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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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kein Zweifel, nur ist das nicht mehr eine charakteristische Eigenschaft der Ritter¬
schaft. In Preußen ist jeder wehrpflichtig, unter Umständen muß jeder den
Helm tragen. Daß die Ritterschaft sich mit dem Destillirkolben abgibt d. h.
daß sie an eine rationelle Bewirthschaftung ihrer Güter denkt, ist nur eine
Huldigung, die sie den modernen Ideen darbringt, ein Zeugniß für die Ein¬
sicht, daß der Adel bürgerlich werden muß, um fortzubestehen. -- Der zweite,
den ich zu erwähnen habe, ist Graf Pfeil. Es war eine wunderbare Ne¬
mesis, die diesen Mann ereilte, als er mit so großem Behagen die Thaten
seiner ritterschaftlichen Souveränetät erzählte, die jeden nicht souveränen Bür¬
ger ins Gefängniß gebracht haben würden, und als gleich darauf der Abgeord¬
nete Wentzel ihn auf andre Thaten aufmerksam machte, die der demagogischen
Periode angehörten. Herr Graf Pfeil hat eingestanden, daß er, um dem
liberalen Ministerium zu schaden, demagogisch die Massen aufgewiegelt habe;
er gab auch zu, daß das eigentlich unsittlich sei. Den einzelnen Fall näher
zu beleuchten, ist nicht der Mühe werth, er spricht für sich selbst; aber die
Frage möchte ich doch stellen, ob alle Königlichgesinnten im April 18i8 auch
Anhänger des Ministeriums Schwerin-Auerswald sein mußten? Nach der
Theorie des Negierungscommissarius, Geheimer Rath Hahn, gibt es ja keinen
Unterschied zwischen der Treue gegen den König und der Treue gegen das
Ministerium.

Auf der Seite der Opposition begegnet uns zunächst die Fraction Beth¬
mann-Hollweg, welche, etwa 20 Mann stark, die Plätze des Centrums aus¬
füllt. Viele von den Männern, die man gewöhnlich dazu rechnet, sind nicht
in der Kammer, von Bethmann-Hollweg selbst, von Usedom, Graf Pourtales
und Bunsen. Der gegenwärtige Führer ist d,er Wirkliche Geheime Oberregierungs¬
rath a. D. Mathis. Außerdem gehört dazu der Geheime Legationsrath a. D.
v. Grüner, der Oberregierungsrath a. D. v. Font, der Regierungspräsident a. D.
v. Bardeleben, der Geheime Revisionsrath Ambron, der Geheime Obertribunals¬
rath Blömer, der Stadtrath Bock aus Berlin, auch der einzige Landrath der
Opposition, Gamradt. Es ist eine stattliche Liste, die noch durch ihre Beziehung
zum preußischen Wochenblatt, dem einzigen entschiedenen Organ der Opposition,
eine größere Bedeutung erhält. Ich will hier die Frage bei Seite lassen, ob es
von dieser Fraction nicht zweckmäßiger wäre, sich mit der eigentlichen Linken
in eine nähere Verbindung einzulassen, da ihr sonst aller parlamentarische
Boden fehlt. Ihre Mitglieder sind gewählt worden, nicht weil sie zu dieser
Nüance, sondern weil sie zur Opposition überhaupt gehören. Indessen kommen
hier so viele persönliche Rücksichten ins Spiel, daß man es um so mehr als
offne Frage behandeln darf, da in allen praktischen Fragen die Bethmcmn-
Hollwegianer mit der Opposition stimmen. In der Theorie weichen sie zwar sehr
wesentlich ab und keiner von ihren Rednern unterläßt, wovon auch die Rede sein


Grenztoten. I. -186". 33

kein Zweifel, nur ist das nicht mehr eine charakteristische Eigenschaft der Ritter¬
schaft. In Preußen ist jeder wehrpflichtig, unter Umständen muß jeder den
Helm tragen. Daß die Ritterschaft sich mit dem Destillirkolben abgibt d. h.
daß sie an eine rationelle Bewirthschaftung ihrer Güter denkt, ist nur eine
Huldigung, die sie den modernen Ideen darbringt, ein Zeugniß für die Ein¬
sicht, daß der Adel bürgerlich werden muß, um fortzubestehen. — Der zweite,
den ich zu erwähnen habe, ist Graf Pfeil. Es war eine wunderbare Ne¬
mesis, die diesen Mann ereilte, als er mit so großem Behagen die Thaten
seiner ritterschaftlichen Souveränetät erzählte, die jeden nicht souveränen Bür¬
ger ins Gefängniß gebracht haben würden, und als gleich darauf der Abgeord¬
nete Wentzel ihn auf andre Thaten aufmerksam machte, die der demagogischen
Periode angehörten. Herr Graf Pfeil hat eingestanden, daß er, um dem
liberalen Ministerium zu schaden, demagogisch die Massen aufgewiegelt habe;
er gab auch zu, daß das eigentlich unsittlich sei. Den einzelnen Fall näher
zu beleuchten, ist nicht der Mühe werth, er spricht für sich selbst; aber die
Frage möchte ich doch stellen, ob alle Königlichgesinnten im April 18i8 auch
Anhänger des Ministeriums Schwerin-Auerswald sein mußten? Nach der
Theorie des Negierungscommissarius, Geheimer Rath Hahn, gibt es ja keinen
Unterschied zwischen der Treue gegen den König und der Treue gegen das
Ministerium.

Auf der Seite der Opposition begegnet uns zunächst die Fraction Beth¬
mann-Hollweg, welche, etwa 20 Mann stark, die Plätze des Centrums aus¬
füllt. Viele von den Männern, die man gewöhnlich dazu rechnet, sind nicht
in der Kammer, von Bethmann-Hollweg selbst, von Usedom, Graf Pourtales
und Bunsen. Der gegenwärtige Führer ist d,er Wirkliche Geheime Oberregierungs¬
rath a. D. Mathis. Außerdem gehört dazu der Geheime Legationsrath a. D.
v. Grüner, der Oberregierungsrath a. D. v. Font, der Regierungspräsident a. D.
v. Bardeleben, der Geheime Revisionsrath Ambron, der Geheime Obertribunals¬
rath Blömer, der Stadtrath Bock aus Berlin, auch der einzige Landrath der
Opposition, Gamradt. Es ist eine stattliche Liste, die noch durch ihre Beziehung
zum preußischen Wochenblatt, dem einzigen entschiedenen Organ der Opposition,
eine größere Bedeutung erhält. Ich will hier die Frage bei Seite lassen, ob es
von dieser Fraction nicht zweckmäßiger wäre, sich mit der eigentlichen Linken
in eine nähere Verbindung einzulassen, da ihr sonst aller parlamentarische
Boden fehlt. Ihre Mitglieder sind gewählt worden, nicht weil sie zu dieser
Nüance, sondern weil sie zur Opposition überhaupt gehören. Indessen kommen
hier so viele persönliche Rücksichten ins Spiel, daß man es um so mehr als
offne Frage behandeln darf, da in allen praktischen Fragen die Bethmcmn-
Hollwegianer mit der Opposition stimmen. In der Theorie weichen sie zwar sehr
wesentlich ab und keiner von ihren Rednern unterläßt, wovon auch die Rede sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/425>, abgerufen am 29.06.2024.