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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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mit einer andern Empfindung abschließt, als wir, die wir hauptsächlich die Be¬
ziehung von Grund und Folge im Auge haben müssen. Auch als Dichter hatte
Tieck so viel liebenswürdige Seiten, daß man kein Apologet zu sein braucht,
um sie gebührend zu würdigen.

Mit einer sehr lobenswerthen Genauigkeit ist das chronologische Verzeich-
niß von Tiecks Werken abgefaßt. Weniger interessant sind die Mittheilungen
aus den ästhetischen Gesprächen mit Tieck. Tieck hat seine Ansichten über alles
Mögliche in Novellen und Kritiken so häufig ausgesprochen, daß kaum noch
eine Ergänzung möglich ist. Doch theilen wir einige Bemerkungen mit. Ueber
Arnim sagt er: "Er arbeitet sast planlos;*er schachtelt Anekdoten und Episoden
ein, die ihn grade im Augenblick ansprechen, ohne sich um das Ganze zu
kümmern. Er spielt mit den Dingen, seine Poesie bekommt so den Charakter
des willkürlich Gemachtem. Ost zieht er im Augenblicke an und weiß zu inter-
essiren, aber ebensooft stößt er auch wieder ab durch das Willkürliche und
Bizarre . . . Mit Arnim und Brentano habe ich im Leben manche persönliche
Berührung gehabt, und sie fühlten sich, besonders in früherer Zeit, durch man¬
ches in meinem Wesen angezogen. Wirklich stimmten wir in einigen Punkten
überein. Dennoch ist immer etwas Fremdes zwischen uns geblieben, und dich¬
terisch habe ich mich von beiden stets fern gefühlt. Es fehlte ihnen eines
was bei mir von der Poesie unzertrennlich ist, der reine und wahre Sinn für
die Natur und das Natürliche. Bei ihnen kommt sie immer als etwas Neflec-
tirtes und Gemachtes heraus; es scheint, als sei es ihnen nicht rechter Ernst
mit der Sache, als sei es ein Spaß. Man hat das Gefühl, als wenn sie eS
auch ebensogut lassen könnten."-- Ueber Platen sagt er: "Platen hat mich
immer kalt gelassen. Seine Verse werden gerühmt, und sie sind auch vortreff¬
lich gebaut, und dafür hat er ein wahres Talent. Aber was er in diesen Ver¬
sen gibt, ist doch nur mittelmäßig; in so anspruchsvollen Versen vermißt man
den tiefern Inhalt am ersten. Aus seiner ganze" Poesie hört man immer die
Selbstüberschätzung heraus. Besonders schwach sind seine Dramen; sie sind
trocken und dürftig, es fehlt ganz an eigentlicher Komposition. Er will sich
nach den Alten gebildet haben und glaubt Shakespeare tadeln, zu können, den
er gar nicht einmal versteht." ,

Die nachgelassenen Schriften enthalten nicht viel Bedeutendes. Ein dra¬
matisches Fragment: "die Sommernacht", von Tieck noch auf dem Gymnasium
geschrieben, ist schon 1831 im Rheinischen Taschenbuche mitgetheilt. In dieselbe
Classe gehört das Feenmärchen: "das Reh" (1790). Das Puppenspiel "Hans¬
wurst" als Epigramm (179S) ist eine leicht hingeworfene Gelegenheitsposse.
Von literarhistorischen Interesse ist in diesen Versuchen nur der "Amel-Faust
oder die Geschichte eines dummen Teufels", ein Fragment aus dem Jahre
^801, gewissermaßen eine Fortsetzung des Zerbino mit verschärfter Satire gegen


mit einer andern Empfindung abschließt, als wir, die wir hauptsächlich die Be¬
ziehung von Grund und Folge im Auge haben müssen. Auch als Dichter hatte
Tieck so viel liebenswürdige Seiten, daß man kein Apologet zu sein braucht,
um sie gebührend zu würdigen.

Mit einer sehr lobenswerthen Genauigkeit ist das chronologische Verzeich-
niß von Tiecks Werken abgefaßt. Weniger interessant sind die Mittheilungen
aus den ästhetischen Gesprächen mit Tieck. Tieck hat seine Ansichten über alles
Mögliche in Novellen und Kritiken so häufig ausgesprochen, daß kaum noch
eine Ergänzung möglich ist. Doch theilen wir einige Bemerkungen mit. Ueber
Arnim sagt er: „Er arbeitet sast planlos;*er schachtelt Anekdoten und Episoden
ein, die ihn grade im Augenblick ansprechen, ohne sich um das Ganze zu
kümmern. Er spielt mit den Dingen, seine Poesie bekommt so den Charakter
des willkürlich Gemachtem. Ost zieht er im Augenblicke an und weiß zu inter-
essiren, aber ebensooft stößt er auch wieder ab durch das Willkürliche und
Bizarre . . . Mit Arnim und Brentano habe ich im Leben manche persönliche
Berührung gehabt, und sie fühlten sich, besonders in früherer Zeit, durch man¬
ches in meinem Wesen angezogen. Wirklich stimmten wir in einigen Punkten
überein. Dennoch ist immer etwas Fremdes zwischen uns geblieben, und dich¬
terisch habe ich mich von beiden stets fern gefühlt. Es fehlte ihnen eines
was bei mir von der Poesie unzertrennlich ist, der reine und wahre Sinn für
die Natur und das Natürliche. Bei ihnen kommt sie immer als etwas Neflec-
tirtes und Gemachtes heraus; es scheint, als sei es ihnen nicht rechter Ernst
mit der Sache, als sei es ein Spaß. Man hat das Gefühl, als wenn sie eS
auch ebensogut lassen könnten."— Ueber Platen sagt er: „Platen hat mich
immer kalt gelassen. Seine Verse werden gerühmt, und sie sind auch vortreff¬
lich gebaut, und dafür hat er ein wahres Talent. Aber was er in diesen Ver¬
sen gibt, ist doch nur mittelmäßig; in so anspruchsvollen Versen vermißt man
den tiefern Inhalt am ersten. Aus seiner ganze» Poesie hört man immer die
Selbstüberschätzung heraus. Besonders schwach sind seine Dramen; sie sind
trocken und dürftig, es fehlt ganz an eigentlicher Komposition. Er will sich
nach den Alten gebildet haben und glaubt Shakespeare tadeln, zu können, den
er gar nicht einmal versteht." ,

Die nachgelassenen Schriften enthalten nicht viel Bedeutendes. Ein dra¬
matisches Fragment: „die Sommernacht", von Tieck noch auf dem Gymnasium
geschrieben, ist schon 1831 im Rheinischen Taschenbuche mitgetheilt. In dieselbe
Classe gehört das Feenmärchen: „das Reh" (1790). Das Puppenspiel „Hans¬
wurst" als Epigramm (179S) ist eine leicht hingeworfene Gelegenheitsposse.
Von literarhistorischen Interesse ist in diesen Versuchen nur der „Amel-Faust
oder die Geschichte eines dummen Teufels", ein Fragment aus dem Jahre
^801, gewissermaßen eine Fortsetzung des Zerbino mit verschärfter Satire gegen


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[0431] mit einer andern Empfindung abschließt, als wir, die wir hauptsächlich die Be¬ ziehung von Grund und Folge im Auge haben müssen. Auch als Dichter hatte Tieck so viel liebenswürdige Seiten, daß man kein Apologet zu sein braucht, um sie gebührend zu würdigen. Mit einer sehr lobenswerthen Genauigkeit ist das chronologische Verzeich- niß von Tiecks Werken abgefaßt. Weniger interessant sind die Mittheilungen aus den ästhetischen Gesprächen mit Tieck. Tieck hat seine Ansichten über alles Mögliche in Novellen und Kritiken so häufig ausgesprochen, daß kaum noch eine Ergänzung möglich ist. Doch theilen wir einige Bemerkungen mit. Ueber Arnim sagt er: „Er arbeitet sast planlos;*er schachtelt Anekdoten und Episoden ein, die ihn grade im Augenblick ansprechen, ohne sich um das Ganze zu kümmern. Er spielt mit den Dingen, seine Poesie bekommt so den Charakter des willkürlich Gemachtem. Ost zieht er im Augenblicke an und weiß zu inter- essiren, aber ebensooft stößt er auch wieder ab durch das Willkürliche und Bizarre . . . Mit Arnim und Brentano habe ich im Leben manche persönliche Berührung gehabt, und sie fühlten sich, besonders in früherer Zeit, durch man¬ ches in meinem Wesen angezogen. Wirklich stimmten wir in einigen Punkten überein. Dennoch ist immer etwas Fremdes zwischen uns geblieben, und dich¬ terisch habe ich mich von beiden stets fern gefühlt. Es fehlte ihnen eines was bei mir von der Poesie unzertrennlich ist, der reine und wahre Sinn für die Natur und das Natürliche. Bei ihnen kommt sie immer als etwas Neflec- tirtes und Gemachtes heraus; es scheint, als sei es ihnen nicht rechter Ernst mit der Sache, als sei es ein Spaß. Man hat das Gefühl, als wenn sie eS auch ebensogut lassen könnten."— Ueber Platen sagt er: „Platen hat mich immer kalt gelassen. Seine Verse werden gerühmt, und sie sind auch vortreff¬ lich gebaut, und dafür hat er ein wahres Talent. Aber was er in diesen Ver¬ sen gibt, ist doch nur mittelmäßig; in so anspruchsvollen Versen vermißt man den tiefern Inhalt am ersten. Aus seiner ganze» Poesie hört man immer die Selbstüberschätzung heraus. Besonders schwach sind seine Dramen; sie sind trocken und dürftig, es fehlt ganz an eigentlicher Komposition. Er will sich nach den Alten gebildet haben und glaubt Shakespeare tadeln, zu können, den er gar nicht einmal versteht." , Die nachgelassenen Schriften enthalten nicht viel Bedeutendes. Ein dra¬ matisches Fragment: „die Sommernacht", von Tieck noch auf dem Gymnasium geschrieben, ist schon 1831 im Rheinischen Taschenbuche mitgetheilt. In dieselbe Classe gehört das Feenmärchen: „das Reh" (1790). Das Puppenspiel „Hans¬ wurst" als Epigramm (179S) ist eine leicht hingeworfene Gelegenheitsposse. Von literarhistorischen Interesse ist in diesen Versuchen nur der „Amel-Faust oder die Geschichte eines dummen Teufels", ein Fragment aus dem Jahre ^801, gewissermaßen eine Fortsetzung des Zerbino mit verschärfter Satire gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/431>, abgerufen am 01.07.2024.