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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wickelt, hätte er ihnen doch weniger damit geschadet, als sich selbst. Die Sitt¬
lichkeit der Lucinde und die Vernunft der Schlegelscheu Fragmente im Athe¬
näum zu vertheidigen, war eine schwierige Ausgabe. Die gegenseitige Lob¬
hudelei der Schule war auch nicht abzuleugnen, und die folgende Bemerkung
war wol nicht geeignet, sie zu rechtfertigen: "Ich könnte unzählige ältere,
spanische, italienische und deutsche Dichter anführen, die sich öffentlich und
unschuldig in Sonetten und andern Gedichten preisen und ihre gegenseitigen
Werke rühmen; ja es gehörte in jener Zeit zu einem poetischen Werke, empfeh¬
lende Verse, die immer von Freunden herrührte", davorzudrucken; es war
Mode und ist nur jetzt vergessen worden. Aus niedrigstem Gesichtspunkte an¬
gesehen, wäre es also ein Versuch, eine alte vergessene Mode wieder aufzu¬
bringen, die denn doch nicht so durchaus verwerflich ist. Es möchte das
Verständniß manches Werkes erleichtert werden, da grade die Freunde den
Freund und seine Absichten etwas mehr kennen müssen, als die übrigen Men¬
schen." -- Auch die zweifelhafte Beziehung zur Religion und überhaupt zu
den leitenden Ideen des Zeitalters konnte nur durch Motive beschönigt werben,
die wieder zu neuen Angriffen Gelegenheit boten. "Ich konnte es voraus¬
sehen," sagt Tieck Seite !Z8, "daß der Muthwille Anstoß erregen werde, den
ich in einigen Schriften in der Voraussetzung trieb, es gäbe hie und da Leute,
welche Witz verstehen und lieben, es sei auch einmal Zeit, zu versuchen, ob
man sich denn schon an dem reinen Scherze ohne politische und moralische Be¬
ziehungen ergötzen könne d. h. ob man nun den Glauben verloren habe, das
Leichteste, was durchaus kein Gewicht haben könne, bedürfe keines steinernen
Fundaments. Und so entstanden aus der reinsten Lust, ohne Feindschaft gegen
irgend wen zu fühlen oder mittheilen zu wollen, einige phantastische Geburten,
die ich allen Lesern auf Gnade und Ungnade überließ. In diesen waren
Winke eingestreut, wie mir unter gewissen Bedingungen nicht allein die deut¬
sche, sondern die gesammte Literatur, ja alle Kunst erscheint und ich war völlig
unbesorgt, wie diese Spiele einer heitern, ungetrübten Laune auf schwerfällige
oder muthwillige Gemüther wirken würden, denn es kam mir nur darauf an,
meinem Triebe zu gehorchen. So denke ich auch jetzt über alles, was ich bis¬
her geschrieben habe, selbst das Früheste gereut mich nicht, ob ich gleich jetzt
den Leichtsinn abgelegt habe, mit welchem ich meine ersten Versuche entwarf,
weil es in der Natur der Kunst liegt, daß man anfangs nur spielen will und
unvermerkt von der Heiligkeit des Spiels gefesselt wird. Aus der Heiterkeit
des Geistes entwickelt sich das Licht und die Aufgabe unsers Lebens wird es,
dieses rein in uns zu erhalten." -- Er führt diesen Gedanken später noch
weiter aus, indem er die directe Satire als eine untergeordnete Gattung dar¬
stellt und es für die höchste Erkenntniß der neuen Aesthetik erklärt: "daß es
einen Witz geben könne, der in sich selber spiele und sich damit beruhige, daß


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wickelt, hätte er ihnen doch weniger damit geschadet, als sich selbst. Die Sitt¬
lichkeit der Lucinde und die Vernunft der Schlegelscheu Fragmente im Athe¬
näum zu vertheidigen, war eine schwierige Ausgabe. Die gegenseitige Lob¬
hudelei der Schule war auch nicht abzuleugnen, und die folgende Bemerkung
war wol nicht geeignet, sie zu rechtfertigen: „Ich könnte unzählige ältere,
spanische, italienische und deutsche Dichter anführen, die sich öffentlich und
unschuldig in Sonetten und andern Gedichten preisen und ihre gegenseitigen
Werke rühmen; ja es gehörte in jener Zeit zu einem poetischen Werke, empfeh¬
lende Verse, die immer von Freunden herrührte», davorzudrucken; es war
Mode und ist nur jetzt vergessen worden. Aus niedrigstem Gesichtspunkte an¬
gesehen, wäre es also ein Versuch, eine alte vergessene Mode wieder aufzu¬
bringen, die denn doch nicht so durchaus verwerflich ist. Es möchte das
Verständniß manches Werkes erleichtert werden, da grade die Freunde den
Freund und seine Absichten etwas mehr kennen müssen, als die übrigen Men¬
schen." — Auch die zweifelhafte Beziehung zur Religion und überhaupt zu
den leitenden Ideen des Zeitalters konnte nur durch Motive beschönigt werben,
die wieder zu neuen Angriffen Gelegenheit boten. „Ich konnte es voraus¬
sehen," sagt Tieck Seite !Z8, „daß der Muthwille Anstoß erregen werde, den
ich in einigen Schriften in der Voraussetzung trieb, es gäbe hie und da Leute,
welche Witz verstehen und lieben, es sei auch einmal Zeit, zu versuchen, ob
man sich denn schon an dem reinen Scherze ohne politische und moralische Be¬
ziehungen ergötzen könne d. h. ob man nun den Glauben verloren habe, das
Leichteste, was durchaus kein Gewicht haben könne, bedürfe keines steinernen
Fundaments. Und so entstanden aus der reinsten Lust, ohne Feindschaft gegen
irgend wen zu fühlen oder mittheilen zu wollen, einige phantastische Geburten,
die ich allen Lesern auf Gnade und Ungnade überließ. In diesen waren
Winke eingestreut, wie mir unter gewissen Bedingungen nicht allein die deut¬
sche, sondern die gesammte Literatur, ja alle Kunst erscheint und ich war völlig
unbesorgt, wie diese Spiele einer heitern, ungetrübten Laune auf schwerfällige
oder muthwillige Gemüther wirken würden, denn es kam mir nur darauf an,
meinem Triebe zu gehorchen. So denke ich auch jetzt über alles, was ich bis¬
her geschrieben habe, selbst das Früheste gereut mich nicht, ob ich gleich jetzt
den Leichtsinn abgelegt habe, mit welchem ich meine ersten Versuche entwarf,
weil es in der Natur der Kunst liegt, daß man anfangs nur spielen will und
unvermerkt von der Heiligkeit des Spiels gefesselt wird. Aus der Heiterkeit
des Geistes entwickelt sich das Licht und die Aufgabe unsers Lebens wird es,
dieses rein in uns zu erhalten." — Er führt diesen Gedanken später noch
weiter aus, indem er die directe Satire als eine untergeordnete Gattung dar¬
stellt und es für die höchste Erkenntniß der neuen Aesthetik erklärt: „daß es
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[0433] wickelt, hätte er ihnen doch weniger damit geschadet, als sich selbst. Die Sitt¬ lichkeit der Lucinde und die Vernunft der Schlegelscheu Fragmente im Athe¬ näum zu vertheidigen, war eine schwierige Ausgabe. Die gegenseitige Lob¬ hudelei der Schule war auch nicht abzuleugnen, und die folgende Bemerkung war wol nicht geeignet, sie zu rechtfertigen: „Ich könnte unzählige ältere, spanische, italienische und deutsche Dichter anführen, die sich öffentlich und unschuldig in Sonetten und andern Gedichten preisen und ihre gegenseitigen Werke rühmen; ja es gehörte in jener Zeit zu einem poetischen Werke, empfeh¬ lende Verse, die immer von Freunden herrührte», davorzudrucken; es war Mode und ist nur jetzt vergessen worden. Aus niedrigstem Gesichtspunkte an¬ gesehen, wäre es also ein Versuch, eine alte vergessene Mode wieder aufzu¬ bringen, die denn doch nicht so durchaus verwerflich ist. Es möchte das Verständniß manches Werkes erleichtert werden, da grade die Freunde den Freund und seine Absichten etwas mehr kennen müssen, als die übrigen Men¬ schen." — Auch die zweifelhafte Beziehung zur Religion und überhaupt zu den leitenden Ideen des Zeitalters konnte nur durch Motive beschönigt werben, die wieder zu neuen Angriffen Gelegenheit boten. „Ich konnte es voraus¬ sehen," sagt Tieck Seite !Z8, „daß der Muthwille Anstoß erregen werde, den ich in einigen Schriften in der Voraussetzung trieb, es gäbe hie und da Leute, welche Witz verstehen und lieben, es sei auch einmal Zeit, zu versuchen, ob man sich denn schon an dem reinen Scherze ohne politische und moralische Be¬ ziehungen ergötzen könne d. h. ob man nun den Glauben verloren habe, das Leichteste, was durchaus kein Gewicht haben könne, bedürfe keines steinernen Fundaments. Und so entstanden aus der reinsten Lust, ohne Feindschaft gegen irgend wen zu fühlen oder mittheilen zu wollen, einige phantastische Geburten, die ich allen Lesern auf Gnade und Ungnade überließ. In diesen waren Winke eingestreut, wie mir unter gewissen Bedingungen nicht allein die deut¬ sche, sondern die gesammte Literatur, ja alle Kunst erscheint und ich war völlig unbesorgt, wie diese Spiele einer heitern, ungetrübten Laune auf schwerfällige oder muthwillige Gemüther wirken würden, denn es kam mir nur darauf an, meinem Triebe zu gehorchen. So denke ich auch jetzt über alles, was ich bis¬ her geschrieben habe, selbst das Früheste gereut mich nicht, ob ich gleich jetzt den Leichtsinn abgelegt habe, mit welchem ich meine ersten Versuche entwarf, weil es in der Natur der Kunst liegt, daß man anfangs nur spielen will und unvermerkt von der Heiligkeit des Spiels gefesselt wird. Aus der Heiterkeit des Geistes entwickelt sich das Licht und die Aufgabe unsers Lebens wird es, dieses rein in uns zu erhalten." — Er führt diesen Gedanken später noch weiter aus, indem er die directe Satire als eine untergeordnete Gattung dar¬ stellt und es für die höchste Erkenntniß der neuen Aesthetik erklärt: „daß es einen Witz geben könne, der in sich selber spiele und sich damit beruhige, daß Grenzboten. I. -ISllll. 5i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/433>, abgerufen am 05.07.2024.