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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wüste liegen, und auch Riß, der wol an seinem Vorhaben verzweifeln mochte,
ließ nach dem Brande nichts mehr von sich merken.

Im Allgemeinen war er der Mann nicht, der leicht los zu werden war.
Im Gegentheil, er war fast so unentrinnbar wie ein böses Gewissen.

Ein Bauer, den er bis zur Verzweiflung geplagt hatte, versuchte alles
Erdenkliche, Beschwörungen, Räucherungen u. s. w., um den Störenfried zu
verscheuchen. Umsonst! der böse Geist quälte ihn nach wie vor. Da dachte
er, endlich: Gehst du nicht, so gehe ich, und damit ließ er sein sämmtliches
Hab und Gut auf Wagen laden und nach einem andern Hause fahren. Als
der letzte Wagen abgehen sollte, sah der Bauer von ungefähr nach oben, und
siehe, da saß auf der obersten Kiste, die der Wagen trug, Riß Puck, schaukelte
sich wohlgemut!) und rief: "Hei, wi flütten!"*)

Die letzten Nachrichten, die man von ihm hat, stimmen darin überein,
daß er weggeblieben -- an dem einen Orte, weil das alte Geschlecht, bei dem
er hausgewohnt und heimisch gewesen seit Jahrhunderten, allmälig gestorben
und verdorben und dessen Erbgut in fremde Hände übergegangen war, -- an
dem anderen, weil er es vorgezogen, den Hofbesitzer zur Gründung eines häus¬
lichen Herdes an anderer Stätte zu folgen, statt sich mit dem Nachfolger zu
verständigen, -- an dem dritten, weil er sich mit der jungen Hausfrau, die
der Sohn des alten Herrn heimgeführt, nicht zu befreunden vermochte, -- am
vierten endlich, weil er der Modernisirung des Hauses oder der neuen Stall¬
einrichtung seinen Beifall versagen zu müssen glaubte.

Merkwürdig bleibt es indessen, daß Riß sich so lange seinen ursprüng¬
lichen volksthümlichen Charakter zu bewahren gewußt hat und nicht zum
grausen Gespenste wurde, wie Wodan, der nächtliche Jäger, auf seinem drei¬
beinigen Rosse, wie Frau Hulda mit ihrem schauerlichen Leichenconducte, wie
König Adels Hofgesinde auf dem Mövenberg und wie der alte Graf Geert
mit seinen drei großen Hunden auf den nunmehr doch geschleiften Wällen
Rendsburgs. Sicher steckte in dem Phantasiebilde Riß Puck ein Stück
jener unverwüstlichen Lebenskraft, welche die Zeit überdauert und den Men¬
schen zu hohen Jahren bringt -- ein Stück ursprünglicher Volksnatur, das
sich unverändert erhalten von den ältesten Zeiten her, und das ist der Grund,
aus dem ich ihm hier ein kleines Denkmal gesetzt habe neben dem Angelnhaus,
dessen Dämon oder Genius er war.




Literatur.

> Es liegen uns eine Reihe vortrefflicher Werke vor, namentlich historischen In¬
halts, zu deren ausführlicher Besprechung wir erst allmälig Zeit gewinnen werden,



") d. h. Juchhei, wir ziehen aus!

wüste liegen, und auch Riß, der wol an seinem Vorhaben verzweifeln mochte,
ließ nach dem Brande nichts mehr von sich merken.

Im Allgemeinen war er der Mann nicht, der leicht los zu werden war.
Im Gegentheil, er war fast so unentrinnbar wie ein böses Gewissen.

Ein Bauer, den er bis zur Verzweiflung geplagt hatte, versuchte alles
Erdenkliche, Beschwörungen, Räucherungen u. s. w., um den Störenfried zu
verscheuchen. Umsonst! der böse Geist quälte ihn nach wie vor. Da dachte
er, endlich: Gehst du nicht, so gehe ich, und damit ließ er sein sämmtliches
Hab und Gut auf Wagen laden und nach einem andern Hause fahren. Als
der letzte Wagen abgehen sollte, sah der Bauer von ungefähr nach oben, und
siehe, da saß auf der obersten Kiste, die der Wagen trug, Riß Puck, schaukelte
sich wohlgemut!) und rief: „Hei, wi flütten!"*)

Die letzten Nachrichten, die man von ihm hat, stimmen darin überein,
daß er weggeblieben — an dem einen Orte, weil das alte Geschlecht, bei dem
er hausgewohnt und heimisch gewesen seit Jahrhunderten, allmälig gestorben
und verdorben und dessen Erbgut in fremde Hände übergegangen war, — an
dem anderen, weil er es vorgezogen, den Hofbesitzer zur Gründung eines häus¬
lichen Herdes an anderer Stätte zu folgen, statt sich mit dem Nachfolger zu
verständigen, — an dem dritten, weil er sich mit der jungen Hausfrau, die
der Sohn des alten Herrn heimgeführt, nicht zu befreunden vermochte, — am
vierten endlich, weil er der Modernisirung des Hauses oder der neuen Stall¬
einrichtung seinen Beifall versagen zu müssen glaubte.

Merkwürdig bleibt es indessen, daß Riß sich so lange seinen ursprüng¬
lichen volksthümlichen Charakter zu bewahren gewußt hat und nicht zum
grausen Gespenste wurde, wie Wodan, der nächtliche Jäger, auf seinem drei¬
beinigen Rosse, wie Frau Hulda mit ihrem schauerlichen Leichenconducte, wie
König Adels Hofgesinde auf dem Mövenberg und wie der alte Graf Geert
mit seinen drei großen Hunden auf den nunmehr doch geschleiften Wällen
Rendsburgs. Sicher steckte in dem Phantasiebilde Riß Puck ein Stück
jener unverwüstlichen Lebenskraft, welche die Zeit überdauert und den Men¬
schen zu hohen Jahren bringt — ein Stück ursprünglicher Volksnatur, das
sich unverändert erhalten von den ältesten Zeiten her, und das ist der Grund,
aus dem ich ihm hier ein kleines Denkmal gesetzt habe neben dem Angelnhaus,
dessen Dämon oder Genius er war.




Literatur.

> Es liegen uns eine Reihe vortrefflicher Werke vor, namentlich historischen In¬
halts, zu deren ausführlicher Besprechung wir erst allmälig Zeit gewinnen werden,



") d. h. Juchhei, wir ziehen aus!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/47>, abgerufen am 23.07.2024.