doch noch alle Elemente in sich, um sich wieder zu dem
Charakter einer Nation zu erheben. Alle frühern Versuche gingen von der
radicalen Partei aus, die zu jeder bleibenden Organisation unfähig war, und
es gab keinen Staat, der ernsthaft mit Oestreich rivalistren konnte, da Frank¬
reich erst durch die Restaurationsherrschaft, dann durch die innern Zerwürfnisse
aus seiner natürlichen Bahn entführt war. Diesen wichtigen Unterschied dürfen
wir nicht vergessen, wenn wir über die gegenwärtige Lage der Dinge ein rich¬
tiges Urtheil fällen wollen. Es hat sich jetzt in Italien selbst ein kräftiger
Staat gebildet, den allmälig die gesammte nationale Partei als ihren Vor¬
kämpfer betrachten wird, und Frankreich hat seine alten napoleonischen Tradi¬
tionen wieder aufgenommen, um sie nicht wieder aufzugeben. Wir sind nicht
im entferntesten der Ansicht, daß Frankreichs Einmischung in die Verhältnisse
Italiens von philanthropischen, humanen Absichten ausgehen wird; aber Frank¬
reich ist nicht im Besitz, es wird sich also, um Einfluß zu gewinnen, aus die
oppositionelle Seite werfen müssen, namentlich so lange es im Bunde mit Eng¬
land verharrt. Oestreich dagegen ist genöthigt, um seine eignen Besitzungen
und namentlich die Secundvgenituren seines Hauses zu erhalten, aufmerksam
jeden Versuch eines politischen Fortschritts zu überwachen und zur Beseitigung
desselben sich stets mit den conservativsten d. h. unpopulärsten Mächten Italiens
Zu verbinden. Dies muß wiederum eine Rückwirkung auf Oestreich selbst aus¬
üben, und die Nothwendigkeit, z. B. im Kirchenstaat die bestehende Gewalt in
ihrer ganzen Ausdehnung zu schützen, dehnt sich dann auf die Kirche über¬
haupt aus. Ein freieres Verhalten gegen die Kirche in Oestreich selbst, ge¬
wiß das nothwendigste Mittel, um die vorhandenen Kräfte zur Geltung zu
bringen, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, so lange für Italien das
Bündniß mit der Kirche eine Nothwendigkeit ist. '-^cum daher, abgesehen von
der Negierung, das östreichische Publicum heute wie im Jahr -1848 mit ge¬
rechtem Stolz auf die Waffenthaten seines Heers in Italien hinblickt, und
d'e Herrschaft des Kaisers vis seine eigne Herrschaft empfindet, so muß es
sich doch zunächst klar machen, ob der reale Gewinn diesem idealen entspricht.

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[0229] tionäre Partei, sondern die konservative wird es immer mit Schmerz und Un¬ willen empfinden, unter fremder Herrschaft zu stehn, und der Besitz wird daher immer den Charakter einer militärischen Occupation an sich tragen. „Es ist hier mit Italien ganz anders, als, etwa in Ungarn oder Polen, wo Oestreich es mit einer dünn gesäeten, noch immer erst halb entwickelten Bevölkerung zu thun hat, der es an Cultur in jeder Weise überlegen ist, und der es sich als Wohlthäter erweisen kann, auch wo es Gewalt gebraucht. Die italienische Nation dagegen hat schon früher der Cultur die wichtigsten Dienste geleistet, und eine so schlechte Rolle sie in allen Aufständen des vergangenen Jahr¬ hunderts spielte, sie hat doch noch alle Elemente in sich, um sich wieder zu dem Charakter einer Nation zu erheben. Alle frühern Versuche gingen von der radicalen Partei aus, die zu jeder bleibenden Organisation unfähig war, und es gab keinen Staat, der ernsthaft mit Oestreich rivalistren konnte, da Frank¬ reich erst durch die Restaurationsherrschaft, dann durch die innern Zerwürfnisse aus seiner natürlichen Bahn entführt war. Diesen wichtigen Unterschied dürfen wir nicht vergessen, wenn wir über die gegenwärtige Lage der Dinge ein rich¬ tiges Urtheil fällen wollen. Es hat sich jetzt in Italien selbst ein kräftiger Staat gebildet, den allmälig die gesammte nationale Partei als ihren Vor¬ kämpfer betrachten wird, und Frankreich hat seine alten napoleonischen Tradi¬ tionen wieder aufgenommen, um sie nicht wieder aufzugeben. Wir sind nicht im entferntesten der Ansicht, daß Frankreichs Einmischung in die Verhältnisse Italiens von philanthropischen, humanen Absichten ausgehen wird; aber Frank¬ reich ist nicht im Besitz, es wird sich also, um Einfluß zu gewinnen, aus die oppositionelle Seite werfen müssen, namentlich so lange es im Bunde mit Eng¬ land verharrt. Oestreich dagegen ist genöthigt, um seine eignen Besitzungen und namentlich die Secundvgenituren seines Hauses zu erhalten, aufmerksam jeden Versuch eines politischen Fortschritts zu überwachen und zur Beseitigung desselben sich stets mit den conservativsten d. h. unpopulärsten Mächten Italiens Zu verbinden. Dies muß wiederum eine Rückwirkung auf Oestreich selbst aus¬ üben, und die Nothwendigkeit, z. B. im Kirchenstaat die bestehende Gewalt in ihrer ganzen Ausdehnung zu schützen, dehnt sich dann auf die Kirche über¬ haupt aus. Ein freieres Verhalten gegen die Kirche in Oestreich selbst, ge¬ wiß das nothwendigste Mittel, um die vorhandenen Kräfte zur Geltung zu bringen, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, so lange für Italien das Bündniß mit der Kirche eine Nothwendigkeit ist. '-^cum daher, abgesehen von der Negierung, das östreichische Publicum heute wie im Jahr -1848 mit ge¬ rechtem Stolz auf die Waffenthaten seines Heers in Italien hinblickt, und d'e Herrschaft des Kaisers vis seine eigne Herrschaft empfindet, so muß es sich doch zunächst klar machen, ob der reale Gewinn diesem idealen entspricht. Wir wiederholen es, diese und ähnliche Betrachtungen werden und können

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/229>, abgerufen am 27.07.2024.