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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sonst nie geschah, selbst am hellen Tage zu zeigen. Wenn die Arbeit deS
Mähers vollendet ist und die letzten Halme unter der Sense der Schnitter
gefallen sind, putzen die Arbeiter die letzte Garbe mit Blumen und Bändern
auf, richten sie so ein, daß sie einigermaßen an eine menschliche Gestalt mit
Armen und Beinen erinnert und ziehen hiernach, den Schnitter, der den
letzten Sensenhieb gethan, mit seiner Mäherin voraus, in Processton nach dem
Hofe, wo man die Figur, welche Font oder Fuke genannt wird, unter gewissen
Ceremonien abliefert, wofür der Gutsbesitzer sich dadurch bedankt, daß er den
Leuten entweder im Freien oder im Milchkeller einen Schmaus und einen kleinen
Ball gibt, was in Angeln Erntebier heißt.

Bei solchen Gelegenheiten guckte Riß gern aus der Giebelluke, um sich
nach dem ankommenden Zuge umzusehen und vor demselben auf übliche Weise
die Honneurs zu machen. Als dies einmal geschehen war, und die Procession
der Schnitter sich bereits um die Ecke begeben hatte, gerieth Riß auf den
unglücklichen Einfall, den bellenden Kettenhund damit necken zu wollen, daß
er ihm bald das eine, bald das andere Bein von oben herab vorhielt. Un¬
glücklicherweise fügte es sich, daß bei dieser Belustigung ihm einer der Pan¬
toffeln entglitt und dem rasenden Köter grade in den Rachen fiel. Riß schrie
und lamentirte erbärmlich. Er konnte mit seinen zarten Füßen nicht barfuß
gehen, und gleichwol getraute er sich nicht, dem bösen Hunde seine Beute zu
entreißen. Endlich erbarmte sich eine Magd seiner, und sie hatte eS nicht zu
bereuen; denn einen Freundschaftsdienst läßt der Kobold niemals unvergolten.

Nicht immer jedoch hat Riß Puck die im Ganzen harmlose Laune, mit
der er auf dem Hose L. auftritt. An manchen andern Stellen kennt man ihn
nur, oder doch vorzugsweise, als bösartigen, menschenfeindlichen Poltergeist, der
nicht Ruhe noch Frieden, weder Segen noch Gedeihen in dem Hause auf¬
kommen läßt, wo er sich eingenistet hat. Von dem alten Herrenhöfe N., der
seit Menschengedenken unaufhörlich und in kurzen Zwischenräumen aus einer
Hand in die andere übergegangen, war die Sage verbreitet, daß Riß dort
Hause und den Eignern auf jede Art ihr Besitzthum zu verleiden strebe, indem
er es sich in den Kops gesetzt habe, auf diese Manier eine Familie, die ihm
befreundet gewesen, wieder in den Besitz des Gutes zu bringen, welches ein
leichtsinniges Glied derselben einmal im Würfelspiele verschleudert. Mißwachs
und Viehseuchen, welche nur diesen Hof betrafen, vertrieben nun allerdings
einen Käufer nach dem andern von dem Gute. Die Nachkommen der alten
Besitzer aber kehrten trotzdem nie in ihr Erbe zurück. Endlich brannten sämmt¬
liche zum Hofe gehörende Gebäude ab, der damalige Eigenthümer ließ sich an¬
derswo nieder und der alte Haupthof ward zu einem bloßen Pachthofe einge-
gerichtet, in welchem Zustande er sich noch heute befindet. Das frühere herr¬
schaftliche Wohnhaus wurde nicht wieder aufgebaut, Park und Garten blieben


sonst nie geschah, selbst am hellen Tage zu zeigen. Wenn die Arbeit deS
Mähers vollendet ist und die letzten Halme unter der Sense der Schnitter
gefallen sind, putzen die Arbeiter die letzte Garbe mit Blumen und Bändern
auf, richten sie so ein, daß sie einigermaßen an eine menschliche Gestalt mit
Armen und Beinen erinnert und ziehen hiernach, den Schnitter, der den
letzten Sensenhieb gethan, mit seiner Mäherin voraus, in Processton nach dem
Hofe, wo man die Figur, welche Font oder Fuke genannt wird, unter gewissen
Ceremonien abliefert, wofür der Gutsbesitzer sich dadurch bedankt, daß er den
Leuten entweder im Freien oder im Milchkeller einen Schmaus und einen kleinen
Ball gibt, was in Angeln Erntebier heißt.

Bei solchen Gelegenheiten guckte Riß gern aus der Giebelluke, um sich
nach dem ankommenden Zuge umzusehen und vor demselben auf übliche Weise
die Honneurs zu machen. Als dies einmal geschehen war, und die Procession
der Schnitter sich bereits um die Ecke begeben hatte, gerieth Riß auf den
unglücklichen Einfall, den bellenden Kettenhund damit necken zu wollen, daß
er ihm bald das eine, bald das andere Bein von oben herab vorhielt. Un¬
glücklicherweise fügte es sich, daß bei dieser Belustigung ihm einer der Pan¬
toffeln entglitt und dem rasenden Köter grade in den Rachen fiel. Riß schrie
und lamentirte erbärmlich. Er konnte mit seinen zarten Füßen nicht barfuß
gehen, und gleichwol getraute er sich nicht, dem bösen Hunde seine Beute zu
entreißen. Endlich erbarmte sich eine Magd seiner, und sie hatte eS nicht zu
bereuen; denn einen Freundschaftsdienst läßt der Kobold niemals unvergolten.

Nicht immer jedoch hat Riß Puck die im Ganzen harmlose Laune, mit
der er auf dem Hose L. auftritt. An manchen andern Stellen kennt man ihn
nur, oder doch vorzugsweise, als bösartigen, menschenfeindlichen Poltergeist, der
nicht Ruhe noch Frieden, weder Segen noch Gedeihen in dem Hause auf¬
kommen läßt, wo er sich eingenistet hat. Von dem alten Herrenhöfe N., der
seit Menschengedenken unaufhörlich und in kurzen Zwischenräumen aus einer
Hand in die andere übergegangen, war die Sage verbreitet, daß Riß dort
Hause und den Eignern auf jede Art ihr Besitzthum zu verleiden strebe, indem
er es sich in den Kops gesetzt habe, auf diese Manier eine Familie, die ihm
befreundet gewesen, wieder in den Besitz des Gutes zu bringen, welches ein
leichtsinniges Glied derselben einmal im Würfelspiele verschleudert. Mißwachs
und Viehseuchen, welche nur diesen Hof betrafen, vertrieben nun allerdings
einen Käufer nach dem andern von dem Gute. Die Nachkommen der alten
Besitzer aber kehrten trotzdem nie in ihr Erbe zurück. Endlich brannten sämmt¬
liche zum Hofe gehörende Gebäude ab, der damalige Eigenthümer ließ sich an¬
derswo nieder und der alte Haupthof ward zu einem bloßen Pachthofe einge-
gerichtet, in welchem Zustande er sich noch heute befindet. Das frühere herr¬
schaftliche Wohnhaus wurde nicht wieder aufgebaut, Park und Garten blieben


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[0046] sonst nie geschah, selbst am hellen Tage zu zeigen. Wenn die Arbeit deS Mähers vollendet ist und die letzten Halme unter der Sense der Schnitter gefallen sind, putzen die Arbeiter die letzte Garbe mit Blumen und Bändern auf, richten sie so ein, daß sie einigermaßen an eine menschliche Gestalt mit Armen und Beinen erinnert und ziehen hiernach, den Schnitter, der den letzten Sensenhieb gethan, mit seiner Mäherin voraus, in Processton nach dem Hofe, wo man die Figur, welche Font oder Fuke genannt wird, unter gewissen Ceremonien abliefert, wofür der Gutsbesitzer sich dadurch bedankt, daß er den Leuten entweder im Freien oder im Milchkeller einen Schmaus und einen kleinen Ball gibt, was in Angeln Erntebier heißt. Bei solchen Gelegenheiten guckte Riß gern aus der Giebelluke, um sich nach dem ankommenden Zuge umzusehen und vor demselben auf übliche Weise die Honneurs zu machen. Als dies einmal geschehen war, und die Procession der Schnitter sich bereits um die Ecke begeben hatte, gerieth Riß auf den unglücklichen Einfall, den bellenden Kettenhund damit necken zu wollen, daß er ihm bald das eine, bald das andere Bein von oben herab vorhielt. Un¬ glücklicherweise fügte es sich, daß bei dieser Belustigung ihm einer der Pan¬ toffeln entglitt und dem rasenden Köter grade in den Rachen fiel. Riß schrie und lamentirte erbärmlich. Er konnte mit seinen zarten Füßen nicht barfuß gehen, und gleichwol getraute er sich nicht, dem bösen Hunde seine Beute zu entreißen. Endlich erbarmte sich eine Magd seiner, und sie hatte eS nicht zu bereuen; denn einen Freundschaftsdienst läßt der Kobold niemals unvergolten. Nicht immer jedoch hat Riß Puck die im Ganzen harmlose Laune, mit der er auf dem Hose L. auftritt. An manchen andern Stellen kennt man ihn nur, oder doch vorzugsweise, als bösartigen, menschenfeindlichen Poltergeist, der nicht Ruhe noch Frieden, weder Segen noch Gedeihen in dem Hause auf¬ kommen läßt, wo er sich eingenistet hat. Von dem alten Herrenhöfe N., der seit Menschengedenken unaufhörlich und in kurzen Zwischenräumen aus einer Hand in die andere übergegangen, war die Sage verbreitet, daß Riß dort Hause und den Eignern auf jede Art ihr Besitzthum zu verleiden strebe, indem er es sich in den Kops gesetzt habe, auf diese Manier eine Familie, die ihm befreundet gewesen, wieder in den Besitz des Gutes zu bringen, welches ein leichtsinniges Glied derselben einmal im Würfelspiele verschleudert. Mißwachs und Viehseuchen, welche nur diesen Hof betrafen, vertrieben nun allerdings einen Käufer nach dem andern von dem Gute. Die Nachkommen der alten Besitzer aber kehrten trotzdem nie in ihr Erbe zurück. Endlich brannten sämmt¬ liche zum Hofe gehörende Gebäude ab, der damalige Eigenthümer ließ sich an¬ derswo nieder und der alte Haupthof ward zu einem bloßen Pachthofe einge- gerichtet, in welchem Zustande er sich noch heute befindet. Das frühere herr¬ schaftliche Wohnhaus wurde nicht wieder aufgebaut, Park und Garten blieben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/46>, abgerufen am 25.08.2024.