Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

daß etwas von der Größe des Gegenstandes in seine eigne Darstellung über¬
geht. Als er an die Charakteristik Cäsars geht, spricht er die Besorgnis) aus,
daß man die vollkommene Schönheit, die eben keine hervorspringenden Eigen¬
schaften zeigt, nicht darstellen könne. Die Besorgnis) war ungegründet, seine
Charakteristik Cäsars gehört zu den anziehendsten Seiten des Buchs. Um das
Große zu sehen, muß man freilich in seinem eignen Auge schon das Maß der
Größe besitzen; und so tritt denn auch dem Leser des Buchs in der Freude
über das Dargestellte zugleich die Persönlichkeit des Darstellers bedeutend und
achtunggebietend entgegen. Von jener Objektivität, die man früher als Ideal
der Geschichtschreibung aufstellte, daß nämlich die Ereignisse sich gewissermaßen
selbst erzählen sollten, ist freilich hier keine Rede; aber jenes Ideal beruht
auch nur auf einer Verwechslung des Epos mit der Geschichte. Wir fühlen
die starke Hand des Führers, der uns auf den steilen Pfad leitet, aber dies
Gefühl gibt uns zugleich Sicherheit, uns der überraschenden Aussicht hinzugeben.
Das Schattenspiel des Dichters bedarf dieser fühlbaren Leitung nicht, der
schöne Schein kommt uns entgegen, wir haben nicht nöthig, vom Platz zu
weichen.

Grade weil die Persönlichkeit so scharf und bedeutend hervortritt, wird das
Buch von den verschiedensten Seiten große Anfechtungen erleiden, es kann
davon bereits erzählen; denn höflich ist der Verfasser nicht; wo er irgend ein
Hinderniß entfernen muß, das sich ver freien Aussicht in den Weg stellt, greift
er mit rauher Hand zu, ja es begegnet ihm zuweilen, daß er mehr Kraft dabei
verwendet, als nöthig wäre, daß er also unnütz verletzt. Die Pädagogen, die
früher daran gewöhnt waren, Cicero als den Gipfel aller schriftstellerischen
Größe zu betrachten, werden außer Fassung gerathen, denn Drumann stellt
ihn doch nur als einen schlechten Politiker dar, Mommsen behauptet, daß er auch
ein schlechter Autor ist. Die Verehrer des römischen Alterthums werden
zürnen, denn Niebuhr stellte es zwar auch als eine Fabel dar, aber er schrieb
doch noch dicke Bände darüber: Mommsen wirft es als etwas völlig Gleich-
giltiges und Nichtssagendes über Bord. Es gibt sast keine Gattung der land¬
üblichen Classicität, die nicht irgendwie verletzt wäre. Noch schlimmer geht es
den Politikern. Die sogenannte konservative Gesinnung wird fortwährend mit
Füßen getreten und wenn auch im strengsten Sinn des Worts nur von der
römischen Geschichte geredet wird, so fühlt der aufmerksame Leser sehr bald
heraus, daß die Principien des Urtheils zu fest stehen, zu leidenschaftlich
empfunden sind, um nicht mit derselben Strenge auch gelegentlich an den neuern
Erscheinungen der gleichen Art geltend gemacht zu werden. Auf der andern Seite
erscheint gegen den Ton, in dem hier vom souveränen Pöbel geredet wird, die
Sprache Coriolanö wie die eines schüchternen Mädchens und wenn diejenige
Classe des Publicums, die durch die Lectüre der Voßschen Zeitung gebildet


daß etwas von der Größe des Gegenstandes in seine eigne Darstellung über¬
geht. Als er an die Charakteristik Cäsars geht, spricht er die Besorgnis) aus,
daß man die vollkommene Schönheit, die eben keine hervorspringenden Eigen¬
schaften zeigt, nicht darstellen könne. Die Besorgnis) war ungegründet, seine
Charakteristik Cäsars gehört zu den anziehendsten Seiten des Buchs. Um das
Große zu sehen, muß man freilich in seinem eignen Auge schon das Maß der
Größe besitzen; und so tritt denn auch dem Leser des Buchs in der Freude
über das Dargestellte zugleich die Persönlichkeit des Darstellers bedeutend und
achtunggebietend entgegen. Von jener Objektivität, die man früher als Ideal
der Geschichtschreibung aufstellte, daß nämlich die Ereignisse sich gewissermaßen
selbst erzählen sollten, ist freilich hier keine Rede; aber jenes Ideal beruht
auch nur auf einer Verwechslung des Epos mit der Geschichte. Wir fühlen
die starke Hand des Führers, der uns auf den steilen Pfad leitet, aber dies
Gefühl gibt uns zugleich Sicherheit, uns der überraschenden Aussicht hinzugeben.
Das Schattenspiel des Dichters bedarf dieser fühlbaren Leitung nicht, der
schöne Schein kommt uns entgegen, wir haben nicht nöthig, vom Platz zu
weichen.

Grade weil die Persönlichkeit so scharf und bedeutend hervortritt, wird das
Buch von den verschiedensten Seiten große Anfechtungen erleiden, es kann
davon bereits erzählen; denn höflich ist der Verfasser nicht; wo er irgend ein
Hinderniß entfernen muß, das sich ver freien Aussicht in den Weg stellt, greift
er mit rauher Hand zu, ja es begegnet ihm zuweilen, daß er mehr Kraft dabei
verwendet, als nöthig wäre, daß er also unnütz verletzt. Die Pädagogen, die
früher daran gewöhnt waren, Cicero als den Gipfel aller schriftstellerischen
Größe zu betrachten, werden außer Fassung gerathen, denn Drumann stellt
ihn doch nur als einen schlechten Politiker dar, Mommsen behauptet, daß er auch
ein schlechter Autor ist. Die Verehrer des römischen Alterthums werden
zürnen, denn Niebuhr stellte es zwar auch als eine Fabel dar, aber er schrieb
doch noch dicke Bände darüber: Mommsen wirft es als etwas völlig Gleich-
giltiges und Nichtssagendes über Bord. Es gibt sast keine Gattung der land¬
üblichen Classicität, die nicht irgendwie verletzt wäre. Noch schlimmer geht es
den Politikern. Die sogenannte konservative Gesinnung wird fortwährend mit
Füßen getreten und wenn auch im strengsten Sinn des Worts nur von der
römischen Geschichte geredet wird, so fühlt der aufmerksame Leser sehr bald
heraus, daß die Principien des Urtheils zu fest stehen, zu leidenschaftlich
empfunden sind, um nicht mit derselben Strenge auch gelegentlich an den neuern
Erscheinungen der gleichen Art geltend gemacht zu werden. Auf der andern Seite
erscheint gegen den Ton, in dem hier vom souveränen Pöbel geredet wird, die
Sprache Coriolanö wie die eines schüchternen Mädchens und wenn diejenige
Classe des Publicums, die durch die Lectüre der Voßschen Zeitung gebildet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101539"/>
          <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> daß etwas von der Größe des Gegenstandes in seine eigne Darstellung über¬<lb/>
geht. Als er an die Charakteristik Cäsars geht, spricht er die Besorgnis) aus,<lb/>
daß man die vollkommene Schönheit, die eben keine hervorspringenden Eigen¬<lb/>
schaften zeigt, nicht darstellen könne. Die Besorgnis) war ungegründet, seine<lb/>
Charakteristik Cäsars gehört zu den anziehendsten Seiten des Buchs. Um das<lb/>
Große zu sehen, muß man freilich in seinem eignen Auge schon das Maß der<lb/>
Größe besitzen; und so tritt denn auch dem Leser des Buchs in der Freude<lb/>
über das Dargestellte zugleich die Persönlichkeit des Darstellers bedeutend und<lb/>
achtunggebietend entgegen. Von jener Objektivität, die man früher als Ideal<lb/>
der Geschichtschreibung aufstellte, daß nämlich die Ereignisse sich gewissermaßen<lb/>
selbst erzählen sollten, ist freilich hier keine Rede; aber jenes Ideal beruht<lb/>
auch nur auf einer Verwechslung des Epos mit der Geschichte. Wir fühlen<lb/>
die starke Hand des Führers, der uns auf den steilen Pfad leitet, aber dies<lb/>
Gefühl gibt uns zugleich Sicherheit, uns der überraschenden Aussicht hinzugeben.<lb/>
Das Schattenspiel des Dichters bedarf dieser fühlbaren Leitung nicht, der<lb/>
schöne Schein kommt uns entgegen, wir haben nicht nöthig, vom Platz zu<lb/>
weichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Grade weil die Persönlichkeit so scharf und bedeutend hervortritt, wird das<lb/>
Buch von den verschiedensten Seiten große Anfechtungen erleiden, es kann<lb/>
davon bereits erzählen; denn höflich ist der Verfasser nicht; wo er irgend ein<lb/>
Hinderniß entfernen muß, das sich ver freien Aussicht in den Weg stellt, greift<lb/>
er mit rauher Hand zu, ja es begegnet ihm zuweilen, daß er mehr Kraft dabei<lb/>
verwendet, als nöthig wäre, daß er also unnütz verletzt. Die Pädagogen, die<lb/>
früher daran gewöhnt waren, Cicero als den Gipfel aller schriftstellerischen<lb/>
Größe zu betrachten, werden außer Fassung gerathen, denn Drumann stellt<lb/>
ihn doch nur als einen schlechten Politiker dar, Mommsen behauptet, daß er auch<lb/>
ein schlechter Autor ist. Die Verehrer des römischen Alterthums werden<lb/>
zürnen, denn Niebuhr stellte es zwar auch als eine Fabel dar, aber er schrieb<lb/>
doch noch dicke Bände darüber: Mommsen wirft es als etwas völlig Gleich-<lb/>
giltiges und Nichtssagendes über Bord. Es gibt sast keine Gattung der land¬<lb/>
üblichen Classicität, die nicht irgendwie verletzt wäre. Noch schlimmer geht es<lb/>
den Politikern. Die sogenannte konservative Gesinnung wird fortwährend mit<lb/>
Füßen getreten und wenn auch im strengsten Sinn des Worts nur von der<lb/>
römischen Geschichte geredet wird, so fühlt der aufmerksame Leser sehr bald<lb/>
heraus, daß die Principien des Urtheils zu fest stehen, zu leidenschaftlich<lb/>
empfunden sind, um nicht mit derselben Strenge auch gelegentlich an den neuern<lb/>
Erscheinungen der gleichen Art geltend gemacht zu werden. Auf der andern Seite<lb/>
erscheint gegen den Ton, in dem hier vom souveränen Pöbel geredet wird, die<lb/>
Sprache Coriolanö wie die eines schüchternen Mädchens und wenn diejenige<lb/>
Classe des Publicums, die durch die Lectüre der Voßschen Zeitung gebildet</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] daß etwas von der Größe des Gegenstandes in seine eigne Darstellung über¬ geht. Als er an die Charakteristik Cäsars geht, spricht er die Besorgnis) aus, daß man die vollkommene Schönheit, die eben keine hervorspringenden Eigen¬ schaften zeigt, nicht darstellen könne. Die Besorgnis) war ungegründet, seine Charakteristik Cäsars gehört zu den anziehendsten Seiten des Buchs. Um das Große zu sehen, muß man freilich in seinem eignen Auge schon das Maß der Größe besitzen; und so tritt denn auch dem Leser des Buchs in der Freude über das Dargestellte zugleich die Persönlichkeit des Darstellers bedeutend und achtunggebietend entgegen. Von jener Objektivität, die man früher als Ideal der Geschichtschreibung aufstellte, daß nämlich die Ereignisse sich gewissermaßen selbst erzählen sollten, ist freilich hier keine Rede; aber jenes Ideal beruht auch nur auf einer Verwechslung des Epos mit der Geschichte. Wir fühlen die starke Hand des Führers, der uns auf den steilen Pfad leitet, aber dies Gefühl gibt uns zugleich Sicherheit, uns der überraschenden Aussicht hinzugeben. Das Schattenspiel des Dichters bedarf dieser fühlbaren Leitung nicht, der schöne Schein kommt uns entgegen, wir haben nicht nöthig, vom Platz zu weichen. Grade weil die Persönlichkeit so scharf und bedeutend hervortritt, wird das Buch von den verschiedensten Seiten große Anfechtungen erleiden, es kann davon bereits erzählen; denn höflich ist der Verfasser nicht; wo er irgend ein Hinderniß entfernen muß, das sich ver freien Aussicht in den Weg stellt, greift er mit rauher Hand zu, ja es begegnet ihm zuweilen, daß er mehr Kraft dabei verwendet, als nöthig wäre, daß er also unnütz verletzt. Die Pädagogen, die früher daran gewöhnt waren, Cicero als den Gipfel aller schriftstellerischen Größe zu betrachten, werden außer Fassung gerathen, denn Drumann stellt ihn doch nur als einen schlechten Politiker dar, Mommsen behauptet, daß er auch ein schlechter Autor ist. Die Verehrer des römischen Alterthums werden zürnen, denn Niebuhr stellte es zwar auch als eine Fabel dar, aber er schrieb doch noch dicke Bände darüber: Mommsen wirft es als etwas völlig Gleich- giltiges und Nichtssagendes über Bord. Es gibt sast keine Gattung der land¬ üblichen Classicität, die nicht irgendwie verletzt wäre. Noch schlimmer geht es den Politikern. Die sogenannte konservative Gesinnung wird fortwährend mit Füßen getreten und wenn auch im strengsten Sinn des Worts nur von der römischen Geschichte geredet wird, so fühlt der aufmerksame Leser sehr bald heraus, daß die Principien des Urtheils zu fest stehen, zu leidenschaftlich empfunden sind, um nicht mit derselben Strenge auch gelegentlich an den neuern Erscheinungen der gleichen Art geltend gemacht zu werden. Auf der andern Seite erscheint gegen den Ton, in dem hier vom souveränen Pöbel geredet wird, die Sprache Coriolanö wie die eines schüchternen Mädchens und wenn diejenige Classe des Publicums, die durch die Lectüre der Voßschen Zeitung gebildet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/12>, abgerufen am 21.06.2024.