Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das alte Landrecht nannte den Adel den ersten Stand im Staat; die
gegenwärtige preußische Verfassung dagegen enthält den Paragraphen: Alle
Preußen sind vor dem Gesetz gleich; Standesunterschiede finden nicht statt.
Die äußerste Rechte beantragte die Streichung des Paragraphen; sie ist zwar
^dies Mal in ungeheurer Mehrheit verworfen, aber das ist noch kein Grund, daß
sie nicht in einer der nächsten Sessionen durchgehen könnte. Es ist daher
nothwendig, auf die Frage fortwährend seine Aufmerksamkeit zu richten.

Auch dies Mal geht die äußerste Rechte, wie gewöhnlich, scheinbar von der
Abneigung gegen allgemeine unbestimmte Paragraphen ans. Allein jener
Paragraph ist ganz und gar nicht unbestimmt, er bezieht sich auf die angeführte
Bestimmung deS allgemeinen Laudrechls, die damit aufgehoben wird. , Die Be¬
stimmung des Landrechts, daß der Adel der erste Stand im Staate sei, drückte
nicht blos ein Factum aus, sondern eine gesetzliche Garantie für die Fortdauer
dieses Factums, die durch anderweitige Bestimmungen, z. B. erimirle Gerichts¬
barkeit, verschiedene Behandlung bei Jnjurienprocessen und dergleichen, näher
bestimmt wurde. Die Verfassung hebt die Garantie auf, sie will aber das
Factum selbst nicht aufheben. Der Adel möge immerhin der erste Stand im
Staate sein, aber er möge es durch sich selbst werden; der Staat soll ihm keine
Hilfe leisten. Und damit ist allerdings allen gerechtfertigten Klagen des Bürger-
stanveö abgeholfen und der Adel auf seine eignen Hilfsquellen angewiesen.
Wenn es aber irgend etwas gibt, was den Stand als solchen erhalten und för¬
dern kann, so ist es, daß man ihn zwingt, auf eignen Füßen zu stehen. Wir
wollen, um das zu belegen, ins Einzelne eingehen.

Noch immer gilt der Edelmann allein für hoffähig, während seine aus¬
schließliche Berechtigung zum höher" Militärdienst aufgehört hat. Hier zeigt
sich so recht, wie wenig es nöthig, ja wie schädlich es ist, einem Verhältniß,
welches aus der Natur der Dinge hervorgeht, gesetzliche Sanction und dadurch
einen gehässigen Anstrich zu geben. So lange der Zugang zu den Ofsizier-
stellen dem Bürgerlichen gesetzlich verschlossen bleibt, wird er es alö eine Zu¬
rücksetzung bitter empfinden, und die Stellung der Offiziere gegen das Publi-
cum wird dadurch erschwert. Sobald mau ihm aber die Schranken eröffnet,
wird der Eintritt eines Bürgerlichen in das Militär immer eine seltene Aus¬
nahme sein; denn durch seine ganze Erziehung ist seinen Wünschen und Hoff¬
nungen eine andere Richtung gegeben, und praktisch betrachtet ist jedes andere
Geschäft ergiebiger. Der Adel wird stets den Stamm des deutschen Offizier¬
standes bilden, und es ist im Ganzen auch am vorteilhaftester für den Staat,
der dadurch eine traditionelle Kriegsschule, einen bestimmt ausgeprägten Corps-
geist und meh.enbei wohlfeile Ererciermeister erhält. Um diese Zustände zu er¬
halten, bedarf es keines äußerlichen künstlichen Mittels. Ebensowenig ist ein
Zudrang der Bürgerlichen zum Hofdienst zu befürchten. Gewiß muß es dem


Das alte Landrecht nannte den Adel den ersten Stand im Staat; die
gegenwärtige preußische Verfassung dagegen enthält den Paragraphen: Alle
Preußen sind vor dem Gesetz gleich; Standesunterschiede finden nicht statt.
Die äußerste Rechte beantragte die Streichung des Paragraphen; sie ist zwar
^dies Mal in ungeheurer Mehrheit verworfen, aber das ist noch kein Grund, daß
sie nicht in einer der nächsten Sessionen durchgehen könnte. Es ist daher
nothwendig, auf die Frage fortwährend seine Aufmerksamkeit zu richten.

Auch dies Mal geht die äußerste Rechte, wie gewöhnlich, scheinbar von der
Abneigung gegen allgemeine unbestimmte Paragraphen ans. Allein jener
Paragraph ist ganz und gar nicht unbestimmt, er bezieht sich auf die angeführte
Bestimmung deS allgemeinen Laudrechls, die damit aufgehoben wird. , Die Be¬
stimmung des Landrechts, daß der Adel der erste Stand im Staate sei, drückte
nicht blos ein Factum aus, sondern eine gesetzliche Garantie für die Fortdauer
dieses Factums, die durch anderweitige Bestimmungen, z. B. erimirle Gerichts¬
barkeit, verschiedene Behandlung bei Jnjurienprocessen und dergleichen, näher
bestimmt wurde. Die Verfassung hebt die Garantie auf, sie will aber das
Factum selbst nicht aufheben. Der Adel möge immerhin der erste Stand im
Staate sein, aber er möge es durch sich selbst werden; der Staat soll ihm keine
Hilfe leisten. Und damit ist allerdings allen gerechtfertigten Klagen des Bürger-
stanveö abgeholfen und der Adel auf seine eignen Hilfsquellen angewiesen.
Wenn es aber irgend etwas gibt, was den Stand als solchen erhalten und för¬
dern kann, so ist es, daß man ihn zwingt, auf eignen Füßen zu stehen. Wir
wollen, um das zu belegen, ins Einzelne eingehen.

Noch immer gilt der Edelmann allein für hoffähig, während seine aus¬
schließliche Berechtigung zum höher» Militärdienst aufgehört hat. Hier zeigt
sich so recht, wie wenig es nöthig, ja wie schädlich es ist, einem Verhältniß,
welches aus der Natur der Dinge hervorgeht, gesetzliche Sanction und dadurch
einen gehässigen Anstrich zu geben. So lange der Zugang zu den Ofsizier-
stellen dem Bürgerlichen gesetzlich verschlossen bleibt, wird er es alö eine Zu¬
rücksetzung bitter empfinden, und die Stellung der Offiziere gegen das Publi-
cum wird dadurch erschwert. Sobald mau ihm aber die Schranken eröffnet,
wird der Eintritt eines Bürgerlichen in das Militär immer eine seltene Aus¬
nahme sein; denn durch seine ganze Erziehung ist seinen Wünschen und Hoff¬
nungen eine andere Richtung gegeben, und praktisch betrachtet ist jedes andere
Geschäft ergiebiger. Der Adel wird stets den Stamm des deutschen Offizier¬
standes bilden, und es ist im Ganzen auch am vorteilhaftester für den Staat,
der dadurch eine traditionelle Kriegsschule, einen bestimmt ausgeprägten Corps-
geist und meh.enbei wohlfeile Ererciermeister erhält. Um diese Zustände zu er¬
halten, bedarf es keines äußerlichen künstlichen Mittels. Ebensowenig ist ein
Zudrang der Bürgerlichen zum Hofdienst zu befürchten. Gewiß muß es dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101718"/>
          <p xml:id="ID_467"> Das alte Landrecht nannte den Adel den ersten Stand im Staat; die<lb/>
gegenwärtige preußische Verfassung dagegen enthält den Paragraphen: Alle<lb/>
Preußen sind vor dem Gesetz gleich; Standesunterschiede finden nicht statt.<lb/>
Die äußerste Rechte beantragte die Streichung des Paragraphen; sie ist zwar<lb/>
^dies Mal in ungeheurer Mehrheit verworfen, aber das ist noch kein Grund, daß<lb/>
sie nicht in einer der nächsten Sessionen durchgehen könnte. Es ist daher<lb/>
nothwendig, auf die Frage fortwährend seine Aufmerksamkeit zu richten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_468"> Auch dies Mal geht die äußerste Rechte, wie gewöhnlich, scheinbar von der<lb/>
Abneigung gegen allgemeine unbestimmte Paragraphen ans. Allein jener<lb/>
Paragraph ist ganz und gar nicht unbestimmt, er bezieht sich auf die angeführte<lb/>
Bestimmung deS allgemeinen Laudrechls, die damit aufgehoben wird. , Die Be¬<lb/>
stimmung des Landrechts, daß der Adel der erste Stand im Staate sei, drückte<lb/>
nicht blos ein Factum aus, sondern eine gesetzliche Garantie für die Fortdauer<lb/>
dieses Factums, die durch anderweitige Bestimmungen, z. B. erimirle Gerichts¬<lb/>
barkeit, verschiedene Behandlung bei Jnjurienprocessen und dergleichen, näher<lb/>
bestimmt wurde. Die Verfassung hebt die Garantie auf, sie will aber das<lb/>
Factum selbst nicht aufheben. Der Adel möge immerhin der erste Stand im<lb/>
Staate sein, aber er möge es durch sich selbst werden; der Staat soll ihm keine<lb/>
Hilfe leisten. Und damit ist allerdings allen gerechtfertigten Klagen des Bürger-<lb/>
stanveö abgeholfen und der Adel auf seine eignen Hilfsquellen angewiesen.<lb/>
Wenn es aber irgend etwas gibt, was den Stand als solchen erhalten und för¬<lb/>
dern kann, so ist es, daß man ihn zwingt, auf eignen Füßen zu stehen. Wir<lb/>
wollen, um das zu belegen, ins Einzelne eingehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Noch immer gilt der Edelmann allein für hoffähig, während seine aus¬<lb/>
schließliche Berechtigung zum höher» Militärdienst aufgehört hat. Hier zeigt<lb/>
sich so recht, wie wenig es nöthig, ja wie schädlich es ist, einem Verhältniß,<lb/>
welches aus der Natur der Dinge hervorgeht, gesetzliche Sanction und dadurch<lb/>
einen gehässigen Anstrich zu geben. So lange der Zugang zu den Ofsizier-<lb/>
stellen dem Bürgerlichen gesetzlich verschlossen bleibt, wird er es alö eine Zu¬<lb/>
rücksetzung bitter empfinden, und die Stellung der Offiziere gegen das Publi-<lb/>
cum wird dadurch erschwert. Sobald mau ihm aber die Schranken eröffnet,<lb/>
wird der Eintritt eines Bürgerlichen in das Militär immer eine seltene Aus¬<lb/>
nahme sein; denn durch seine ganze Erziehung ist seinen Wünschen und Hoff¬<lb/>
nungen eine andere Richtung gegeben, und praktisch betrachtet ist jedes andere<lb/>
Geschäft ergiebiger. Der Adel wird stets den Stamm des deutschen Offizier¬<lb/>
standes bilden, und es ist im Ganzen auch am vorteilhaftester für den Staat,<lb/>
der dadurch eine traditionelle Kriegsschule, einen bestimmt ausgeprägten Corps-<lb/>
geist und meh.enbei wohlfeile Ererciermeister erhält. Um diese Zustände zu er¬<lb/>
halten, bedarf es keines äußerlichen künstlichen Mittels. Ebensowenig ist ein<lb/>
Zudrang der Bürgerlichen zum Hofdienst zu befürchten.  Gewiß muß es dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] Das alte Landrecht nannte den Adel den ersten Stand im Staat; die gegenwärtige preußische Verfassung dagegen enthält den Paragraphen: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich; Standesunterschiede finden nicht statt. Die äußerste Rechte beantragte die Streichung des Paragraphen; sie ist zwar ^dies Mal in ungeheurer Mehrheit verworfen, aber das ist noch kein Grund, daß sie nicht in einer der nächsten Sessionen durchgehen könnte. Es ist daher nothwendig, auf die Frage fortwährend seine Aufmerksamkeit zu richten. Auch dies Mal geht die äußerste Rechte, wie gewöhnlich, scheinbar von der Abneigung gegen allgemeine unbestimmte Paragraphen ans. Allein jener Paragraph ist ganz und gar nicht unbestimmt, er bezieht sich auf die angeführte Bestimmung deS allgemeinen Laudrechls, die damit aufgehoben wird. , Die Be¬ stimmung des Landrechts, daß der Adel der erste Stand im Staate sei, drückte nicht blos ein Factum aus, sondern eine gesetzliche Garantie für die Fortdauer dieses Factums, die durch anderweitige Bestimmungen, z. B. erimirle Gerichts¬ barkeit, verschiedene Behandlung bei Jnjurienprocessen und dergleichen, näher bestimmt wurde. Die Verfassung hebt die Garantie auf, sie will aber das Factum selbst nicht aufheben. Der Adel möge immerhin der erste Stand im Staate sein, aber er möge es durch sich selbst werden; der Staat soll ihm keine Hilfe leisten. Und damit ist allerdings allen gerechtfertigten Klagen des Bürger- stanveö abgeholfen und der Adel auf seine eignen Hilfsquellen angewiesen. Wenn es aber irgend etwas gibt, was den Stand als solchen erhalten und för¬ dern kann, so ist es, daß man ihn zwingt, auf eignen Füßen zu stehen. Wir wollen, um das zu belegen, ins Einzelne eingehen. Noch immer gilt der Edelmann allein für hoffähig, während seine aus¬ schließliche Berechtigung zum höher» Militärdienst aufgehört hat. Hier zeigt sich so recht, wie wenig es nöthig, ja wie schädlich es ist, einem Verhältniß, welches aus der Natur der Dinge hervorgeht, gesetzliche Sanction und dadurch einen gehässigen Anstrich zu geben. So lange der Zugang zu den Ofsizier- stellen dem Bürgerlichen gesetzlich verschlossen bleibt, wird er es alö eine Zu¬ rücksetzung bitter empfinden, und die Stellung der Offiziere gegen das Publi- cum wird dadurch erschwert. Sobald mau ihm aber die Schranken eröffnet, wird der Eintritt eines Bürgerlichen in das Militär immer eine seltene Aus¬ nahme sein; denn durch seine ganze Erziehung ist seinen Wünschen und Hoff¬ nungen eine andere Richtung gegeben, und praktisch betrachtet ist jedes andere Geschäft ergiebiger. Der Adel wird stets den Stamm des deutschen Offizier¬ standes bilden, und es ist im Ganzen auch am vorteilhaftester für den Staat, der dadurch eine traditionelle Kriegsschule, einen bestimmt ausgeprägten Corps- geist und meh.enbei wohlfeile Ererciermeister erhält. Um diese Zustände zu er¬ halten, bedarf es keines äußerlichen künstlichen Mittels. Ebensowenig ist ein Zudrang der Bürgerlichen zum Hofdienst zu befürchten. Gewiß muß es dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/191>, abgerufen am 27.06.2024.