Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Obwol John Herschel. behauptet, daß es keine entschiedenen Anzeichen
einer Mondatmosphäre gibt, so hat er doch eine Andeutung über da,s Klima
des Erdsatelliten geliefert, welche eine Atmosphäre und selbst fließendes Wasser
voraussetzen läßt. Das Klima des Mondes wird von ihm als sehr ungewöhn¬
lich bezeichnet, als ein Wechsel zwischen vierzehntägigem Sonnenschein, heißer
als am Mittag unter dem Aequator, und ebenso langer Kälte, schärfer und
strenger als die unsrer Polargegenden. Ein solcher Stand der Dinge muß
eine fortwährende Ueberführung dessen, was er an Feuchtigkeit besitzt, von dem
unter dem Einfluß der Sonne befindlichen Theile nach dem entgegengesetzten
veranlassen. Die Folge davon wiederum wird absolute Trockenheit unter der
verticalen Sonne, fortwährendes Anwachsen von Eismassen auf der andern
Seite und vielleicht zwischen beiden ein schmaler Streifen fließendes Wasser
sein. Es ist somit möglich, daß Verdunstung auf der einen und Verdichtung
auf der andern Seite bis zu einem gewissen Grade ein Gleichgewicht der
Temperatur erhalten und die große Strenge beider Klimate mildern; allein
dieser Proceß, welcher ein stetes Entstehen und Vernichtetwerden einer At¬
mosphäre wässrigen Dunstes einschließen würde, könnte nur innerhalb sehr enger
Grenzen stattfinden.

Um einige der Hauptkrater des Mondes bemerkt man nach Herschel ent¬
schiedene Zeichen vulkanischer Ablagerungen, die aus Stoffen entstanden sein
müssen, welche die Berge zu verschiedenen Zeiten auswarfen. Ebenso glaubt
Herschel vollkommen ebene Flächen von entschieden alluvialem Charakter er¬
kannt zu Haben. Brewster schließt daraus, daß eine Atmosphäre dagewesen ist,
welche die Verbrennung ermöglichte, und gleicherweise Wasser um eine An¬
schwemmung zu bewirken. Er kann dann nicht begreisen, wie neuere Schrift¬
steller über Astronomie die vielen Beweise für das Vorhandensein einer Mond-
atmosphäre, die fast allgemein anerkannt worden sind, so vollständig übersehen
mochten. "Thatsachen, die vor hundert Jahren von Sternkundigen beobachtet
worden sind, welche sich durch ihre Genauigkeit auszeichneten, sind nicht weniger
wichtig, weil sie von den Nachfolgern derselben nicht beobachtet wurden. Man
kann im 18. Jahrhundert Vulkane im Monde gesehen haben, obwol sie im
19. nicht beobachtet worden sind, und ein entschiedenes Zeichen einer atmosphäri¬
schen Thätigkeit von heute wird dadurch, daß dieses Zeichen morgen nicht sicht¬
bar ist, nicht inS Gebiet der Fabel verwiesen."

Daß man an den dunkeln Stellen der Mondscheibe Vulkane beobachtet
hat, kann Brewsters Meinung Nach nicht bezweifelt werden. "Im Jahre 1772
bemerkte Beccaria und sechs Jahre später Ulloa einen hellen weißen Punkt
auf der Scheibe des Mondes. Der von Ulloa und drei andern Beobachtern
gesehene Punkt glich einer Oeffnung im Monde, aber Beccaria war der An¬
sicht, daß derselbe ganz ebenso wie der von ihm selbst gesehene, die Flamme


Grenzboten. I. t8ö6. 50

Obwol John Herschel. behauptet, daß es keine entschiedenen Anzeichen
einer Mondatmosphäre gibt, so hat er doch eine Andeutung über da,s Klima
des Erdsatelliten geliefert, welche eine Atmosphäre und selbst fließendes Wasser
voraussetzen läßt. Das Klima des Mondes wird von ihm als sehr ungewöhn¬
lich bezeichnet, als ein Wechsel zwischen vierzehntägigem Sonnenschein, heißer
als am Mittag unter dem Aequator, und ebenso langer Kälte, schärfer und
strenger als die unsrer Polargegenden. Ein solcher Stand der Dinge muß
eine fortwährende Ueberführung dessen, was er an Feuchtigkeit besitzt, von dem
unter dem Einfluß der Sonne befindlichen Theile nach dem entgegengesetzten
veranlassen. Die Folge davon wiederum wird absolute Trockenheit unter der
verticalen Sonne, fortwährendes Anwachsen von Eismassen auf der andern
Seite und vielleicht zwischen beiden ein schmaler Streifen fließendes Wasser
sein. Es ist somit möglich, daß Verdunstung auf der einen und Verdichtung
auf der andern Seite bis zu einem gewissen Grade ein Gleichgewicht der
Temperatur erhalten und die große Strenge beider Klimate mildern; allein
dieser Proceß, welcher ein stetes Entstehen und Vernichtetwerden einer At¬
mosphäre wässrigen Dunstes einschließen würde, könnte nur innerhalb sehr enger
Grenzen stattfinden.

Um einige der Hauptkrater des Mondes bemerkt man nach Herschel ent¬
schiedene Zeichen vulkanischer Ablagerungen, die aus Stoffen entstanden sein
müssen, welche die Berge zu verschiedenen Zeiten auswarfen. Ebenso glaubt
Herschel vollkommen ebene Flächen von entschieden alluvialem Charakter er¬
kannt zu Haben. Brewster schließt daraus, daß eine Atmosphäre dagewesen ist,
welche die Verbrennung ermöglichte, und gleicherweise Wasser um eine An¬
schwemmung zu bewirken. Er kann dann nicht begreisen, wie neuere Schrift¬
steller über Astronomie die vielen Beweise für das Vorhandensein einer Mond-
atmosphäre, die fast allgemein anerkannt worden sind, so vollständig übersehen
mochten. „Thatsachen, die vor hundert Jahren von Sternkundigen beobachtet
worden sind, welche sich durch ihre Genauigkeit auszeichneten, sind nicht weniger
wichtig, weil sie von den Nachfolgern derselben nicht beobachtet wurden. Man
kann im 18. Jahrhundert Vulkane im Monde gesehen haben, obwol sie im
19. nicht beobachtet worden sind, und ein entschiedenes Zeichen einer atmosphäri¬
schen Thätigkeit von heute wird dadurch, daß dieses Zeichen morgen nicht sicht¬
bar ist, nicht inS Gebiet der Fabel verwiesen."

Daß man an den dunkeln Stellen der Mondscheibe Vulkane beobachtet
hat, kann Brewsters Meinung Nach nicht bezweifelt werden. „Im Jahre 1772
bemerkte Beccaria und sechs Jahre später Ulloa einen hellen weißen Punkt
auf der Scheibe des Mondes. Der von Ulloa und drei andern Beobachtern
gesehene Punkt glich einer Oeffnung im Monde, aber Beccaria war der An¬
sicht, daß derselbe ganz ebenso wie der von ihm selbst gesehene, die Flamme


Grenzboten. I. t8ö6. 50
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101394"/>
            <p xml:id="ID_1205"> Obwol John Herschel. behauptet, daß es keine entschiedenen Anzeichen<lb/>
einer Mondatmosphäre gibt, so hat er doch eine Andeutung über da,s Klima<lb/>
des Erdsatelliten geliefert, welche eine Atmosphäre und selbst fließendes Wasser<lb/>
voraussetzen läßt. Das Klima des Mondes wird von ihm als sehr ungewöhn¬<lb/>
lich bezeichnet, als ein Wechsel zwischen vierzehntägigem Sonnenschein, heißer<lb/>
als am Mittag unter dem Aequator, und ebenso langer Kälte, schärfer und<lb/>
strenger als die unsrer Polargegenden. Ein solcher Stand der Dinge muß<lb/>
eine fortwährende Ueberführung dessen, was er an Feuchtigkeit besitzt, von dem<lb/>
unter dem Einfluß der Sonne befindlichen Theile nach dem entgegengesetzten<lb/>
veranlassen. Die Folge davon wiederum wird absolute Trockenheit unter der<lb/>
verticalen Sonne, fortwährendes Anwachsen von Eismassen auf der andern<lb/>
Seite und vielleicht zwischen beiden ein schmaler Streifen fließendes Wasser<lb/>
sein. Es ist somit möglich, daß Verdunstung auf der einen und Verdichtung<lb/>
auf der andern Seite bis zu einem gewissen Grade ein Gleichgewicht der<lb/>
Temperatur erhalten und die große Strenge beider Klimate mildern; allein<lb/>
dieser Proceß, welcher ein stetes Entstehen und Vernichtetwerden einer At¬<lb/>
mosphäre wässrigen Dunstes einschließen würde, könnte nur innerhalb sehr enger<lb/>
Grenzen stattfinden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1206"> Um einige der Hauptkrater des Mondes bemerkt man nach Herschel ent¬<lb/>
schiedene Zeichen vulkanischer Ablagerungen, die aus Stoffen entstanden sein<lb/>
müssen, welche die Berge zu verschiedenen Zeiten auswarfen. Ebenso glaubt<lb/>
Herschel vollkommen ebene Flächen von entschieden alluvialem Charakter er¬<lb/>
kannt zu Haben. Brewster schließt daraus, daß eine Atmosphäre dagewesen ist,<lb/>
welche die Verbrennung ermöglichte, und gleicherweise Wasser um eine An¬<lb/>
schwemmung zu bewirken. Er kann dann nicht begreisen, wie neuere Schrift¬<lb/>
steller über Astronomie die vielen Beweise für das Vorhandensein einer Mond-<lb/>
atmosphäre, die fast allgemein anerkannt worden sind, so vollständig übersehen<lb/>
mochten. &#x201E;Thatsachen, die vor hundert Jahren von Sternkundigen beobachtet<lb/>
worden sind, welche sich durch ihre Genauigkeit auszeichneten, sind nicht weniger<lb/>
wichtig, weil sie von den Nachfolgern derselben nicht beobachtet wurden. Man<lb/>
kann im 18. Jahrhundert Vulkane im Monde gesehen haben, obwol sie im<lb/>
19. nicht beobachtet worden sind, und ein entschiedenes Zeichen einer atmosphäri¬<lb/>
schen Thätigkeit von heute wird dadurch, daß dieses Zeichen morgen nicht sicht¬<lb/>
bar ist, nicht inS Gebiet der Fabel verwiesen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1207" next="#ID_1208"> Daß man an den dunkeln Stellen der Mondscheibe Vulkane beobachtet<lb/>
hat, kann Brewsters Meinung Nach nicht bezweifelt werden. &#x201E;Im Jahre 1772<lb/>
bemerkte Beccaria und sechs Jahre später Ulloa einen hellen weißen Punkt<lb/>
auf der Scheibe des Mondes. Der von Ulloa und drei andern Beobachtern<lb/>
gesehene Punkt glich einer Oeffnung im Monde, aber Beccaria war der An¬<lb/>
sicht, daß derselbe ganz ebenso wie der von ihm selbst gesehene, die Flamme</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. t8ö6. 50</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Obwol John Herschel. behauptet, daß es keine entschiedenen Anzeichen einer Mondatmosphäre gibt, so hat er doch eine Andeutung über da,s Klima des Erdsatelliten geliefert, welche eine Atmosphäre und selbst fließendes Wasser voraussetzen läßt. Das Klima des Mondes wird von ihm als sehr ungewöhn¬ lich bezeichnet, als ein Wechsel zwischen vierzehntägigem Sonnenschein, heißer als am Mittag unter dem Aequator, und ebenso langer Kälte, schärfer und strenger als die unsrer Polargegenden. Ein solcher Stand der Dinge muß eine fortwährende Ueberführung dessen, was er an Feuchtigkeit besitzt, von dem unter dem Einfluß der Sonne befindlichen Theile nach dem entgegengesetzten veranlassen. Die Folge davon wiederum wird absolute Trockenheit unter der verticalen Sonne, fortwährendes Anwachsen von Eismassen auf der andern Seite und vielleicht zwischen beiden ein schmaler Streifen fließendes Wasser sein. Es ist somit möglich, daß Verdunstung auf der einen und Verdichtung auf der andern Seite bis zu einem gewissen Grade ein Gleichgewicht der Temperatur erhalten und die große Strenge beider Klimate mildern; allein dieser Proceß, welcher ein stetes Entstehen und Vernichtetwerden einer At¬ mosphäre wässrigen Dunstes einschließen würde, könnte nur innerhalb sehr enger Grenzen stattfinden. Um einige der Hauptkrater des Mondes bemerkt man nach Herschel ent¬ schiedene Zeichen vulkanischer Ablagerungen, die aus Stoffen entstanden sein müssen, welche die Berge zu verschiedenen Zeiten auswarfen. Ebenso glaubt Herschel vollkommen ebene Flächen von entschieden alluvialem Charakter er¬ kannt zu Haben. Brewster schließt daraus, daß eine Atmosphäre dagewesen ist, welche die Verbrennung ermöglichte, und gleicherweise Wasser um eine An¬ schwemmung zu bewirken. Er kann dann nicht begreisen, wie neuere Schrift¬ steller über Astronomie die vielen Beweise für das Vorhandensein einer Mond- atmosphäre, die fast allgemein anerkannt worden sind, so vollständig übersehen mochten. „Thatsachen, die vor hundert Jahren von Sternkundigen beobachtet worden sind, welche sich durch ihre Genauigkeit auszeichneten, sind nicht weniger wichtig, weil sie von den Nachfolgern derselben nicht beobachtet wurden. Man kann im 18. Jahrhundert Vulkane im Monde gesehen haben, obwol sie im 19. nicht beobachtet worden sind, und ein entschiedenes Zeichen einer atmosphäri¬ schen Thätigkeit von heute wird dadurch, daß dieses Zeichen morgen nicht sicht¬ bar ist, nicht inS Gebiet der Fabel verwiesen." Daß man an den dunkeln Stellen der Mondscheibe Vulkane beobachtet hat, kann Brewsters Meinung Nach nicht bezweifelt werden. „Im Jahre 1772 bemerkte Beccaria und sechs Jahre später Ulloa einen hellen weißen Punkt auf der Scheibe des Mondes. Der von Ulloa und drei andern Beobachtern gesehene Punkt glich einer Oeffnung im Monde, aber Beccaria war der An¬ sicht, daß derselbe ganz ebenso wie der von ihm selbst gesehene, die Flamme Grenzboten. I. t8ö6. 50

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/401>, abgerufen am 23.07.2024.