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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ein Haß, der sich auf seinen Sohn nicht fortgeerbt zu haben scheint,
wenn man dem bekannten Schriftstück über den Depeschendiebstahl trauen
darf.

Die Abneigung gegen den Adel entspringt aus zwei sehr verschiedenen Moti¬
ven , die man nicht miteinander verwechseln darf. DaS erste ist der dem Men¬
schen angeborene Neid gegen jede Bevorzugung, in der er keine innere Noth¬
wendigkeit findet; am meisten gegen eine solche Bevorzugung, die nicht aus¬
zugleichen ist. Wenn man schon den reicheren Mann beneidet, so kann man
sich doch damit trösten, daß man durch Fleiß und Geschicklichkeit ihm nach¬
eifern kann. Der Adel dagegen läßt sich nicht erwerben; man kann zwar ge¬
adelt werden, aber damit erlangt man noch keine Ahnen, die von ihrem Schloß
aus die Pfeffersäcke geplündert hätten^ man entbehrt also grade die Hauptsache.
-- Man darf diesen Neid nicht ohne weiteres moralisch verurtheilen, denn er
ist natürlich, er ist ein Moment der politischen Entwicklung. Aber man darf
sich auch von ihm nicht bestimmen lassen, denn das politische Urtheil soll nicht
nach der Leidenschaft, sondern nach der Vernunft gehen. -- Ein zweites Motiv
bezieht sich nicht auf den Adel im Allgemeinen, sondern auf denjenigen Adel,
der die übrigen Stände unterdrückt. Dieses Motiv ist nicht blos durchaus
gerechtfertigt, sondern es ist auch so mächtig und wirksam, daß man mit der
größten Zuversicht voraussagen kann: jeder Adel, der im System der Unter¬
drückung beharrt, bereitet sich dadurch allmälig selbst den Untergang.

Um in der Adelssrage unbefangen zu urtheilen, muß man vor allem von
dem Gedanken ausgehen, daß der Adel eine Thatsache ist. Eine Thatsache
läßt sich durch einen Federstrich nicht wegschaffen. Es war von Seiten der
preußischen Nationalversammlung ein ungeheurer Irrthum, daß sie glaubte,
den Adel durch ein Decret aufheben zu können. Die Grundlage des Adels ist
das sociale Vorurtheil und gegen Vorurtheile kämpft man nicht mit Gesetzen.

Dagegen ist es von Seiten des Bürgerstandes nicht nur vollkommen ge¬
rechtfertigt, wenn er nach der Abschaffung aller Standesunterschiede strebt,
sondern der Adel, wenn man ihm einigermaßen sein Verhältniß zur Gegenwart
klar macht, muß ihn darin aufs eifrigste unterstützen. Das Institut des Adels, weil
es vorzugsweise auf socialen Vorurtheilen beruht, ist unabhängig von gesetzlichen
Bestimmungen; ja es wird um so mehr gedeihen, je weniger es sich solcher Krücken
bedient. Denn nur aus jenen Privilegien entspringt die Abneigung, mit
welcher ihn der wohlgesinnte Theil der Nation betrachtet; und wenn diejenige
Partei, die sich gern als Vertreterin des Adels bezeichnet, eS wirklich dahin
bringt, eins nach dem andern jener verrosteten Vorrechte wiederherzustellen, so
wird die natürliche Folge eine Reaction sein, deren Tragweite sich gar nicht
berechnen läßt. Was der Adel an Titeln der Macht gewinnt, verliert er an
wirklicher Macht.


ein Haß, der sich auf seinen Sohn nicht fortgeerbt zu haben scheint,
wenn man dem bekannten Schriftstück über den Depeschendiebstahl trauen
darf.

Die Abneigung gegen den Adel entspringt aus zwei sehr verschiedenen Moti¬
ven , die man nicht miteinander verwechseln darf. DaS erste ist der dem Men¬
schen angeborene Neid gegen jede Bevorzugung, in der er keine innere Noth¬
wendigkeit findet; am meisten gegen eine solche Bevorzugung, die nicht aus¬
zugleichen ist. Wenn man schon den reicheren Mann beneidet, so kann man
sich doch damit trösten, daß man durch Fleiß und Geschicklichkeit ihm nach¬
eifern kann. Der Adel dagegen läßt sich nicht erwerben; man kann zwar ge¬
adelt werden, aber damit erlangt man noch keine Ahnen, die von ihrem Schloß
aus die Pfeffersäcke geplündert hätten^ man entbehrt also grade die Hauptsache.
— Man darf diesen Neid nicht ohne weiteres moralisch verurtheilen, denn er
ist natürlich, er ist ein Moment der politischen Entwicklung. Aber man darf
sich auch von ihm nicht bestimmen lassen, denn das politische Urtheil soll nicht
nach der Leidenschaft, sondern nach der Vernunft gehen. — Ein zweites Motiv
bezieht sich nicht auf den Adel im Allgemeinen, sondern auf denjenigen Adel,
der die übrigen Stände unterdrückt. Dieses Motiv ist nicht blos durchaus
gerechtfertigt, sondern es ist auch so mächtig und wirksam, daß man mit der
größten Zuversicht voraussagen kann: jeder Adel, der im System der Unter¬
drückung beharrt, bereitet sich dadurch allmälig selbst den Untergang.

Um in der Adelssrage unbefangen zu urtheilen, muß man vor allem von
dem Gedanken ausgehen, daß der Adel eine Thatsache ist. Eine Thatsache
läßt sich durch einen Federstrich nicht wegschaffen. Es war von Seiten der
preußischen Nationalversammlung ein ungeheurer Irrthum, daß sie glaubte,
den Adel durch ein Decret aufheben zu können. Die Grundlage des Adels ist
das sociale Vorurtheil und gegen Vorurtheile kämpft man nicht mit Gesetzen.

Dagegen ist es von Seiten des Bürgerstandes nicht nur vollkommen ge¬
rechtfertigt, wenn er nach der Abschaffung aller Standesunterschiede strebt,
sondern der Adel, wenn man ihm einigermaßen sein Verhältniß zur Gegenwart
klar macht, muß ihn darin aufs eifrigste unterstützen. Das Institut des Adels, weil
es vorzugsweise auf socialen Vorurtheilen beruht, ist unabhängig von gesetzlichen
Bestimmungen; ja es wird um so mehr gedeihen, je weniger es sich solcher Krücken
bedient. Denn nur aus jenen Privilegien entspringt die Abneigung, mit
welcher ihn der wohlgesinnte Theil der Nation betrachtet; und wenn diejenige
Partei, die sich gern als Vertreterin des Adels bezeichnet, eS wirklich dahin
bringt, eins nach dem andern jener verrosteten Vorrechte wiederherzustellen, so
wird die natürliche Folge eine Reaction sein, deren Tragweite sich gar nicht
berechnen läßt. Was der Adel an Titeln der Macht gewinnt, verliert er an
wirklicher Macht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/190>, abgerufen am 27.06.2024.