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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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manu im tiefsten Sinn des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen
gestattet ist, sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche
Wiedergeburt der tiefgesunkenen eignen und der noch tiefer gesunkenen, mit der
seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die bittere Schule dreißig¬
jähriger Erfahrungen änderte seine Ansichten über die Mittel, wie dies Ziel
zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsloser Er¬
niedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als
Demagog und Verfchworner auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie er da
als Mitinhaber der höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen
einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den ver¬
schiedensten Zeiten von ihm ausgegangene Maßregeln bleibender Art ordnen in
den großen Bauplan zweckmäßig sich ein." --

Wir brechen hier ab, weil wir unsern Raum bereits überschritten haben.

Wir haben die Porträts von Gracchus, Marius, Sulla und Cäsar
hervorgehoben, weil sie am meisten in den Zusammenhang der Geschichte ein¬
greifen; doch sind die übrigen Bilder, z. B. von Jugurtha, Mithridat, Ver-
cingetorir mit gleich kühner und sicherer Plastik entworfen. -- Die Darstellung
der Literatur verräth in jedem Zug den tiefen Kenner, wenn sie auch freilich
mehr für diejenigen geschrieben ist, die schon mit ihr vertraut sind, als diejeni¬
gen, die erst in sie eingeführt werden wollen. So ist im dritten Band na¬
mentlich die Zeichnung von Terentius Varro ein Meisterstück. Trotzdem wird
grabe dieser dritte Band die lebhafteste Opposition hervorrufen, vor allem
wegen der Auffassung des Cicero. Die Zeit ist uns noch in Erinnerung, wo
Drumanns römische Geschichte wegen ähnlicher Ansichten bei der Mehrzahl der
Philologen einen sehr lebhaften Unwillen hervorrief. Zwar ist seit der Zeit
unsre Bildung eine freiere geworden, wir sind über die Befangenheit des
Schulurtheils hinausgetreten, dafür ist aber auch Mommsen in der Verurtei¬
lung des berühmten Redners viel weiter gegangen, als sein Vorgänger, und
dies gibt uns Gelegenheit, zu den einzelnen Bedenken überzugehen, die wir
gegen manche Punkte des Buchs auszusprechen haben. Wir können das um
so unbefangener thun, da sie sich lediglich auf die Form beziehen, und da dem
Verfasser in hoffentlich nicht zu langer Zeit Gelegenheit gegeben sein wird,
sein Werk noch einmal sorgfältig zu prüfen. So heftig man von ver¬
schiedenen Seiten das Buch angreifen wird, so kann es doch niemand
ignoriren, und der unerhört billige Preis, so wie seine Stellung innerhalb einer
Reihe populärer und einem dringenden Bedürfniß deS Publicums ent¬
sprechender Werke lassen das baldige Erscheinen einer neuen Auflage voraus¬
sehen.

Unsre Bedenken beruhen vorzugsweise auf der Subjectivität der Darstel¬
lung, in der freilich zum Theil der Reiz des Buchs liegt, die aber zuweilen


manu im tiefsten Sinn des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen
gestattet ist, sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche
Wiedergeburt der tiefgesunkenen eignen und der noch tiefer gesunkenen, mit der
seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die bittere Schule dreißig¬
jähriger Erfahrungen änderte seine Ansichten über die Mittel, wie dies Ziel
zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsloser Er¬
niedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als
Demagog und Verfchworner auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie er da
als Mitinhaber der höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen
einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den ver¬
schiedensten Zeiten von ihm ausgegangene Maßregeln bleibender Art ordnen in
den großen Bauplan zweckmäßig sich ein." —

Wir brechen hier ab, weil wir unsern Raum bereits überschritten haben.

Wir haben die Porträts von Gracchus, Marius, Sulla und Cäsar
hervorgehoben, weil sie am meisten in den Zusammenhang der Geschichte ein¬
greifen; doch sind die übrigen Bilder, z. B. von Jugurtha, Mithridat, Ver-
cingetorir mit gleich kühner und sicherer Plastik entworfen. — Die Darstellung
der Literatur verräth in jedem Zug den tiefen Kenner, wenn sie auch freilich
mehr für diejenigen geschrieben ist, die schon mit ihr vertraut sind, als diejeni¬
gen, die erst in sie eingeführt werden wollen. So ist im dritten Band na¬
mentlich die Zeichnung von Terentius Varro ein Meisterstück. Trotzdem wird
grabe dieser dritte Band die lebhafteste Opposition hervorrufen, vor allem
wegen der Auffassung des Cicero. Die Zeit ist uns noch in Erinnerung, wo
Drumanns römische Geschichte wegen ähnlicher Ansichten bei der Mehrzahl der
Philologen einen sehr lebhaften Unwillen hervorrief. Zwar ist seit der Zeit
unsre Bildung eine freiere geworden, wir sind über die Befangenheit des
Schulurtheils hinausgetreten, dafür ist aber auch Mommsen in der Verurtei¬
lung des berühmten Redners viel weiter gegangen, als sein Vorgänger, und
dies gibt uns Gelegenheit, zu den einzelnen Bedenken überzugehen, die wir
gegen manche Punkte des Buchs auszusprechen haben. Wir können das um
so unbefangener thun, da sie sich lediglich auf die Form beziehen, und da dem
Verfasser in hoffentlich nicht zu langer Zeit Gelegenheit gegeben sein wird,
sein Werk noch einmal sorgfältig zu prüfen. So heftig man von ver¬
schiedenen Seiten das Buch angreifen wird, so kann es doch niemand
ignoriren, und der unerhört billige Preis, so wie seine Stellung innerhalb einer
Reihe populärer und einem dringenden Bedürfniß deS Publicums ent¬
sprechender Werke lassen das baldige Erscheinen einer neuen Auflage voraus¬
sehen.

Unsre Bedenken beruhen vorzugsweise auf der Subjectivität der Darstel¬
lung, in der freilich zum Theil der Reiz des Buchs liegt, die aber zuweilen


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[0024] manu im tiefsten Sinn des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet ist, sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eignen und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die bittere Schule dreißig¬ jähriger Erfahrungen änderte seine Ansichten über die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsloser Er¬ niedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verfchworner auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie er da als Mitinhaber der höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den ver¬ schiedensten Zeiten von ihm ausgegangene Maßregeln bleibender Art ordnen in den großen Bauplan zweckmäßig sich ein." — Wir brechen hier ab, weil wir unsern Raum bereits überschritten haben. Wir haben die Porträts von Gracchus, Marius, Sulla und Cäsar hervorgehoben, weil sie am meisten in den Zusammenhang der Geschichte ein¬ greifen; doch sind die übrigen Bilder, z. B. von Jugurtha, Mithridat, Ver- cingetorir mit gleich kühner und sicherer Plastik entworfen. — Die Darstellung der Literatur verräth in jedem Zug den tiefen Kenner, wenn sie auch freilich mehr für diejenigen geschrieben ist, die schon mit ihr vertraut sind, als diejeni¬ gen, die erst in sie eingeführt werden wollen. So ist im dritten Band na¬ mentlich die Zeichnung von Terentius Varro ein Meisterstück. Trotzdem wird grabe dieser dritte Band die lebhafteste Opposition hervorrufen, vor allem wegen der Auffassung des Cicero. Die Zeit ist uns noch in Erinnerung, wo Drumanns römische Geschichte wegen ähnlicher Ansichten bei der Mehrzahl der Philologen einen sehr lebhaften Unwillen hervorrief. Zwar ist seit der Zeit unsre Bildung eine freiere geworden, wir sind über die Befangenheit des Schulurtheils hinausgetreten, dafür ist aber auch Mommsen in der Verurtei¬ lung des berühmten Redners viel weiter gegangen, als sein Vorgänger, und dies gibt uns Gelegenheit, zu den einzelnen Bedenken überzugehen, die wir gegen manche Punkte des Buchs auszusprechen haben. Wir können das um so unbefangener thun, da sie sich lediglich auf die Form beziehen, und da dem Verfasser in hoffentlich nicht zu langer Zeit Gelegenheit gegeben sein wird, sein Werk noch einmal sorgfältig zu prüfen. So heftig man von ver¬ schiedenen Seiten das Buch angreifen wird, so kann es doch niemand ignoriren, und der unerhört billige Preis, so wie seine Stellung innerhalb einer Reihe populärer und einem dringenden Bedürfniß deS Publicums ent¬ sprechender Werke lassen das baldige Erscheinen einer neuen Auflage voraus¬ sehen. Unsre Bedenken beruhen vorzugsweise auf der Subjectivität der Darstel¬ lung, in der freilich zum Theil der Reiz des Buchs liegt, die aber zuweilen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/24>, abgerufen am 21.06.2024.