Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.er den aus seiner Ruhe aufgeschreckten Burschen bei den Zehen und zog ihn, Der Weihnachtsabend wurde damals, wie überall in der germanischen Wo es eines jener ländlichen Feste zu feiern gab, welche alljährlich ein¬ er den aus seiner Ruhe aufgeschreckten Burschen bei den Zehen und zog ihn, Der Weihnachtsabend wurde damals, wie überall in der germanischen Wo es eines jener ländlichen Feste zu feiern gab, welche alljährlich ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101038"/> <p xml:id="ID_124" prev="#ID_123"> er den aus seiner Ruhe aufgeschreckten Burschen bei den Zehen und zog ihn,<lb/> als ob er ein MißVerhältniß ausgleichen wollte, mit gewaltsamen Ruck her¬<lb/> unter, daß die Fußsohlen gegen die Bettwand prallten. In demselben Augen¬<lb/> blicke war er aber schon am Kopfende und schrie lachend: „To lang!" worauf<lb/> er den unseligen Gegenstand seines Muthwillens an den Haaren heraufzerrte.<lb/> So ging das Spiel fort bis der Tag graute.</p><lb/> <p xml:id="ID_125"> Der Weihnachtsabend wurde damals, wie überall in der germanischen<lb/> Welt, so auch aus dem Hofe L. nach alter Sitte durch einen großen Schmaus<lb/> gefeiert. Der geräucherte Schweinskopf mit Grünkohl, Reis, Aepfelkuchen,<lb/> das starke WeihnSchtsbicr, ein Dessert von Wallnüssen^ Pfefferkuchen, Aepfeln<lb/> und Rosinen spielten damals ihre Rolle wie noch heute im Lande Angeln.<lb/> Sogar das Vieh im Stalle und die Sperlinge auf dem Hofe würden eigens<lb/> mit Hafergarben bedacht. Nach aufgehobener Tafel begaben sich die Dienst¬<lb/> boten nach dem Stalle, wo eine Laterne am Tragebalken des Bodens befestigt<lb/> und sodann nach dem Takt einer. Geige ein kleiner Ball begonnen wurde.<lb/> Riß, der an diesem Tage als Hausfreund ebenfalls reichlicher als gewöhn¬<lb/> lich bewirthet worden war, verließ seinen Winkel, um zunächst durch die<lb/> Luke dem Vergnügen zuzuschauen und dann, als der Jubel sich steigerte,<lb/> Stufe für Stufe die Leiter herabzukommen und sich unter die tanzenden<lb/> Paare zu mischen. Durch seine Grimassen und Capriolen' brachte er die<lb/> allgemeine Lust auf den Gipfel der Ausgelassenheit. Je bunter es her¬<lb/> ging, desto besser behagte es ihm. Er schien des vollsten Uebermuths, die<lb/> Gesellschaft des maßlosen Lachens kein Ende finden zu können. Als Tänzer<lb/> und Tänzerinnen endlich doch ermatteten, hatte Riß ein neues Reizmittel ent¬<lb/> deckt. Er begann das Vieh, das in seinen Ständen neben der Diele dem<lb/> Spectakel bisher mit der ihm eignen Seelenruhe zugeschaut hatte, dermaßen zu<lb/> äffen , daß es, wie von der allgemeinen Lustigkeit angesteckt, ebenfalls aus<lb/> Leibeskräften zu tanzen und zu hüpfen olnfing. Kühe und Kälber blökten und<lb/> brüllten, schlugen Hintenaus, sprengten die hölzernen Halskoppeln, mit welchen<lb/> sie befestigt waren, taumelten durcheinander, als wollten sie den Reigen<lb/> der Menschen nachmachen und geberdeten sich zum Todtlachen. Es war<lb/> eine heillose Verwirrung. Erschreckt über diesen Ausgang, eilte eines der<lb/> Mädchen ins Haus nach dem Großvater, der alsbald erschien und als er den<lb/> angerichteten Schaden übersah, den Junker Riß tüchtig ausschalt. Beschämt<lb/> schlich dieser sich davon und ließ sich darauf ein ganzes Jahr nicht wieder blicken.</p><lb/> <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Wo es eines jener ländlichen Feste zu feiern gab, welche alljährlich ein¬<lb/> mal wiederkehrend die Einförmigkeit des Dorslebens auf einen Tag unter¬<lb/> brachen, war Riß sicherlich zur Hand, um in seiner Weise sich bald näher,<lb/> bald entfernter zu betheiligen. Beim Viehaustreiben im Mai, beim Schweine¬<lb/> schlachten im November, vorzüglich aber beim Erntebier pflegte er sich, was</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
er den aus seiner Ruhe aufgeschreckten Burschen bei den Zehen und zog ihn,
als ob er ein MißVerhältniß ausgleichen wollte, mit gewaltsamen Ruck her¬
unter, daß die Fußsohlen gegen die Bettwand prallten. In demselben Augen¬
blicke war er aber schon am Kopfende und schrie lachend: „To lang!" worauf
er den unseligen Gegenstand seines Muthwillens an den Haaren heraufzerrte.
So ging das Spiel fort bis der Tag graute.
Der Weihnachtsabend wurde damals, wie überall in der germanischen
Welt, so auch aus dem Hofe L. nach alter Sitte durch einen großen Schmaus
gefeiert. Der geräucherte Schweinskopf mit Grünkohl, Reis, Aepfelkuchen,
das starke WeihnSchtsbicr, ein Dessert von Wallnüssen^ Pfefferkuchen, Aepfeln
und Rosinen spielten damals ihre Rolle wie noch heute im Lande Angeln.
Sogar das Vieh im Stalle und die Sperlinge auf dem Hofe würden eigens
mit Hafergarben bedacht. Nach aufgehobener Tafel begaben sich die Dienst¬
boten nach dem Stalle, wo eine Laterne am Tragebalken des Bodens befestigt
und sodann nach dem Takt einer. Geige ein kleiner Ball begonnen wurde.
Riß, der an diesem Tage als Hausfreund ebenfalls reichlicher als gewöhn¬
lich bewirthet worden war, verließ seinen Winkel, um zunächst durch die
Luke dem Vergnügen zuzuschauen und dann, als der Jubel sich steigerte,
Stufe für Stufe die Leiter herabzukommen und sich unter die tanzenden
Paare zu mischen. Durch seine Grimassen und Capriolen' brachte er die
allgemeine Lust auf den Gipfel der Ausgelassenheit. Je bunter es her¬
ging, desto besser behagte es ihm. Er schien des vollsten Uebermuths, die
Gesellschaft des maßlosen Lachens kein Ende finden zu können. Als Tänzer
und Tänzerinnen endlich doch ermatteten, hatte Riß ein neues Reizmittel ent¬
deckt. Er begann das Vieh, das in seinen Ständen neben der Diele dem
Spectakel bisher mit der ihm eignen Seelenruhe zugeschaut hatte, dermaßen zu
äffen , daß es, wie von der allgemeinen Lustigkeit angesteckt, ebenfalls aus
Leibeskräften zu tanzen und zu hüpfen olnfing. Kühe und Kälber blökten und
brüllten, schlugen Hintenaus, sprengten die hölzernen Halskoppeln, mit welchen
sie befestigt waren, taumelten durcheinander, als wollten sie den Reigen
der Menschen nachmachen und geberdeten sich zum Todtlachen. Es war
eine heillose Verwirrung. Erschreckt über diesen Ausgang, eilte eines der
Mädchen ins Haus nach dem Großvater, der alsbald erschien und als er den
angerichteten Schaden übersah, den Junker Riß tüchtig ausschalt. Beschämt
schlich dieser sich davon und ließ sich darauf ein ganzes Jahr nicht wieder blicken.
Wo es eines jener ländlichen Feste zu feiern gab, welche alljährlich ein¬
mal wiederkehrend die Einförmigkeit des Dorslebens auf einen Tag unter¬
brachen, war Riß sicherlich zur Hand, um in seiner Weise sich bald näher,
bald entfernter zu betheiligen. Beim Viehaustreiben im Mai, beim Schweine¬
schlachten im November, vorzüglich aber beim Erntebier pflegte er sich, was
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |