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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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verlängerte, faßte er nach einigem Bedenken und Schwanken ein Herz, trat
dem Kaiser naher und sprach Worte des Trostes und der Ermuthigung zu
ihm. Eine Verlorne Schlacht sei nicht die letzte Entscheidung des Schicksals,
nicht ein Unglück, das nicht wieder gut gemacht werden könne. Natürlich
konnte er in dem Augenblick und in seiner Stellung nicht aus etwas Bestimmtes
und naheliegendes hinweisen, nicht in bestimmten Maßregeln einen Grund
neuer Hoffnung zeigen: seine Worte waren eben nur im Allgemeinen der Aus¬
druck eines männlichen Sinnes, den Unglück nicht beugt. Der Kaiser hörte
ihm zu, trocknete endlich seine Thränen und erhob sich; schweigend.umarmte er
Toll, stieg dann wieder zu Pferde und ritt weiter nach Hodiegitz." Hier fand
sich auch Kutusow ein, in dessen Hauptquartier Toll den Rückmarsch nach Ru߬
land machte.

Im folgenden Jahre befand sich Toll im Hauptquartier des General
Michelson, der die zum Angriff auf das türkische Reich bestimmte Armee com-
mandirte, und besorgte hier mehrmals als stellvertretender die Geschäfte eines
Generalquartiermeisters. Da Michelson die Hälfte seiner Armee nach dem
Norden abgeben mußte, blieben ihm nur 30,000 Mann, mit denen an einen
Zug über den Balkan nicht zu denken war. Es ist bekannt, daß sich seine
Unternehmungen aus die Besetzung der Donaufürstenthümer und auf einen
Festungskrieg beschränkten. Auch Paskiewitsch lernte damals diesen Kriegs¬
schauplatz kennen: er war ohne bestimmte Aufträge dem Hauptquartier bei¬
gegeben. Toll erwarb für eine persönliche Auszeichnung in einem Gefecht vor
Ismail den Annenorden zweiter Classe und wurde gegen Ende des Jahres 1807
zum Obristlieutenant befördert; wichtiger für ihn war, daß der alte Fürst Pro-
svrowski, der nach Michelsons im August erfolgten: Tode Oberbefehlshaber der
Donauarmee geworden war, sich Kutusow als Gehilfen erbat, der hier wieder
mit Toll zusammentraf und von dem Talent desselben eine noch höhere Meinung
gewann. Als Prosorowski und Kutusow sich entzweiten und der letztere 1809
vom Heere abberufen wurde, hielt auch Toll seine Stellung im Hauptquartier
für unhaltbar und bat um seine Versetzung in die Linie. Er erhielt ein
Bataillon zu Shawl in Lithauen, lebte hier militärischen Studien, wurde aber
schon im folgenden Jahre wieder zum Quartiermeisterwescn versetzt und 1811
zum Obersten befördert. Das war die Stellung, in welcher sich Toll beim
Ausbruch des großen Krieges von 1812 befand.

Die Darstellung des Feldzugs der Franzosen in Rußland bis zum Rück¬
zug der Russen hinter WjäSma nimmt ungefähr die Hälfte des vorliegenden
Bandes ein und bildet ohne Frage den interessantesten und dankenswerthesten
Theil der Arbeit. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt nachzuweisen,
daß für den Rückzug der Russen in das Innere des Reichs nicht die bewußte
Absicht,, die ungeheure Ausdehnung Rußlands als wichtigsten Factor zur Ver-


Grmzbvten. I. I86ki. 43

verlängerte, faßte er nach einigem Bedenken und Schwanken ein Herz, trat
dem Kaiser naher und sprach Worte des Trostes und der Ermuthigung zu
ihm. Eine Verlorne Schlacht sei nicht die letzte Entscheidung des Schicksals,
nicht ein Unglück, das nicht wieder gut gemacht werden könne. Natürlich
konnte er in dem Augenblick und in seiner Stellung nicht aus etwas Bestimmtes
und naheliegendes hinweisen, nicht in bestimmten Maßregeln einen Grund
neuer Hoffnung zeigen: seine Worte waren eben nur im Allgemeinen der Aus¬
druck eines männlichen Sinnes, den Unglück nicht beugt. Der Kaiser hörte
ihm zu, trocknete endlich seine Thränen und erhob sich; schweigend.umarmte er
Toll, stieg dann wieder zu Pferde und ritt weiter nach Hodiegitz." Hier fand
sich auch Kutusow ein, in dessen Hauptquartier Toll den Rückmarsch nach Ru߬
land machte.

Im folgenden Jahre befand sich Toll im Hauptquartier des General
Michelson, der die zum Angriff auf das türkische Reich bestimmte Armee com-
mandirte, und besorgte hier mehrmals als stellvertretender die Geschäfte eines
Generalquartiermeisters. Da Michelson die Hälfte seiner Armee nach dem
Norden abgeben mußte, blieben ihm nur 30,000 Mann, mit denen an einen
Zug über den Balkan nicht zu denken war. Es ist bekannt, daß sich seine
Unternehmungen aus die Besetzung der Donaufürstenthümer und auf einen
Festungskrieg beschränkten. Auch Paskiewitsch lernte damals diesen Kriegs¬
schauplatz kennen: er war ohne bestimmte Aufträge dem Hauptquartier bei¬
gegeben. Toll erwarb für eine persönliche Auszeichnung in einem Gefecht vor
Ismail den Annenorden zweiter Classe und wurde gegen Ende des Jahres 1807
zum Obristlieutenant befördert; wichtiger für ihn war, daß der alte Fürst Pro-
svrowski, der nach Michelsons im August erfolgten: Tode Oberbefehlshaber der
Donauarmee geworden war, sich Kutusow als Gehilfen erbat, der hier wieder
mit Toll zusammentraf und von dem Talent desselben eine noch höhere Meinung
gewann. Als Prosorowski und Kutusow sich entzweiten und der letztere 1809
vom Heere abberufen wurde, hielt auch Toll seine Stellung im Hauptquartier
für unhaltbar und bat um seine Versetzung in die Linie. Er erhielt ein
Bataillon zu Shawl in Lithauen, lebte hier militärischen Studien, wurde aber
schon im folgenden Jahre wieder zum Quartiermeisterwescn versetzt und 1811
zum Obersten befördert. Das war die Stellung, in welcher sich Toll beim
Ausbruch des großen Krieges von 1812 befand.

Die Darstellung des Feldzugs der Franzosen in Rußland bis zum Rück¬
zug der Russen hinter WjäSma nimmt ungefähr die Hälfte des vorliegenden
Bandes ein und bildet ohne Frage den interessantesten und dankenswerthesten
Theil der Arbeit. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt nachzuweisen,
daß für den Rückzug der Russen in das Innere des Reichs nicht die bewußte
Absicht,, die ungeheure Ausdehnung Rußlands als wichtigsten Factor zur Ver-


Grmzbvten. I. I86ki. 43
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[0345] verlängerte, faßte er nach einigem Bedenken und Schwanken ein Herz, trat dem Kaiser naher und sprach Worte des Trostes und der Ermuthigung zu ihm. Eine Verlorne Schlacht sei nicht die letzte Entscheidung des Schicksals, nicht ein Unglück, das nicht wieder gut gemacht werden könne. Natürlich konnte er in dem Augenblick und in seiner Stellung nicht aus etwas Bestimmtes und naheliegendes hinweisen, nicht in bestimmten Maßregeln einen Grund neuer Hoffnung zeigen: seine Worte waren eben nur im Allgemeinen der Aus¬ druck eines männlichen Sinnes, den Unglück nicht beugt. Der Kaiser hörte ihm zu, trocknete endlich seine Thränen und erhob sich; schweigend.umarmte er Toll, stieg dann wieder zu Pferde und ritt weiter nach Hodiegitz." Hier fand sich auch Kutusow ein, in dessen Hauptquartier Toll den Rückmarsch nach Ru߬ land machte. Im folgenden Jahre befand sich Toll im Hauptquartier des General Michelson, der die zum Angriff auf das türkische Reich bestimmte Armee com- mandirte, und besorgte hier mehrmals als stellvertretender die Geschäfte eines Generalquartiermeisters. Da Michelson die Hälfte seiner Armee nach dem Norden abgeben mußte, blieben ihm nur 30,000 Mann, mit denen an einen Zug über den Balkan nicht zu denken war. Es ist bekannt, daß sich seine Unternehmungen aus die Besetzung der Donaufürstenthümer und auf einen Festungskrieg beschränkten. Auch Paskiewitsch lernte damals diesen Kriegs¬ schauplatz kennen: er war ohne bestimmte Aufträge dem Hauptquartier bei¬ gegeben. Toll erwarb für eine persönliche Auszeichnung in einem Gefecht vor Ismail den Annenorden zweiter Classe und wurde gegen Ende des Jahres 1807 zum Obristlieutenant befördert; wichtiger für ihn war, daß der alte Fürst Pro- svrowski, der nach Michelsons im August erfolgten: Tode Oberbefehlshaber der Donauarmee geworden war, sich Kutusow als Gehilfen erbat, der hier wieder mit Toll zusammentraf und von dem Talent desselben eine noch höhere Meinung gewann. Als Prosorowski und Kutusow sich entzweiten und der letztere 1809 vom Heere abberufen wurde, hielt auch Toll seine Stellung im Hauptquartier für unhaltbar und bat um seine Versetzung in die Linie. Er erhielt ein Bataillon zu Shawl in Lithauen, lebte hier militärischen Studien, wurde aber schon im folgenden Jahre wieder zum Quartiermeisterwescn versetzt und 1811 zum Obersten befördert. Das war die Stellung, in welcher sich Toll beim Ausbruch des großen Krieges von 1812 befand. Die Darstellung des Feldzugs der Franzosen in Rußland bis zum Rück¬ zug der Russen hinter WjäSma nimmt ungefähr die Hälfte des vorliegenden Bandes ein und bildet ohne Frage den interessantesten und dankenswerthesten Theil der Arbeit. Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt nachzuweisen, daß für den Rückzug der Russen in das Innere des Reichs nicht die bewußte Absicht,, die ungeheure Ausdehnung Rußlands als wichtigsten Factor zur Ver- Grmzbvten. I. I86ki. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/345>, abgerufen am 23.07.2024.