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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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die philisterhaften Gegner der Romantik. Was die mitgetheilten lyrischen Ge¬
dichte aus der Jugendzeit betrifft, so sind wir der Ansicht, daß Tieck ganz recht
daran gethan, sie von seiner Sammlung auszuschließen. Die novellistischen
Fragmente sind gleichfalls unbedeutend. Aus dem projectirten Buche über
Shakespeare sind sechs verschiedene Bruchstücke und Einwürfe mitgetheilt. Wir
sehen daraus nur, daß Tieck unmöglich fertig werden konnte, weil er zu weit
ausholte. Er scheint die ganze Geschichte des Mittelalters und außerdem noch
alles Mögliche, was ihm über ästhetische Gegenstände einfiel, in den Kreis
seiner Darstellung haben ziehen wollen. Der interessanteste Theil deS Buchs
ist eine unvollendete Abhandlung aus dem Jahr -1800 : "Bemerkungen über
Parteilichkeit, Dummheit und Bosheit bei Gelegenheit der Herren Falk, Merkel
und des Lustspiels Chamäleon, an diejenigen, die sich unparteilich zu sein
getrauen." ES war dies die Zeit, wo die heftigsten Angriffe gegen die roman¬
tischer Schule ausbrachen. Sie hatte im Athenäum allen bisherigen Ueber¬
lieferungen^ zuweilen auch dem gesunden Menschenverstand den Krieg erklärt,
sie hatte diesen Krieg gegen den herrschenden Geschmack und die Ueberzeugun¬
gen der Masse in Zerbino und den andern aristophanischen Lustspielen eifrig
fortgesetzt und sie hatte durch die Lucinde und was sich daran knüpft, auch in
sittlicher Beziehung die stärksten Blößen gegeben. Es war nicht zu verwunder",
daß die Gegner diese Blößen benutzten. Falk, der nüchterne Satiriker, hatte
in seinem Taschenbuch die Schule als bösartige Coterie gebrandmarkt, Merkel
hatte in seinen "Briefen an ein Frauenzimmer über die neuesten Producte der
schönen Literatur" (1800) in seiner gewöhnlichen gemeinen Art den Mitgliedern
derselben die niedrigsten Motive untergelegt; Soltau, Tiecks Concurrent bei
der Uebersetzung deS Don Quirote, hatte sich im Intelligenzblatt der Jenai¬
schen Literaturzeitung gegen die Cameraderie erklärt; in der Laterne deS Dio¬
genes wurden die persönlichen Beziehungen Fr. Schlegels und seiner spätern
Gemahlin Dorothea sehr bitter besprochen und auf dem berliner Hoftheater
wurde ein satirisches Stück: "Chamäleon" aufgeführt, gewissermaßen eine Fort¬
setzung des "Hyperboräischen Esels", in welchem die Doctrinen der romantischen
Schule einem literarischen Lump in den Mund gelegt wurden, der zuletzt als
gemeiner Gauner überführt und mit Fußtritten entlassen wurde. Als Verfasser
hatte sich Beck genannt, doch war bei der Ausführung einiger vorzugsweise
boshafter Stellen die Hand Ifflands nicht zu verkennen, der persönlich durch
die romantischen Kritiker gereizt war und nebenbei, was auch nicht verschwie¬
gen werden darf, die lare Moral bei ihnen gründlich verabscheute. Gegen alle
diese Angriffe sollte nun die vorliegende Schrift eine Abwehr sein. Tieck
wollte einmal versuchen, was er in der ernsthaften, directen Polemik leisten
könne. Er hat nachher die Schrift dennoch liegen lassen und wir können das
nur billigen, denn bei aller Grobheit, die er seinen Gegnern gegenüber ent-


die philisterhaften Gegner der Romantik. Was die mitgetheilten lyrischen Ge¬
dichte aus der Jugendzeit betrifft, so sind wir der Ansicht, daß Tieck ganz recht
daran gethan, sie von seiner Sammlung auszuschließen. Die novellistischen
Fragmente sind gleichfalls unbedeutend. Aus dem projectirten Buche über
Shakespeare sind sechs verschiedene Bruchstücke und Einwürfe mitgetheilt. Wir
sehen daraus nur, daß Tieck unmöglich fertig werden konnte, weil er zu weit
ausholte. Er scheint die ganze Geschichte des Mittelalters und außerdem noch
alles Mögliche, was ihm über ästhetische Gegenstände einfiel, in den Kreis
seiner Darstellung haben ziehen wollen. Der interessanteste Theil deS Buchs
ist eine unvollendete Abhandlung aus dem Jahr -1800 : „Bemerkungen über
Parteilichkeit, Dummheit und Bosheit bei Gelegenheit der Herren Falk, Merkel
und des Lustspiels Chamäleon, an diejenigen, die sich unparteilich zu sein
getrauen." ES war dies die Zeit, wo die heftigsten Angriffe gegen die roman¬
tischer Schule ausbrachen. Sie hatte im Athenäum allen bisherigen Ueber¬
lieferungen^ zuweilen auch dem gesunden Menschenverstand den Krieg erklärt,
sie hatte diesen Krieg gegen den herrschenden Geschmack und die Ueberzeugun¬
gen der Masse in Zerbino und den andern aristophanischen Lustspielen eifrig
fortgesetzt und sie hatte durch die Lucinde und was sich daran knüpft, auch in
sittlicher Beziehung die stärksten Blößen gegeben. Es war nicht zu verwunder»,
daß die Gegner diese Blößen benutzten. Falk, der nüchterne Satiriker, hatte
in seinem Taschenbuch die Schule als bösartige Coterie gebrandmarkt, Merkel
hatte in seinen „Briefen an ein Frauenzimmer über die neuesten Producte der
schönen Literatur" (1800) in seiner gewöhnlichen gemeinen Art den Mitgliedern
derselben die niedrigsten Motive untergelegt; Soltau, Tiecks Concurrent bei
der Uebersetzung deS Don Quirote, hatte sich im Intelligenzblatt der Jenai¬
schen Literaturzeitung gegen die Cameraderie erklärt; in der Laterne deS Dio¬
genes wurden die persönlichen Beziehungen Fr. Schlegels und seiner spätern
Gemahlin Dorothea sehr bitter besprochen und auf dem berliner Hoftheater
wurde ein satirisches Stück: „Chamäleon" aufgeführt, gewissermaßen eine Fort¬
setzung des „Hyperboräischen Esels", in welchem die Doctrinen der romantischen
Schule einem literarischen Lump in den Mund gelegt wurden, der zuletzt als
gemeiner Gauner überführt und mit Fußtritten entlassen wurde. Als Verfasser
hatte sich Beck genannt, doch war bei der Ausführung einiger vorzugsweise
boshafter Stellen die Hand Ifflands nicht zu verkennen, der persönlich durch
die romantischen Kritiker gereizt war und nebenbei, was auch nicht verschwie¬
gen werden darf, die lare Moral bei ihnen gründlich verabscheute. Gegen alle
diese Angriffe sollte nun die vorliegende Schrift eine Abwehr sein. Tieck
wollte einmal versuchen, was er in der ernsthaften, directen Polemik leisten
könne. Er hat nachher die Schrift dennoch liegen lassen und wir können das
nur billigen, denn bei aller Grobheit, die er seinen Gegnern gegenüber ent-


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[0432] die philisterhaften Gegner der Romantik. Was die mitgetheilten lyrischen Ge¬ dichte aus der Jugendzeit betrifft, so sind wir der Ansicht, daß Tieck ganz recht daran gethan, sie von seiner Sammlung auszuschließen. Die novellistischen Fragmente sind gleichfalls unbedeutend. Aus dem projectirten Buche über Shakespeare sind sechs verschiedene Bruchstücke und Einwürfe mitgetheilt. Wir sehen daraus nur, daß Tieck unmöglich fertig werden konnte, weil er zu weit ausholte. Er scheint die ganze Geschichte des Mittelalters und außerdem noch alles Mögliche, was ihm über ästhetische Gegenstände einfiel, in den Kreis seiner Darstellung haben ziehen wollen. Der interessanteste Theil deS Buchs ist eine unvollendete Abhandlung aus dem Jahr -1800 : „Bemerkungen über Parteilichkeit, Dummheit und Bosheit bei Gelegenheit der Herren Falk, Merkel und des Lustspiels Chamäleon, an diejenigen, die sich unparteilich zu sein getrauen." ES war dies die Zeit, wo die heftigsten Angriffe gegen die roman¬ tischer Schule ausbrachen. Sie hatte im Athenäum allen bisherigen Ueber¬ lieferungen^ zuweilen auch dem gesunden Menschenverstand den Krieg erklärt, sie hatte diesen Krieg gegen den herrschenden Geschmack und die Ueberzeugun¬ gen der Masse in Zerbino und den andern aristophanischen Lustspielen eifrig fortgesetzt und sie hatte durch die Lucinde und was sich daran knüpft, auch in sittlicher Beziehung die stärksten Blößen gegeben. Es war nicht zu verwunder», daß die Gegner diese Blößen benutzten. Falk, der nüchterne Satiriker, hatte in seinem Taschenbuch die Schule als bösartige Coterie gebrandmarkt, Merkel hatte in seinen „Briefen an ein Frauenzimmer über die neuesten Producte der schönen Literatur" (1800) in seiner gewöhnlichen gemeinen Art den Mitgliedern derselben die niedrigsten Motive untergelegt; Soltau, Tiecks Concurrent bei der Uebersetzung deS Don Quirote, hatte sich im Intelligenzblatt der Jenai¬ schen Literaturzeitung gegen die Cameraderie erklärt; in der Laterne deS Dio¬ genes wurden die persönlichen Beziehungen Fr. Schlegels und seiner spätern Gemahlin Dorothea sehr bitter besprochen und auf dem berliner Hoftheater wurde ein satirisches Stück: „Chamäleon" aufgeführt, gewissermaßen eine Fort¬ setzung des „Hyperboräischen Esels", in welchem die Doctrinen der romantischen Schule einem literarischen Lump in den Mund gelegt wurden, der zuletzt als gemeiner Gauner überführt und mit Fußtritten entlassen wurde. Als Verfasser hatte sich Beck genannt, doch war bei der Ausführung einiger vorzugsweise boshafter Stellen die Hand Ifflands nicht zu verkennen, der persönlich durch die romantischen Kritiker gereizt war und nebenbei, was auch nicht verschwie¬ gen werden darf, die lare Moral bei ihnen gründlich verabscheute. Gegen alle diese Angriffe sollte nun die vorliegende Schrift eine Abwehr sein. Tieck wollte einmal versuchen, was er in der ernsthaften, directen Polemik leisten könne. Er hat nachher die Schrift dennoch liegen lassen und wir können das nur billigen, denn bei aller Grobheit, die er seinen Gegnern gegenüber ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/432>, abgerufen am 03.07.2024.