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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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damals jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische
und naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein sür Alerander der
Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit der
nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der Jugend der
volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergäng-
ich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer und
Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten
oder richtiger ein erfreuliches Bewußtsein der eignen männlich schönen Erscheinung.
Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit ven er in späteren Jahren
öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und hätte ohne Zweifel
manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die jugendlichen Locken
hätte zurückkaufen können. Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den
Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei
Einfluß über sich eingeräumt; selbst sein vielbesprochenes Verhältniß zu der
Königin Kleopatra war nur ausgesponnen, um einen schwachen Punkt in sei¬
ner politischen Stellung zu maskiren. Cäsar war durchaus Realist und Ver¬
standesmensch, und was er angriff und that, war von der genialen Nüchtern¬
heit durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigenthümlichkeit bezeichnet.
Ihr verdankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern oder Erwarten ener¬
gisch im Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem Augenblick mit con-
centrirter Kraft zu handeln und auch t em kleinsten und beiläufigsten Beginnen
seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfaßte
und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille erzwingen kann;
ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fügte, wie seine Feld¬
zugspläne entwarf; ihr die "wunderbare Heiterkeit", die in guten und bösen
Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete Selbstständigkeit, die keinem Lieb¬
ling und keiner Mätresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich
gestattete. Aus dieser Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß
Cäsar sich über die Macht des Schicksals und das Können des Menschen nie¬
mals Illusionen machte; sür ihn war der holde Schleier gehoben, der dem
Menschen die Unzulänglichkeit seines Wirkens verdeckte. -- Wie klug er auch
Plante und alle Möglichkeiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner
Brust, daß in allen Dingen das Glück, das heißt der Zufall, das gute Beste
thun müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen, daß er so oft
dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgiltigkeit
seine Person wieder und wieder auf, das Spiel gesetzt hat. Wie ja wol über¬
wiegend verständige Menschen in das reine Hazardspiel sich flüchten, so war
auch in Cäsars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem Mysticismus ge¬
wissermaßen sich berührte. -- Aus einer solchen Anlage konnte mir ein Staats¬
mann hervorgehen. Von früher Jugend an war denn auch Cäsar ein Staats-


damals jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische
und naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein sür Alerander der
Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit der
nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der Jugend der
volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergäng-
ich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer und
Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten
oder richtiger ein erfreuliches Bewußtsein der eignen männlich schönen Erscheinung.
Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit ven er in späteren Jahren
öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und hätte ohne Zweifel
manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die jugendlichen Locken
hätte zurückkaufen können. Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den
Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei
Einfluß über sich eingeräumt; selbst sein vielbesprochenes Verhältniß zu der
Königin Kleopatra war nur ausgesponnen, um einen schwachen Punkt in sei¬
ner politischen Stellung zu maskiren. Cäsar war durchaus Realist und Ver¬
standesmensch, und was er angriff und that, war von der genialen Nüchtern¬
heit durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigenthümlichkeit bezeichnet.
Ihr verdankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern oder Erwarten ener¬
gisch im Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem Augenblick mit con-
centrirter Kraft zu handeln und auch t em kleinsten und beiläufigsten Beginnen
seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfaßte
und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille erzwingen kann;
ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fügte, wie seine Feld¬
zugspläne entwarf; ihr die „wunderbare Heiterkeit", die in guten und bösen
Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete Selbstständigkeit, die keinem Lieb¬
ling und keiner Mätresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich
gestattete. Aus dieser Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß
Cäsar sich über die Macht des Schicksals und das Können des Menschen nie¬
mals Illusionen machte; sür ihn war der holde Schleier gehoben, der dem
Menschen die Unzulänglichkeit seines Wirkens verdeckte. — Wie klug er auch
Plante und alle Möglichkeiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner
Brust, daß in allen Dingen das Glück, das heißt der Zufall, das gute Beste
thun müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen, daß er so oft
dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgiltigkeit
seine Person wieder und wieder auf, das Spiel gesetzt hat. Wie ja wol über¬
wiegend verständige Menschen in das reine Hazardspiel sich flüchten, so war
auch in Cäsars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem Mysticismus ge¬
wissermaßen sich berührte. — Aus einer solchen Anlage konnte mir ein Staats¬
mann hervorgehen. Von früher Jugend an war denn auch Cäsar ein Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/23>, abgerufen am 21.06.2024.