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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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auf den Jupiter versetzt, nur elfmal so schwer, also nur 1611 Pfund wiegen.
Nun ist aber die Materie des Jupiter beträchtlich weniger dicht und folglich
beträchtlich leichter als die, aus welcher die Erde besteht. Die Schwere beider
Planeten verhält sich wie Si- zu 100 und vermindern wir nach diesem Verhält¬
niß jene 1611 Pfund, so findet sich, daß das Gewicht eines Menschen von
ISO Pfund auf dem Jupiter sich nur bis zu 393 Pfund steigern würde --
ein Unterschied, der auch auf Erden häufig vorkommt. Ein wie wir eingerich°
tetes Wesen könnte folglich ohne Unbequemlichkeit auf dem Jupiter eristiren und
Pflanzen, Bäume und Gebäude gleich denen auf der Erde könnten wachsen
und sicher stehen, so weit die Schwerkraft dabei in Frage kommt.

Wir haben aber, fährt Brewster fort, in der Wegschaffung von Schwie¬
rigkeiten und der Beantwortung von Einwürfen zu viel Rücksicht aus die
beschränkte Auffassungskrast der Leute genommen, welche die einen empfan¬
den und die andern geltend machten. Annehmen, daß die Bewohner der Pla¬
neten nothwendig Menschen oder menschenähnlich sein müssen, heißt eine ge¬
ringe Meinung von jener unendlichen Schöpferkraft hegen, die dem vegetabili¬
schen und animalischen Leben so mannigfaltige Formen und Functionen verlieh.
In den zahlreichen Menschenracen, welche unsern Erdball bewohnen, ist aller¬
dings nicht dieselbe Mannigfaltigkeit ausgeprägt, als in den sterblichen Thieren.
Obschon der edclgebildete Angelsachse einen auffallenden Unterschied zu dem
Neger bildet und der hochgewachsene Patagonier sich erheblich von dem win¬
zigen Eskimo unterscheidet, so sind sie doch in ihrer allgemeinen Gestalt und
Structur und in ihren physischen wie geistigen Kräften sich wesentlich gleich.
Aber wenn wir in die Welt blicken und die unendlich mannigfaltigen Formen
überschauen, die Erde, Meer und Luft bevölkern, wenn wir mit dem Auge
deS Naturforschers vom Elephanten zum. Wurm, vom Leviathan zu den Insu-,
sorien, von dem Adler zum Kolibri wandern, welch eine Schönheit der Form,
welch eine Verschiedenheit der Functionen und welch eine Mannigfaltigkeit von
Zwecken enthüllt sich dann unsern Blicken!

So weit möchte das ganz gut sein. Was aber soll man auf dem Standpunkt
deutscher Wissenschaft dazu sagen, wenn einer der berühmtesten Physiker Englands,
wenn Brewster, der Secretär der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften sich zu
so unphilosophischen Redensarten wie die folgenden hinreißen läßt: "In allen
diesen Daseinsformen hätte Vernunft statt des Instincts gegeben sein und die
dem Menschen feindlichsten, von seinen Gewohnheiten entferntsten Thiere hätten
seine Freunde und Bundesgenossen statt seine Gegner und seine Beute sein
können. Forschen wir tiefer in der Natur und überschauen wir die unendlichen
Regionen des Lebens, welche das Mikroskop erschließt, und ziehen wir in Be¬
tracht, wie viele andre athmende Welten weit unter der Stelle liegen, die es
erreicht, so bekommen wir einen Begriff der Mannigfaltigkeit intellektuellen


auf den Jupiter versetzt, nur elfmal so schwer, also nur 1611 Pfund wiegen.
Nun ist aber die Materie des Jupiter beträchtlich weniger dicht und folglich
beträchtlich leichter als die, aus welcher die Erde besteht. Die Schwere beider
Planeten verhält sich wie Si- zu 100 und vermindern wir nach diesem Verhält¬
niß jene 1611 Pfund, so findet sich, daß das Gewicht eines Menschen von
ISO Pfund auf dem Jupiter sich nur bis zu 393 Pfund steigern würde —
ein Unterschied, der auch auf Erden häufig vorkommt. Ein wie wir eingerich°
tetes Wesen könnte folglich ohne Unbequemlichkeit auf dem Jupiter eristiren und
Pflanzen, Bäume und Gebäude gleich denen auf der Erde könnten wachsen
und sicher stehen, so weit die Schwerkraft dabei in Frage kommt.

Wir haben aber, fährt Brewster fort, in der Wegschaffung von Schwie¬
rigkeiten und der Beantwortung von Einwürfen zu viel Rücksicht aus die
beschränkte Auffassungskrast der Leute genommen, welche die einen empfan¬
den und die andern geltend machten. Annehmen, daß die Bewohner der Pla¬
neten nothwendig Menschen oder menschenähnlich sein müssen, heißt eine ge¬
ringe Meinung von jener unendlichen Schöpferkraft hegen, die dem vegetabili¬
schen und animalischen Leben so mannigfaltige Formen und Functionen verlieh.
In den zahlreichen Menschenracen, welche unsern Erdball bewohnen, ist aller¬
dings nicht dieselbe Mannigfaltigkeit ausgeprägt, als in den sterblichen Thieren.
Obschon der edclgebildete Angelsachse einen auffallenden Unterschied zu dem
Neger bildet und der hochgewachsene Patagonier sich erheblich von dem win¬
zigen Eskimo unterscheidet, so sind sie doch in ihrer allgemeinen Gestalt und
Structur und in ihren physischen wie geistigen Kräften sich wesentlich gleich.
Aber wenn wir in die Welt blicken und die unendlich mannigfaltigen Formen
überschauen, die Erde, Meer und Luft bevölkern, wenn wir mit dem Auge
deS Naturforschers vom Elephanten zum. Wurm, vom Leviathan zu den Insu-,
sorien, von dem Adler zum Kolibri wandern, welch eine Schönheit der Form,
welch eine Verschiedenheit der Functionen und welch eine Mannigfaltigkeit von
Zwecken enthüllt sich dann unsern Blicken!

So weit möchte das ganz gut sein. Was aber soll man auf dem Standpunkt
deutscher Wissenschaft dazu sagen, wenn einer der berühmtesten Physiker Englands,
wenn Brewster, der Secretär der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften sich zu
so unphilosophischen Redensarten wie die folgenden hinreißen läßt: „In allen
diesen Daseinsformen hätte Vernunft statt des Instincts gegeben sein und die
dem Menschen feindlichsten, von seinen Gewohnheiten entferntsten Thiere hätten
seine Freunde und Bundesgenossen statt seine Gegner und seine Beute sein
können. Forschen wir tiefer in der Natur und überschauen wir die unendlichen
Regionen des Lebens, welche das Mikroskop erschließt, und ziehen wir in Be¬
tracht, wie viele andre athmende Welten weit unter der Stelle liegen, die es
erreicht, so bekommen wir einen Begriff der Mannigfaltigkeit intellektuellen


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[0316] auf den Jupiter versetzt, nur elfmal so schwer, also nur 1611 Pfund wiegen. Nun ist aber die Materie des Jupiter beträchtlich weniger dicht und folglich beträchtlich leichter als die, aus welcher die Erde besteht. Die Schwere beider Planeten verhält sich wie Si- zu 100 und vermindern wir nach diesem Verhält¬ niß jene 1611 Pfund, so findet sich, daß das Gewicht eines Menschen von ISO Pfund auf dem Jupiter sich nur bis zu 393 Pfund steigern würde — ein Unterschied, der auch auf Erden häufig vorkommt. Ein wie wir eingerich° tetes Wesen könnte folglich ohne Unbequemlichkeit auf dem Jupiter eristiren und Pflanzen, Bäume und Gebäude gleich denen auf der Erde könnten wachsen und sicher stehen, so weit die Schwerkraft dabei in Frage kommt. Wir haben aber, fährt Brewster fort, in der Wegschaffung von Schwie¬ rigkeiten und der Beantwortung von Einwürfen zu viel Rücksicht aus die beschränkte Auffassungskrast der Leute genommen, welche die einen empfan¬ den und die andern geltend machten. Annehmen, daß die Bewohner der Pla¬ neten nothwendig Menschen oder menschenähnlich sein müssen, heißt eine ge¬ ringe Meinung von jener unendlichen Schöpferkraft hegen, die dem vegetabili¬ schen und animalischen Leben so mannigfaltige Formen und Functionen verlieh. In den zahlreichen Menschenracen, welche unsern Erdball bewohnen, ist aller¬ dings nicht dieselbe Mannigfaltigkeit ausgeprägt, als in den sterblichen Thieren. Obschon der edclgebildete Angelsachse einen auffallenden Unterschied zu dem Neger bildet und der hochgewachsene Patagonier sich erheblich von dem win¬ zigen Eskimo unterscheidet, so sind sie doch in ihrer allgemeinen Gestalt und Structur und in ihren physischen wie geistigen Kräften sich wesentlich gleich. Aber wenn wir in die Welt blicken und die unendlich mannigfaltigen Formen überschauen, die Erde, Meer und Luft bevölkern, wenn wir mit dem Auge deS Naturforschers vom Elephanten zum. Wurm, vom Leviathan zu den Insu-, sorien, von dem Adler zum Kolibri wandern, welch eine Schönheit der Form, welch eine Verschiedenheit der Functionen und welch eine Mannigfaltigkeit von Zwecken enthüllt sich dann unsern Blicken! So weit möchte das ganz gut sein. Was aber soll man auf dem Standpunkt deutscher Wissenschaft dazu sagen, wenn einer der berühmtesten Physiker Englands, wenn Brewster, der Secretär der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften sich zu so unphilosophischen Redensarten wie die folgenden hinreißen läßt: „In allen diesen Daseinsformen hätte Vernunft statt des Instincts gegeben sein und die dem Menschen feindlichsten, von seinen Gewohnheiten entferntsten Thiere hätten seine Freunde und Bundesgenossen statt seine Gegner und seine Beute sein können. Forschen wir tiefer in der Natur und überschauen wir die unendlichen Regionen des Lebens, welche das Mikroskop erschließt, und ziehen wir in Be¬ tracht, wie viele andre athmende Welten weit unter der Stelle liegen, die es erreicht, so bekommen wir einen Begriff der Mannigfaltigkeit intellektuellen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/316>, abgerufen am 23.07.2024.