Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Wichtigkeit für die Beurtheilung späterer Ereignisse sind seine Mittheilun¬
gen über Kaiser Alexanders Einmischung in die Kriegführung. Kutusow war
formell zum Oberbefehlshaber des russisch-östreichischen Heeres ernannt worden;
"aber sein Oberbefehl/' sagt Herr von Bernhardt, "blieb eine vollkommen
wesenlose Form; dieser General hatte sogar jetzt weniger Einfluß auf den Gang
der Operationen als zuvor, da eigentlich der junge Kaiser selbst die Leitung
im Großen übernahm. Die eher zaghafte als kühne Vorsicht des vorgerückten
Alters konnte freilich die Anordnungen nicht gut heißen, welche die übermäßige
Zuversicht der unerfahrenen Jugend eingab, aber Kutusow war ein viel zu
guter Hofmann, um seine Ansicht mit Ernst und Nachdruck geltend zu machen.
Er schwieg, wenn nicht von Haus aus, doch wenigstens sehr bald, gab nach
und ließ gewähren. Die Ausführung des Beschlossenen einzuleiten und an¬
zuordnen, dazu war dann Weyrother als dienstbeflissenes Werkzeug bereit. Man
könnte fragen, warum der Kaiser nicht die Sache vereinfachte und sich selbst
an die Spitze der Armee stellte, um sie mit Weyrothers Rath zu befehligen,
wenn er doch einmal dem alten Kutusow so wenig Einfluß gestatten wollte.
Aber die Antwort ist leicht zu finden, und eine Eigenthümlichkeit in Alexanders
Charakter erklärt die Sache. Aehnliche Erscheinungen kehrten un,ter seiner Ne¬
gierung häufig wieder; er liebte es, gewisse Dinge unentschieden in der Schwebe
zu lassen und sich in nicht ganz ausgesprochenen Verhältnissen zu bewegen.
DaS hatte seinen Grund. Die vielen guten Eigenschaften deS mildgesinnten,
von dem besten Willen beseelten Kaisers sind in und außer Nußland aner¬
kannt worden; aber wer ihn am besten kannte und am meisten verehrte, wußte,
daß er nicht frei von Eitelkeit sei." Er wünschte selbst als Feldherr zu glän¬
zen, konnte sich aber von dem Gedanken an die Beweglichkeit des Kriegs"
glucks und an die Gefahr, daß er sich vielleicht persönlich bloßstelle, nicht los¬
machen; den Ruhm des Sieges wollte er genießen, doch zugleich dafür Sorge
tragen, daß die aus einer Niederlage erwachsende Mißgunst sich an einen
andern Namen hefte. So blieb Kutusow Oberbefehlshaber, ohne daß er die
Anordnungen zur Schlacht bei Austerlitz selbst vorgeschlagen oder auch uur
gebilligt hätte. Er war vielmehr für einen weitern Rückzug, für ein Hinaus¬
schieben der Entscheidung, bis die nahen Verstärkungen eingetroffen wären;
aber die Umgebung des jungen Kaisers kannte nur die eine Besorgniß, daß
Napoleon entkommen könne. Um so furchtbarer war die Niedergeschlagenheit
und Rathlosigkeit nach dem Unglückstage. Toll sah bei dem Rückzüge nach
der Schlacht den Kaiser, nur von seinem Leibarzt und seinem Stallmeister be¬
gleitet, querfeldein reiten; aus der Entfernung bemerkte er, wie der Kaiser ab¬
stieg, sich unter einen Baum setzte, sein Gesicht verhüllte und in Thränen aus¬
brach. "Verlegen standen die beiden Begleiter in der Nähe. Auch Toll ritt
nun heran, stieg ab und stellte sich schweigend zu ihnen; da der Zustand sich


von Wichtigkeit für die Beurtheilung späterer Ereignisse sind seine Mittheilun¬
gen über Kaiser Alexanders Einmischung in die Kriegführung. Kutusow war
formell zum Oberbefehlshaber des russisch-östreichischen Heeres ernannt worden;
„aber sein Oberbefehl/' sagt Herr von Bernhardt, „blieb eine vollkommen
wesenlose Form; dieser General hatte sogar jetzt weniger Einfluß auf den Gang
der Operationen als zuvor, da eigentlich der junge Kaiser selbst die Leitung
im Großen übernahm. Die eher zaghafte als kühne Vorsicht des vorgerückten
Alters konnte freilich die Anordnungen nicht gut heißen, welche die übermäßige
Zuversicht der unerfahrenen Jugend eingab, aber Kutusow war ein viel zu
guter Hofmann, um seine Ansicht mit Ernst und Nachdruck geltend zu machen.
Er schwieg, wenn nicht von Haus aus, doch wenigstens sehr bald, gab nach
und ließ gewähren. Die Ausführung des Beschlossenen einzuleiten und an¬
zuordnen, dazu war dann Weyrother als dienstbeflissenes Werkzeug bereit. Man
könnte fragen, warum der Kaiser nicht die Sache vereinfachte und sich selbst
an die Spitze der Armee stellte, um sie mit Weyrothers Rath zu befehligen,
wenn er doch einmal dem alten Kutusow so wenig Einfluß gestatten wollte.
Aber die Antwort ist leicht zu finden, und eine Eigenthümlichkeit in Alexanders
Charakter erklärt die Sache. Aehnliche Erscheinungen kehrten un,ter seiner Ne¬
gierung häufig wieder; er liebte es, gewisse Dinge unentschieden in der Schwebe
zu lassen und sich in nicht ganz ausgesprochenen Verhältnissen zu bewegen.
DaS hatte seinen Grund. Die vielen guten Eigenschaften deS mildgesinnten,
von dem besten Willen beseelten Kaisers sind in und außer Nußland aner¬
kannt worden; aber wer ihn am besten kannte und am meisten verehrte, wußte,
daß er nicht frei von Eitelkeit sei." Er wünschte selbst als Feldherr zu glän¬
zen, konnte sich aber von dem Gedanken an die Beweglichkeit des Kriegs«
glucks und an die Gefahr, daß er sich vielleicht persönlich bloßstelle, nicht los¬
machen; den Ruhm des Sieges wollte er genießen, doch zugleich dafür Sorge
tragen, daß die aus einer Niederlage erwachsende Mißgunst sich an einen
andern Namen hefte. So blieb Kutusow Oberbefehlshaber, ohne daß er die
Anordnungen zur Schlacht bei Austerlitz selbst vorgeschlagen oder auch uur
gebilligt hätte. Er war vielmehr für einen weitern Rückzug, für ein Hinaus¬
schieben der Entscheidung, bis die nahen Verstärkungen eingetroffen wären;
aber die Umgebung des jungen Kaisers kannte nur die eine Besorgniß, daß
Napoleon entkommen könne. Um so furchtbarer war die Niedergeschlagenheit
und Rathlosigkeit nach dem Unglückstage. Toll sah bei dem Rückzüge nach
der Schlacht den Kaiser, nur von seinem Leibarzt und seinem Stallmeister be¬
gleitet, querfeldein reiten; aus der Entfernung bemerkte er, wie der Kaiser ab¬
stieg, sich unter einen Baum setzte, sein Gesicht verhüllte und in Thränen aus¬
brach. „Verlegen standen die beiden Begleiter in der Nähe. Auch Toll ritt
nun heran, stieg ab und stellte sich schweigend zu ihnen; da der Zustand sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101337"/>
          <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043" next="#ID_1045"> von Wichtigkeit für die Beurtheilung späterer Ereignisse sind seine Mittheilun¬<lb/>
gen über Kaiser Alexanders Einmischung in die Kriegführung. Kutusow war<lb/>
formell zum Oberbefehlshaber des russisch-östreichischen Heeres ernannt worden;<lb/>
&#x201E;aber sein Oberbefehl/' sagt Herr von Bernhardt, &#x201E;blieb eine vollkommen<lb/>
wesenlose Form; dieser General hatte sogar jetzt weniger Einfluß auf den Gang<lb/>
der Operationen als zuvor, da eigentlich der junge Kaiser selbst die Leitung<lb/>
im Großen übernahm. Die eher zaghafte als kühne Vorsicht des vorgerückten<lb/>
Alters konnte freilich die Anordnungen nicht gut heißen, welche die übermäßige<lb/>
Zuversicht der unerfahrenen Jugend eingab, aber Kutusow war ein viel zu<lb/>
guter Hofmann, um seine Ansicht mit Ernst und Nachdruck geltend zu machen.<lb/>
Er schwieg, wenn nicht von Haus aus, doch wenigstens sehr bald, gab nach<lb/>
und ließ gewähren. Die Ausführung des Beschlossenen einzuleiten und an¬<lb/>
zuordnen, dazu war dann Weyrother als dienstbeflissenes Werkzeug bereit. Man<lb/>
könnte fragen, warum der Kaiser nicht die Sache vereinfachte und sich selbst<lb/>
an die Spitze der Armee stellte, um sie mit Weyrothers Rath zu befehligen,<lb/>
wenn er doch einmal dem alten Kutusow so wenig Einfluß gestatten wollte.<lb/>
Aber die Antwort ist leicht zu finden, und eine Eigenthümlichkeit in Alexanders<lb/>
Charakter erklärt die Sache. Aehnliche Erscheinungen kehrten un,ter seiner Ne¬<lb/>
gierung häufig wieder; er liebte es, gewisse Dinge unentschieden in der Schwebe<lb/>
zu lassen und sich in nicht ganz ausgesprochenen Verhältnissen zu bewegen.<lb/>
DaS hatte seinen Grund. Die vielen guten Eigenschaften deS mildgesinnten,<lb/>
von dem besten Willen beseelten Kaisers sind in und außer Nußland aner¬<lb/>
kannt worden; aber wer ihn am besten kannte und am meisten verehrte, wußte,<lb/>
daß er nicht frei von Eitelkeit sei." Er wünschte selbst als Feldherr zu glän¬<lb/>
zen, konnte sich aber von dem Gedanken an die Beweglichkeit des Kriegs«<lb/>
glucks und an die Gefahr, daß er sich vielleicht persönlich bloßstelle, nicht los¬<lb/>
machen; den Ruhm des Sieges wollte er genießen, doch zugleich dafür Sorge<lb/>
tragen, daß die aus einer Niederlage erwachsende Mißgunst sich an einen<lb/>
andern Namen hefte. So blieb Kutusow Oberbefehlshaber, ohne daß er die<lb/>
Anordnungen zur Schlacht bei Austerlitz selbst vorgeschlagen oder auch uur<lb/>
gebilligt hätte. Er war vielmehr für einen weitern Rückzug, für ein Hinaus¬<lb/>
schieben der Entscheidung, bis die nahen Verstärkungen eingetroffen wären;<lb/>
aber die Umgebung des jungen Kaisers kannte nur die eine Besorgniß, daß<lb/>
Napoleon entkommen könne. Um so furchtbarer war die Niedergeschlagenheit<lb/>
und Rathlosigkeit nach dem Unglückstage. Toll sah bei dem Rückzüge nach<lb/>
der Schlacht den Kaiser, nur von seinem Leibarzt und seinem Stallmeister be¬<lb/>
gleitet, querfeldein reiten; aus der Entfernung bemerkte er, wie der Kaiser ab¬<lb/>
stieg, sich unter einen Baum setzte, sein Gesicht verhüllte und in Thränen aus¬<lb/>
brach. &#x201E;Verlegen standen die beiden Begleiter in der Nähe. Auch Toll ritt<lb/>
nun heran, stieg ab und stellte sich schweigend zu ihnen; da der Zustand sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] von Wichtigkeit für die Beurtheilung späterer Ereignisse sind seine Mittheilun¬ gen über Kaiser Alexanders Einmischung in die Kriegführung. Kutusow war formell zum Oberbefehlshaber des russisch-östreichischen Heeres ernannt worden; „aber sein Oberbefehl/' sagt Herr von Bernhardt, „blieb eine vollkommen wesenlose Form; dieser General hatte sogar jetzt weniger Einfluß auf den Gang der Operationen als zuvor, da eigentlich der junge Kaiser selbst die Leitung im Großen übernahm. Die eher zaghafte als kühne Vorsicht des vorgerückten Alters konnte freilich die Anordnungen nicht gut heißen, welche die übermäßige Zuversicht der unerfahrenen Jugend eingab, aber Kutusow war ein viel zu guter Hofmann, um seine Ansicht mit Ernst und Nachdruck geltend zu machen. Er schwieg, wenn nicht von Haus aus, doch wenigstens sehr bald, gab nach und ließ gewähren. Die Ausführung des Beschlossenen einzuleiten und an¬ zuordnen, dazu war dann Weyrother als dienstbeflissenes Werkzeug bereit. Man könnte fragen, warum der Kaiser nicht die Sache vereinfachte und sich selbst an die Spitze der Armee stellte, um sie mit Weyrothers Rath zu befehligen, wenn er doch einmal dem alten Kutusow so wenig Einfluß gestatten wollte. Aber die Antwort ist leicht zu finden, und eine Eigenthümlichkeit in Alexanders Charakter erklärt die Sache. Aehnliche Erscheinungen kehrten un,ter seiner Ne¬ gierung häufig wieder; er liebte es, gewisse Dinge unentschieden in der Schwebe zu lassen und sich in nicht ganz ausgesprochenen Verhältnissen zu bewegen. DaS hatte seinen Grund. Die vielen guten Eigenschaften deS mildgesinnten, von dem besten Willen beseelten Kaisers sind in und außer Nußland aner¬ kannt worden; aber wer ihn am besten kannte und am meisten verehrte, wußte, daß er nicht frei von Eitelkeit sei." Er wünschte selbst als Feldherr zu glän¬ zen, konnte sich aber von dem Gedanken an die Beweglichkeit des Kriegs« glucks und an die Gefahr, daß er sich vielleicht persönlich bloßstelle, nicht los¬ machen; den Ruhm des Sieges wollte er genießen, doch zugleich dafür Sorge tragen, daß die aus einer Niederlage erwachsende Mißgunst sich an einen andern Namen hefte. So blieb Kutusow Oberbefehlshaber, ohne daß er die Anordnungen zur Schlacht bei Austerlitz selbst vorgeschlagen oder auch uur gebilligt hätte. Er war vielmehr für einen weitern Rückzug, für ein Hinaus¬ schieben der Entscheidung, bis die nahen Verstärkungen eingetroffen wären; aber die Umgebung des jungen Kaisers kannte nur die eine Besorgniß, daß Napoleon entkommen könne. Um so furchtbarer war die Niedergeschlagenheit und Rathlosigkeit nach dem Unglückstage. Toll sah bei dem Rückzüge nach der Schlacht den Kaiser, nur von seinem Leibarzt und seinem Stallmeister be¬ gleitet, querfeldein reiten; aus der Entfernung bemerkte er, wie der Kaiser ab¬ stieg, sich unter einen Baum setzte, sein Gesicht verhüllte und in Thränen aus¬ brach. „Verlegen standen die beiden Begleiter in der Nähe. Auch Toll ritt nun heran, stieg ab und stellte sich schweigend zu ihnen; da der Zustand sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/344>, abgerufen am 23.07.2024.