Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es möglich, ja nothwendig sei, die ganze Zeit und alles, was darin geschieht,
für ein Scherzhaftes Spiel anzusehen und daß der rechte Spaß eben der sei, a"
gar keinen Ernst zu glauben und so die ganze Welt gleichsam mit einer neue"
Sonne zu beleuchten." --

Es ist dies das romantische Glaubensbekenntniß, aus welchem die schwer¬
sten Verirrungen unsrer Kunst hervorgegangen sind. Unsre Zeitschrift hat es
sich zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht, gegen die falschen Folgerungen
dieses Princips anzukämpfen und fortwährend darauf hinzuweisen, daß die
wahre Kunst ihren Inhalt nur aus dem sittlichen Kern des Lebens schöpfen
könne. Es ist uns auch gelungen, diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen,
denn seit einigen Jahren redet alles von Sittlichkeit und wenn man ein neu
erschienenes belletristisches Buch loben will, so macht man vor allen Dingen
auf die zufriedenstellende sittliche Tendenz desselben aufmerksam. Sobald dies
nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praris allgemeine Geltung ge¬
funden hat^ darf man der komischen Poesie ihr volles Recht wieder einräumen.
Der Scherz, der sich um sittliche Ideen gar nicht kümmert, hat in der Kunst
wie im Leben seine volle Berechtigung, sobald er sich nur nicht da eindrängt,
wo er nicht hingehört. Wenn ein Hanswurst sich an ernsthaften, das Wohl
und Wehe der Menschen berührenven Fragen laut macht und den Ernst des
Lebens zu einem Spiel herabsetzen will, so wird man ihn unsanft zurechtweisen
dürfen, um so unsanfter, je doctrinärer er sich geberdet. Aber es gibt Zeiten,
wo der Ernst des Lebens aufhört und so prosaisch es klingt, das horazische:
äalee,est clesipere in loco hat seine volle Wahrheit. Es war ein Mi߬
brauch, den die Romantiker mit dem Rechte des Hanswurstes trieben, wenn
sie unter ernsthaften, gravitätischen Formen in den wichtigsten Angelegen¬
heiten die individuelle Laune geltend machen wollten, wenn sie für den Katho¬
licismus, für Jacob Böhme und ähnliches in die Schranken traten, weil es
ihnen niedlich vorkam; und was in jener Zeit noch einen gewissen Sinn hatte,
wo die Moralität in der That ziemlich spießbürgerlich geworden war, wurde
vollends absurd, als alle Welt sich auf die Genialität legte und als das Ueber¬
maß an Geist allen gesunden Menschenverstand und alles Gewissen erstickte.
Eine stark ausgebildete, in das Fleisch und Blut des Volks übergegangene
öffentliche Meinung erträgt jede Travestie; in einem glaubenslosen Zeitalter
dagegen muß man gegen phantastische Sophisten sehr auf der Hut sein.

Die wohlmeinende und mit vieler Liebe geschriebene Skizze von Hoffmann
haben wir schon erwähnt.




es möglich, ja nothwendig sei, die ganze Zeit und alles, was darin geschieht,
für ein Scherzhaftes Spiel anzusehen und daß der rechte Spaß eben der sei, a»
gar keinen Ernst zu glauben und so die ganze Welt gleichsam mit einer neue»
Sonne zu beleuchten." —

Es ist dies das romantische Glaubensbekenntniß, aus welchem die schwer¬
sten Verirrungen unsrer Kunst hervorgegangen sind. Unsre Zeitschrift hat es
sich zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht, gegen die falschen Folgerungen
dieses Princips anzukämpfen und fortwährend darauf hinzuweisen, daß die
wahre Kunst ihren Inhalt nur aus dem sittlichen Kern des Lebens schöpfen
könne. Es ist uns auch gelungen, diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen,
denn seit einigen Jahren redet alles von Sittlichkeit und wenn man ein neu
erschienenes belletristisches Buch loben will, so macht man vor allen Dingen
auf die zufriedenstellende sittliche Tendenz desselben aufmerksam. Sobald dies
nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praris allgemeine Geltung ge¬
funden hat^ darf man der komischen Poesie ihr volles Recht wieder einräumen.
Der Scherz, der sich um sittliche Ideen gar nicht kümmert, hat in der Kunst
wie im Leben seine volle Berechtigung, sobald er sich nur nicht da eindrängt,
wo er nicht hingehört. Wenn ein Hanswurst sich an ernsthaften, das Wohl
und Wehe der Menschen berührenven Fragen laut macht und den Ernst des
Lebens zu einem Spiel herabsetzen will, so wird man ihn unsanft zurechtweisen
dürfen, um so unsanfter, je doctrinärer er sich geberdet. Aber es gibt Zeiten,
wo der Ernst des Lebens aufhört und so prosaisch es klingt, das horazische:
äalee,est clesipere in loco hat seine volle Wahrheit. Es war ein Mi߬
brauch, den die Romantiker mit dem Rechte des Hanswurstes trieben, wenn
sie unter ernsthaften, gravitätischen Formen in den wichtigsten Angelegen¬
heiten die individuelle Laune geltend machen wollten, wenn sie für den Katho¬
licismus, für Jacob Böhme und ähnliches in die Schranken traten, weil es
ihnen niedlich vorkam; und was in jener Zeit noch einen gewissen Sinn hatte,
wo die Moralität in der That ziemlich spießbürgerlich geworden war, wurde
vollends absurd, als alle Welt sich auf die Genialität legte und als das Ueber¬
maß an Geist allen gesunden Menschenverstand und alles Gewissen erstickte.
Eine stark ausgebildete, in das Fleisch und Blut des Volks übergegangene
öffentliche Meinung erträgt jede Travestie; in einem glaubenslosen Zeitalter
dagegen muß man gegen phantastische Sophisten sehr auf der Hut sein.

Die wohlmeinende und mit vieler Liebe geschriebene Skizze von Hoffmann
haben wir schon erwähnt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101427"/>
          <p xml:id="ID_1294" prev="#ID_1293"> es möglich, ja nothwendig sei, die ganze Zeit und alles, was darin geschieht,<lb/>
für ein Scherzhaftes Spiel anzusehen und daß der rechte Spaß eben der sei, a»<lb/>
gar keinen Ernst zu glauben und so die ganze Welt gleichsam mit einer neue»<lb/>
Sonne zu beleuchten." &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1295"> Es ist dies das romantische Glaubensbekenntniß, aus welchem die schwer¬<lb/>
sten Verirrungen unsrer Kunst hervorgegangen sind. Unsre Zeitschrift hat es<lb/>
sich zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht, gegen die falschen Folgerungen<lb/>
dieses Princips anzukämpfen und fortwährend darauf hinzuweisen, daß die<lb/>
wahre Kunst ihren Inhalt nur aus dem sittlichen Kern des Lebens schöpfen<lb/>
könne. Es ist uns auch gelungen, diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen,<lb/>
denn seit einigen Jahren redet alles von Sittlichkeit und wenn man ein neu<lb/>
erschienenes belletristisches Buch loben will, so macht man vor allen Dingen<lb/>
auf die zufriedenstellende sittliche Tendenz desselben aufmerksam. Sobald dies<lb/>
nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praris allgemeine Geltung ge¬<lb/>
funden hat^ darf man der komischen Poesie ihr volles Recht wieder einräumen.<lb/>
Der Scherz, der sich um sittliche Ideen gar nicht kümmert, hat in der Kunst<lb/>
wie im Leben seine volle Berechtigung, sobald er sich nur nicht da eindrängt,<lb/>
wo er nicht hingehört. Wenn ein Hanswurst sich an ernsthaften, das Wohl<lb/>
und Wehe der Menschen berührenven Fragen laut macht und den Ernst des<lb/>
Lebens zu einem Spiel herabsetzen will, so wird man ihn unsanft zurechtweisen<lb/>
dürfen, um so unsanfter, je doctrinärer er sich geberdet. Aber es gibt Zeiten,<lb/>
wo der Ernst des Lebens aufhört und so prosaisch es klingt, das horazische:<lb/>
äalee,est clesipere in loco hat seine volle Wahrheit. Es war ein Mi߬<lb/>
brauch, den die Romantiker mit dem Rechte des Hanswurstes trieben, wenn<lb/>
sie unter ernsthaften, gravitätischen Formen in den wichtigsten Angelegen¬<lb/>
heiten die individuelle Laune geltend machen wollten, wenn sie für den Katho¬<lb/>
licismus, für Jacob Böhme und ähnliches in die Schranken traten, weil es<lb/>
ihnen niedlich vorkam; und was in jener Zeit noch einen gewissen Sinn hatte,<lb/>
wo die Moralität in der That ziemlich spießbürgerlich geworden war, wurde<lb/>
vollends absurd, als alle Welt sich auf die Genialität legte und als das Ueber¬<lb/>
maß an Geist allen gesunden Menschenverstand und alles Gewissen erstickte.<lb/>
Eine stark ausgebildete, in das Fleisch und Blut des Volks übergegangene<lb/>
öffentliche Meinung erträgt jede Travestie; in einem glaubenslosen Zeitalter<lb/>
dagegen muß man gegen phantastische Sophisten sehr auf der Hut sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1296"> Die wohlmeinende und mit vieler Liebe geschriebene Skizze von Hoffmann<lb/>
haben wir schon erwähnt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] es möglich, ja nothwendig sei, die ganze Zeit und alles, was darin geschieht, für ein Scherzhaftes Spiel anzusehen und daß der rechte Spaß eben der sei, a» gar keinen Ernst zu glauben und so die ganze Welt gleichsam mit einer neue» Sonne zu beleuchten." — Es ist dies das romantische Glaubensbekenntniß, aus welchem die schwer¬ sten Verirrungen unsrer Kunst hervorgegangen sind. Unsre Zeitschrift hat es sich zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht, gegen die falschen Folgerungen dieses Princips anzukämpfen und fortwährend darauf hinzuweisen, daß die wahre Kunst ihren Inhalt nur aus dem sittlichen Kern des Lebens schöpfen könne. Es ist uns auch gelungen, diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen, denn seit einigen Jahren redet alles von Sittlichkeit und wenn man ein neu erschienenes belletristisches Buch loben will, so macht man vor allen Dingen auf die zufriedenstellende sittliche Tendenz desselben aufmerksam. Sobald dies nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praris allgemeine Geltung ge¬ funden hat^ darf man der komischen Poesie ihr volles Recht wieder einräumen. Der Scherz, der sich um sittliche Ideen gar nicht kümmert, hat in der Kunst wie im Leben seine volle Berechtigung, sobald er sich nur nicht da eindrängt, wo er nicht hingehört. Wenn ein Hanswurst sich an ernsthaften, das Wohl und Wehe der Menschen berührenven Fragen laut macht und den Ernst des Lebens zu einem Spiel herabsetzen will, so wird man ihn unsanft zurechtweisen dürfen, um so unsanfter, je doctrinärer er sich geberdet. Aber es gibt Zeiten, wo der Ernst des Lebens aufhört und so prosaisch es klingt, das horazische: äalee,est clesipere in loco hat seine volle Wahrheit. Es war ein Mi߬ brauch, den die Romantiker mit dem Rechte des Hanswurstes trieben, wenn sie unter ernsthaften, gravitätischen Formen in den wichtigsten Angelegen¬ heiten die individuelle Laune geltend machen wollten, wenn sie für den Katho¬ licismus, für Jacob Böhme und ähnliches in die Schranken traten, weil es ihnen niedlich vorkam; und was in jener Zeit noch einen gewissen Sinn hatte, wo die Moralität in der That ziemlich spießbürgerlich geworden war, wurde vollends absurd, als alle Welt sich auf die Genialität legte und als das Ueber¬ maß an Geist allen gesunden Menschenverstand und alles Gewissen erstickte. Eine stark ausgebildete, in das Fleisch und Blut des Volks übergegangene öffentliche Meinung erträgt jede Travestie; in einem glaubenslosen Zeitalter dagegen muß man gegen phantastische Sophisten sehr auf der Hut sein. Die wohlmeinende und mit vieler Liebe geschriebene Skizze von Hoffmann haben wir schon erwähnt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/434>, abgerufen am 27.07.2024.