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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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nachgesehen, so würde er darin noch zwei vierjährige, einen fünfjährigen und
einen neunjährigen Gemeinderath gefunden haben.

Dasselbe Register hätte ihm einen andern, noch gröbern Irrthum ersparen
können. ES war nämlich in antiken Municipien nicht ungewöhnlich, daß Com-
munalbeamte, die zur Veranstaltung von Schauspielen verpflichtet waren, die
zu denselben bestimmte Summe auf Beschluß des Gemeinderaths zu gemein¬
nützigen Zwecken verwandten, als Bauten, Straßenpflasterung und deSgl. Wenn
nun in den Marmorplatten des Theaters von Pompeji mit Bronzebuchstaben
die Inschrift eingelegt ist: der Dnumvir M. Olcoinus für die Spiele -- so
bedeutet dies weiter nichts, als daß der betreffende Theil des Baues von dem
genannten Beamten anstatt der von ihm zu gebenden Spiele ausgeführt ist.
Herr Overbeck, welcher übersetzt: M, OlcoinuS als Zweimann zur Oberaufsicht
für die Spiele (was auch sprachlich ganz unmöglich ist), wundert sich, daß man
diesen "Zweimann" auf so ausgezeichnete Weise allein genannt habe.

Was aber der größte Uebelstand ist, Herr Overbeck ist -- gar nicht in
Pompeji gewesen. Dies ist ein in unserer Zeit gewiß in seiner Art einziger
Fall. Selbst das neueste französische Machwerk über Pompeji von Breton
hat doch wenigstens den Vorzug der Autopsie. Herr Overbeck sagt uns, als
der kunstsinnige und für classisches Alterthum begeisterte Verleger ihn zu diesem
Buch aufgefordert habe, sei er zweifelhaft gewesen, ob er sich der Aufgabe un¬
terziehen dürfe. Dies war unserer Meinung nach "eine gar nicht aufzuwerfende
Frage," wie Falstaff sagt. Noch mehr müssen wir uns aber wundern, daß
er sie nach einem genauern Studium der Literatur mit Ja beantwortet hat.
Denn diese Literatur enthält einen solchen Wust von widersprechenden, unzuver¬
lässigen und verworrenen Angaben, daß man jeden Augenblick das Bedürfniß
mit eignen Augen zu sehn aufs lebhafteste empfindet. Im Laufe der Arbeit
verräth sich auch hin und wieder, daß der Verfasser wohl empfunden habe, wie
mißlich es sei, auf so höchst zweifelhafte Autoritäten (wie z. B. Herrn Stanislaus
d'Aloe) sich verlassen zu müssen. Noch mißlicher ist es, über die Technik von
Sculpturen, die nur zum kleinsten Theil durch Gypsabgüsse bekannt sind, und
Bilder, die freilich in hohem Grade von Vollkommenheit copirt sind, ohne Au¬
topsie zu spreche". Wer ohne alle gelehrten Prätenstonen auftritt, sagt Herr
Overbeck, darf sich einer billigen Beurtheilung seiner Leistungen getrösten. Aber
grade bei einem Buch "für Freunde der Kunst und des Alterthums" war in
diesem Fall eigne Anschauung unerläßlich. Im vorigen Jahrhundert, wo
Italien ein fernes Wunderland war, ungefähr wie jetzt Ostindien, das wenige
erreichten, da mochte das größere Publicum gern Berichte von dort aus zweiter
Hand vernehmen: jetzt, wo die Freunde der Kunst und des Alterthums größten-
tyeilS selbst nach Italien reisen, schwerlich.

Trotz aller dieser Ausstellungen sind wir gern bereit anzuerkennen, daß das


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nachgesehen, so würde er darin noch zwei vierjährige, einen fünfjährigen und
einen neunjährigen Gemeinderath gefunden haben.

Dasselbe Register hätte ihm einen andern, noch gröbern Irrthum ersparen
können. ES war nämlich in antiken Municipien nicht ungewöhnlich, daß Com-
munalbeamte, die zur Veranstaltung von Schauspielen verpflichtet waren, die
zu denselben bestimmte Summe auf Beschluß des Gemeinderaths zu gemein¬
nützigen Zwecken verwandten, als Bauten, Straßenpflasterung und deSgl. Wenn
nun in den Marmorplatten des Theaters von Pompeji mit Bronzebuchstaben
die Inschrift eingelegt ist: der Dnumvir M. Olcoinus für die Spiele — so
bedeutet dies weiter nichts, als daß der betreffende Theil des Baues von dem
genannten Beamten anstatt der von ihm zu gebenden Spiele ausgeführt ist.
Herr Overbeck, welcher übersetzt: M, OlcoinuS als Zweimann zur Oberaufsicht
für die Spiele (was auch sprachlich ganz unmöglich ist), wundert sich, daß man
diesen „Zweimann" auf so ausgezeichnete Weise allein genannt habe.

Was aber der größte Uebelstand ist, Herr Overbeck ist — gar nicht in
Pompeji gewesen. Dies ist ein in unserer Zeit gewiß in seiner Art einziger
Fall. Selbst das neueste französische Machwerk über Pompeji von Breton
hat doch wenigstens den Vorzug der Autopsie. Herr Overbeck sagt uns, als
der kunstsinnige und für classisches Alterthum begeisterte Verleger ihn zu diesem
Buch aufgefordert habe, sei er zweifelhaft gewesen, ob er sich der Aufgabe un¬
terziehen dürfe. Dies war unserer Meinung nach „eine gar nicht aufzuwerfende
Frage," wie Falstaff sagt. Noch mehr müssen wir uns aber wundern, daß
er sie nach einem genauern Studium der Literatur mit Ja beantwortet hat.
Denn diese Literatur enthält einen solchen Wust von widersprechenden, unzuver¬
lässigen und verworrenen Angaben, daß man jeden Augenblick das Bedürfniß
mit eignen Augen zu sehn aufs lebhafteste empfindet. Im Laufe der Arbeit
verräth sich auch hin und wieder, daß der Verfasser wohl empfunden habe, wie
mißlich es sei, auf so höchst zweifelhafte Autoritäten (wie z. B. Herrn Stanislaus
d'Aloe) sich verlassen zu müssen. Noch mißlicher ist es, über die Technik von
Sculpturen, die nur zum kleinsten Theil durch Gypsabgüsse bekannt sind, und
Bilder, die freilich in hohem Grade von Vollkommenheit copirt sind, ohne Au¬
topsie zu spreche«. Wer ohne alle gelehrten Prätenstonen auftritt, sagt Herr
Overbeck, darf sich einer billigen Beurtheilung seiner Leistungen getrösten. Aber
grade bei einem Buch „für Freunde der Kunst und des Alterthums" war in
diesem Fall eigne Anschauung unerläßlich. Im vorigen Jahrhundert, wo
Italien ein fernes Wunderland war, ungefähr wie jetzt Ostindien, das wenige
erreichten, da mochte das größere Publicum gern Berichte von dort aus zweiter
Hand vernehmen: jetzt, wo die Freunde der Kunst und des Alterthums größten-
tyeilS selbst nach Italien reisen, schwerlich.

Trotz aller dieser Ausstellungen sind wir gern bereit anzuerkennen, daß das


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[0451] nachgesehen, so würde er darin noch zwei vierjährige, einen fünfjährigen und einen neunjährigen Gemeinderath gefunden haben. Dasselbe Register hätte ihm einen andern, noch gröbern Irrthum ersparen können. ES war nämlich in antiken Municipien nicht ungewöhnlich, daß Com- munalbeamte, die zur Veranstaltung von Schauspielen verpflichtet waren, die zu denselben bestimmte Summe auf Beschluß des Gemeinderaths zu gemein¬ nützigen Zwecken verwandten, als Bauten, Straßenpflasterung und deSgl. Wenn nun in den Marmorplatten des Theaters von Pompeji mit Bronzebuchstaben die Inschrift eingelegt ist: der Dnumvir M. Olcoinus für die Spiele — so bedeutet dies weiter nichts, als daß der betreffende Theil des Baues von dem genannten Beamten anstatt der von ihm zu gebenden Spiele ausgeführt ist. Herr Overbeck, welcher übersetzt: M, OlcoinuS als Zweimann zur Oberaufsicht für die Spiele (was auch sprachlich ganz unmöglich ist), wundert sich, daß man diesen „Zweimann" auf so ausgezeichnete Weise allein genannt habe. Was aber der größte Uebelstand ist, Herr Overbeck ist — gar nicht in Pompeji gewesen. Dies ist ein in unserer Zeit gewiß in seiner Art einziger Fall. Selbst das neueste französische Machwerk über Pompeji von Breton hat doch wenigstens den Vorzug der Autopsie. Herr Overbeck sagt uns, als der kunstsinnige und für classisches Alterthum begeisterte Verleger ihn zu diesem Buch aufgefordert habe, sei er zweifelhaft gewesen, ob er sich der Aufgabe un¬ terziehen dürfe. Dies war unserer Meinung nach „eine gar nicht aufzuwerfende Frage," wie Falstaff sagt. Noch mehr müssen wir uns aber wundern, daß er sie nach einem genauern Studium der Literatur mit Ja beantwortet hat. Denn diese Literatur enthält einen solchen Wust von widersprechenden, unzuver¬ lässigen und verworrenen Angaben, daß man jeden Augenblick das Bedürfniß mit eignen Augen zu sehn aufs lebhafteste empfindet. Im Laufe der Arbeit verräth sich auch hin und wieder, daß der Verfasser wohl empfunden habe, wie mißlich es sei, auf so höchst zweifelhafte Autoritäten (wie z. B. Herrn Stanislaus d'Aloe) sich verlassen zu müssen. Noch mißlicher ist es, über die Technik von Sculpturen, die nur zum kleinsten Theil durch Gypsabgüsse bekannt sind, und Bilder, die freilich in hohem Grade von Vollkommenheit copirt sind, ohne Au¬ topsie zu spreche«. Wer ohne alle gelehrten Prätenstonen auftritt, sagt Herr Overbeck, darf sich einer billigen Beurtheilung seiner Leistungen getrösten. Aber grade bei einem Buch „für Freunde der Kunst und des Alterthums" war in diesem Fall eigne Anschauung unerläßlich. Im vorigen Jahrhundert, wo Italien ein fernes Wunderland war, ungefähr wie jetzt Ostindien, das wenige erreichten, da mochte das größere Publicum gern Berichte von dort aus zweiter Hand vernehmen: jetzt, wo die Freunde der Kunst und des Alterthums größten- tyeilS selbst nach Italien reisen, schwerlich. Trotz aller dieser Ausstellungen sind wir gern bereit anzuerkennen, daß das 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/451>, abgerufen am 23.07.2024.