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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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halten dieser Idee, die den jetzigen Lenkern des Instituts nicht immer gegen¬
wärtig geblieben ist, gehören zwei Elemente, die in der Persönlichkeit des
gegenwärtigen Dirigenten freilich ganz vorzüglich vertreten sind, gründliche
musikalische Bildung und Begeisterung für das Ewig-Frische, für die nie ver¬
altende unerschöpfliche Schönheit der Werke unsrer großen Meister. Es ist eine
Probe der Tüchtigkeit, nach Mendelssohn denselben Platz so auszufüllen, als es
geschieht und wir wüßten in der Energie der Direktion keinen zweiten ihm unter
den Lebenden zur Seite zu stellen. Allein über die Wahl des Auszuführenden
müßte er strenger wachen, als es geschieht. Der Vorwurf der Einseitigkeit,
der möglicherweise von einem Publicum erhoben werden könnte, das ebenso¬
oft, öfter sogar seine Augen als seine Ohren abonnirt, würde nur zum Lobe
ausschlagen. Was soll man aber sagen, wenn man die diesjährigen Pro¬
gramms durchgeht? Noch immer ein Anblick, der unwillkürlich an die
Kleidung einer bekannten italienischen Volksmaske erinnert. Hält man etwa
an den Programms fest, aus Pietät gegen ähnliche unter Mendelssohns Re¬
giment? Mendelsohns Umänderungen des Progamms geschahen sehr weise,
nicht gewaltsam, davor schützte ihn die Gediegenheit seiner Bildung. Es
empfahl sich aber eine ästhetische Nichtigkeit nach der andern und betrat
das Repertoir nicht wieder. Das, was von Unbedeutenden, Schlechtem
aber stehen blieb, ließ er nicht gewähren aus Nachgiebigkeit oder schwach-
gemuther Toleranz, sondern aus Klugheit, weil er wußte, daß man in
dieser Arbeit mit wenig Gutem schon weit reicht; seine Sorge wäre aber
sicher geblieben, allmälig nichts mehr zur Aufführung kommen zu lassen,
das nicht ohne alle Nebenrücksicht ein Meisterstück genannt zu werden ver¬
diente. Man wende nicht ein, daß ein Institut, wie das hiesige, die Aufgabe
> habe auch die Leistungen der Gegenwart im Auge zu behalten und dem Puhu-,
cum vorzuführen. Diese Obliegenheit wird durchaus nicht in Abrede gestellt,
allein unbegreiflich bleibt es, beim Durchlaufen der Programms dieses Winter¬
halbjahres zu bemerken, daß man lediglich einer meist nur ungenügenden Virtuosität
wegen einundzwanzig Stücke vorgeführt hat, die ich noch ehre, wenn ich sie gedanken¬
lose Sammelsurien elender musikalischer Phrasen nenne. Was sollen solche Gift-
schwämme, neben den edelsten Gaben mozartischer oder beethovenscher Muse.
Um solchen Preis ist die höchste Virtuosität zu theuer gekauft. Solcher Nich¬
tigkeiten wegen, die ihr Fortbestehen nur der irrthümlichen Ansicht verdanken,
als gehöre zu einem leipziger Gewandhausconcert die'Leistung eines Virtuosen
"der Sängers als nothwendiger Bestandtheil, bleiben drei Simphonien Beet¬
hovens unausgeführt. Man sieht mit Bedauern auf dem Programm des
zweiten Concerts, hinter der Simphonie von Haydn die Ziffer VIl., denn nur
n'renat noch war es möglich, eine der zahlreichen Simphonien dieses Meisters
vorzuführen. Warum? weil man die Pflicht hatte, eine Anzahl ganz mit


halten dieser Idee, die den jetzigen Lenkern des Instituts nicht immer gegen¬
wärtig geblieben ist, gehören zwei Elemente, die in der Persönlichkeit des
gegenwärtigen Dirigenten freilich ganz vorzüglich vertreten sind, gründliche
musikalische Bildung und Begeisterung für das Ewig-Frische, für die nie ver¬
altende unerschöpfliche Schönheit der Werke unsrer großen Meister. Es ist eine
Probe der Tüchtigkeit, nach Mendelssohn denselben Platz so auszufüllen, als es
geschieht und wir wüßten in der Energie der Direktion keinen zweiten ihm unter
den Lebenden zur Seite zu stellen. Allein über die Wahl des Auszuführenden
müßte er strenger wachen, als es geschieht. Der Vorwurf der Einseitigkeit,
der möglicherweise von einem Publicum erhoben werden könnte, das ebenso¬
oft, öfter sogar seine Augen als seine Ohren abonnirt, würde nur zum Lobe
ausschlagen. Was soll man aber sagen, wenn man die diesjährigen Pro¬
gramms durchgeht? Noch immer ein Anblick, der unwillkürlich an die
Kleidung einer bekannten italienischen Volksmaske erinnert. Hält man etwa
an den Programms fest, aus Pietät gegen ähnliche unter Mendelssohns Re¬
giment? Mendelsohns Umänderungen des Progamms geschahen sehr weise,
nicht gewaltsam, davor schützte ihn die Gediegenheit seiner Bildung. Es
empfahl sich aber eine ästhetische Nichtigkeit nach der andern und betrat
das Repertoir nicht wieder. Das, was von Unbedeutenden, Schlechtem
aber stehen blieb, ließ er nicht gewähren aus Nachgiebigkeit oder schwach-
gemuther Toleranz, sondern aus Klugheit, weil er wußte, daß man in
dieser Arbeit mit wenig Gutem schon weit reicht; seine Sorge wäre aber
sicher geblieben, allmälig nichts mehr zur Aufführung kommen zu lassen,
das nicht ohne alle Nebenrücksicht ein Meisterstück genannt zu werden ver¬
diente. Man wende nicht ein, daß ein Institut, wie das hiesige, die Aufgabe
> habe auch die Leistungen der Gegenwart im Auge zu behalten und dem Puhu-,
cum vorzuführen. Diese Obliegenheit wird durchaus nicht in Abrede gestellt,
allein unbegreiflich bleibt es, beim Durchlaufen der Programms dieses Winter¬
halbjahres zu bemerken, daß man lediglich einer meist nur ungenügenden Virtuosität
wegen einundzwanzig Stücke vorgeführt hat, die ich noch ehre, wenn ich sie gedanken¬
lose Sammelsurien elender musikalischer Phrasen nenne. Was sollen solche Gift-
schwämme, neben den edelsten Gaben mozartischer oder beethovenscher Muse.
Um solchen Preis ist die höchste Virtuosität zu theuer gekauft. Solcher Nich¬
tigkeiten wegen, die ihr Fortbestehen nur der irrthümlichen Ansicht verdanken,
als gehöre zu einem leipziger Gewandhausconcert die'Leistung eines Virtuosen
"der Sängers als nothwendiger Bestandtheil, bleiben drei Simphonien Beet¬
hovens unausgeführt. Man sieht mit Bedauern auf dem Programm des
zweiten Concerts, hinter der Simphonie von Haydn die Ziffer VIl., denn nur
n'renat noch war es möglich, eine der zahlreichen Simphonien dieses Meisters
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/197>, abgerufen am 27.06.2024.