Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.möge, das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß eine parlamentarische Regierung Indem ich mich nun zu unsern Freunden von der Linken wende, muß möge, das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß eine parlamentarische Regierung Indem ich mich nun zu unsern Freunden von der Linken wende, muß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101419"/> <p xml:id="ID_1279" prev="#ID_1278"> möge, das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß eine parlamentarische Regierung<lb/> für Preußen durchaus unstatthaft sei und daß der König allein regieren müsse.<lb/> Ein praktisches Interesse hat diese Abweichung der Meinungen in diesem Augen¬<lb/> blicke durchaus nicht. — Die Erscheinung des Abgeordneten Mathis entspricht<lb/> den Vorstellungen nicht, die man sich gewöhnlich von einem ältern Staats¬<lb/> mann macht. Er ist flink, beweglich, etwas hastig und der steife Ernst seiner<lb/> Reden sticht gegen sein übriges Wesen ziemlich auffallend ab. Seine Reden<lb/> sind sehr gründlich, zusammenhängend, durchdacht und voller Sachkenntniß, grade<lb/> wie die Artikel im preußischen Wochenblatt; aber sie haben auch etwas von<lb/> der Eintönigkeit derselben. Die ganze Partei ist insofern ein sehr wesentliches<lb/> Moment innerhalb der parlamentarischen Beredtsamkeit, als sie sich streng an<lb/> die Sache hält und mit Ausnahme des oben erwähnten Stichwvrts alle princi¬<lb/> pielle Verallgemeinerungen vermeidet. Allein ebendeshalb fehlt auch ihren<lb/> Reden jene dramatische Wirkung, die in einer Versammlung, wo in der That<lb/> zwei Gegensätze schroff gegenüberstehen, doch nicht gering anzuschlagen ist. Als<lb/> Berichterstatter einer Commission muß Herr Mathis vortrefflich sein. Leider<lb/> sind aber dies Mal die Commissionswahlen so als Parteisache betrieben, daß<lb/> die Opposition ganz ausgeschlossen ist. Man macht Herrn Mathis häufig seine<lb/> Vergangenheit zum Vorwurf, weil er vor 18i8 im Ministerium mit den An¬<lb/> gelegenheiten der Presse d. h. mit der Censur betraut war; allein viele Jahre<lb/> vor 1868 hat er sich entschieden gegen die Zweckmäßigkeit der Censur im All¬<lb/> gemeinen ausgesprochen und damals hatte man noch nichts dagegen einzuwen¬<lb/> den, daß die Beamten gegen ihre Ansicht arbeiteten, wenn es nur nicht gegen<lb/> ihr Gewissen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1280" next="#ID_1281"> Indem ich mich nun zu unsern Freunden von der Linken wende, muß<lb/> ich für meine Auffassung dieselbe Freiheit in Anspruch nehmen, die ich an den<lb/> Gegnern ausgeübt habe. Daß Vincke fehlt, macht sich in jedem Augenblick<lb/> bemerklich. Für jede Specialfrage sind die gegenwärtigen Mitglieder der Oppo¬<lb/> sition so vollständig gerüstet, daß man für die politische Zukunft der Partei<lb/> die besten Hoffnungen schöpfen könnte. Weniger reicht ihre Begabung für die<lb/> sogenannten großen Reden aus, für die principiellen Parteikämpfe. Diese<lb/> wurden in früherer Zeit meistens von Vincke geführt und es ist kein Gewinn<lb/> für die Opposition gewesen, daß nun die übrigen veranlaßt sind, sich darin zu<lb/> theilen. Nehmen wir die Führer der Opposition zusammen, Schwerin,<lb/> Auerswald, Patow, Wentzel, Kühne und Lette, an die sich noch sehr<lb/> kräftige gesinnungstüchtige Männer anschließen, wie Saucken, Harkort<lb/> und andre, so finden wir fast jedes Fach des politischen Lebens auf<lb/> das würdigste vertreten. Die genannten Männer, mit Ausnahme von<lb/> Schwerin, sind sämmtlich im Staatsleben groß geworden und gehen von einer<lb/> praktischen Auffassung der Dinge aus, die sie aus vieljähriger Erfahrung ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0426]
möge, das Glaubensbekenntniß abzulegen, daß eine parlamentarische Regierung
für Preußen durchaus unstatthaft sei und daß der König allein regieren müsse.
Ein praktisches Interesse hat diese Abweichung der Meinungen in diesem Augen¬
blicke durchaus nicht. — Die Erscheinung des Abgeordneten Mathis entspricht
den Vorstellungen nicht, die man sich gewöhnlich von einem ältern Staats¬
mann macht. Er ist flink, beweglich, etwas hastig und der steife Ernst seiner
Reden sticht gegen sein übriges Wesen ziemlich auffallend ab. Seine Reden
sind sehr gründlich, zusammenhängend, durchdacht und voller Sachkenntniß, grade
wie die Artikel im preußischen Wochenblatt; aber sie haben auch etwas von
der Eintönigkeit derselben. Die ganze Partei ist insofern ein sehr wesentliches
Moment innerhalb der parlamentarischen Beredtsamkeit, als sie sich streng an
die Sache hält und mit Ausnahme des oben erwähnten Stichwvrts alle princi¬
pielle Verallgemeinerungen vermeidet. Allein ebendeshalb fehlt auch ihren
Reden jene dramatische Wirkung, die in einer Versammlung, wo in der That
zwei Gegensätze schroff gegenüberstehen, doch nicht gering anzuschlagen ist. Als
Berichterstatter einer Commission muß Herr Mathis vortrefflich sein. Leider
sind aber dies Mal die Commissionswahlen so als Parteisache betrieben, daß
die Opposition ganz ausgeschlossen ist. Man macht Herrn Mathis häufig seine
Vergangenheit zum Vorwurf, weil er vor 18i8 im Ministerium mit den An¬
gelegenheiten der Presse d. h. mit der Censur betraut war; allein viele Jahre
vor 1868 hat er sich entschieden gegen die Zweckmäßigkeit der Censur im All¬
gemeinen ausgesprochen und damals hatte man noch nichts dagegen einzuwen¬
den, daß die Beamten gegen ihre Ansicht arbeiteten, wenn es nur nicht gegen
ihr Gewissen war.
Indem ich mich nun zu unsern Freunden von der Linken wende, muß
ich für meine Auffassung dieselbe Freiheit in Anspruch nehmen, die ich an den
Gegnern ausgeübt habe. Daß Vincke fehlt, macht sich in jedem Augenblick
bemerklich. Für jede Specialfrage sind die gegenwärtigen Mitglieder der Oppo¬
sition so vollständig gerüstet, daß man für die politische Zukunft der Partei
die besten Hoffnungen schöpfen könnte. Weniger reicht ihre Begabung für die
sogenannten großen Reden aus, für die principiellen Parteikämpfe. Diese
wurden in früherer Zeit meistens von Vincke geführt und es ist kein Gewinn
für die Opposition gewesen, daß nun die übrigen veranlaßt sind, sich darin zu
theilen. Nehmen wir die Führer der Opposition zusammen, Schwerin,
Auerswald, Patow, Wentzel, Kühne und Lette, an die sich noch sehr
kräftige gesinnungstüchtige Männer anschließen, wie Saucken, Harkort
und andre, so finden wir fast jedes Fach des politischen Lebens auf
das würdigste vertreten. Die genannten Männer, mit Ausnahme von
Schwerin, sind sämmtlich im Staatsleben groß geworden und gehen von einer
praktischen Auffassung der Dinge aus, die sie aus vieljähriger Erfahrung ge-
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