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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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sich die Physiognomie auf eine wunderliche Weise, und Frau Hulda, die alt¬
deutsche Göttin, die, durch den strengen christlichen Gott in eine "Teufelinne"
verwandelt, im Hörselberg die frommen'Christen zu sündhafter Lust verlockt,
nahm in der Phantasie der Dichter, die den Virgil kannten, die Züge der
alten Venus an. Der Ritter, der in dieses Zaubernetz verstrickt wurde, verfiel
der Hölle nicht blos wegen seines liederlichen Lebenswandels (denn in dieser
Beziehung waren die Minnesänger nicht so difficil, als sie uns Wagner dar¬
stellen will), sondern weil sie Götzendienst trieben. Das Volkslied, in welchem
uns die Sage überliefert ist, hat eine sehr liebenswürdige und im Grunde
ketzerische Wendung hinzugefügt, es ist vermessen von dem Papst, mit souve¬
räner Machtvollkommenheit über die Gnade Gottes zu verfügen, denn diese
ist unermeßlich. Der Papst wird durch ein Wunder beschämt, der dürre Stab
in seiner Hand fängt zu grünen an, dem armen Tannhäuser ist freilich nicht
mehr zu helfen, er ist gefangen in jenem Zauberkreise, zu dem kein sühnender
Gott den Weg findet, allein der Priesterschaft ist eine ernsthafte Warnung
gegeben.

So wie sie im Volksliede vorlag, konnte Wagner die Sage nicht brauchen;
einmal verstößt der traurige Schluß gegen alles Gefühl, und dann fehlt der
Handlung die für die Bühne nöthige Breite. Die letztere hat Wagner da¬
durch zu ergänzen gesucht, daß er die Sage vom Wartburgkriege in die Sage
vom Venusberg verflocht. Ich möchte dies nicht so unbedingt tadeln, wie es
der vorige Referent gethan hat, denn eine gewisse Verwandtschaft ist in der
That in beiden Geschichten vorhanden, und es ist für das Verständniß der
Handlung gar nicht ungeschickt, daß Tannhäuser, dessen Schuld und Neue sonst
nur auf dem übersinnlichen Gebiet spielt, auch einmal im gewöhnlichen Leben
zeigen muß, daß. man sich nicht ungestraft im Venusberg herumtreibt. Er hat
zu viel von dem süßen Gift gekostet, sein Blut ist noch unrein, und indem
ihn die alte sündhafte Leidenschaft plötzlich wieder überfällt, muß er erkennen,
daß man seine Vergangenheit keineswegs durch einfaches Jgnoriren beseitigen
kann. Der Entschluß, die Bußfahrt nach Rom anzutreten, wird durch diesen
scheinbaren Umweg geschärft und gründlicher motivirt.

Desto weniger kann ich mich mit dem Schlüsse einverstanden erklären, den
Wagner seiner Fabel gegeben hat. Und hier zeigt sich der Grundfehler seiner
ganzen ideellen Tendenz. Wagner legt seiner Behandlung einen Gegensatz zu
Grunde, der weder der mittelalterlichen Dichtung, noch dem modernen Bewußt¬
sein angehört, nämlich den Gegensatz zwischen der Liebe, die im Genuß schwelgt,
und der Liebe, die vom Anschauen lebt; in diesem Gegensatz bewegt sich sein
Sängerkrieg; er beherrscht die Ouvertüre, und macht sich ebenfalls im Schluß
geltend, wo die eine Abstraktion die andere todtschlägt. Nun wird nicht blos
in unsern Tagen jene entsagende phantastische Liebe eines Mönchs oder eines


sich die Physiognomie auf eine wunderliche Weise, und Frau Hulda, die alt¬
deutsche Göttin, die, durch den strengen christlichen Gott in eine „Teufelinne"
verwandelt, im Hörselberg die frommen'Christen zu sündhafter Lust verlockt,
nahm in der Phantasie der Dichter, die den Virgil kannten, die Züge der
alten Venus an. Der Ritter, der in dieses Zaubernetz verstrickt wurde, verfiel
der Hölle nicht blos wegen seines liederlichen Lebenswandels (denn in dieser
Beziehung waren die Minnesänger nicht so difficil, als sie uns Wagner dar¬
stellen will), sondern weil sie Götzendienst trieben. Das Volkslied, in welchem
uns die Sage überliefert ist, hat eine sehr liebenswürdige und im Grunde
ketzerische Wendung hinzugefügt, es ist vermessen von dem Papst, mit souve¬
räner Machtvollkommenheit über die Gnade Gottes zu verfügen, denn diese
ist unermeßlich. Der Papst wird durch ein Wunder beschämt, der dürre Stab
in seiner Hand fängt zu grünen an, dem armen Tannhäuser ist freilich nicht
mehr zu helfen, er ist gefangen in jenem Zauberkreise, zu dem kein sühnender
Gott den Weg findet, allein der Priesterschaft ist eine ernsthafte Warnung
gegeben.

So wie sie im Volksliede vorlag, konnte Wagner die Sage nicht brauchen;
einmal verstößt der traurige Schluß gegen alles Gefühl, und dann fehlt der
Handlung die für die Bühne nöthige Breite. Die letztere hat Wagner da¬
durch zu ergänzen gesucht, daß er die Sage vom Wartburgkriege in die Sage
vom Venusberg verflocht. Ich möchte dies nicht so unbedingt tadeln, wie es
der vorige Referent gethan hat, denn eine gewisse Verwandtschaft ist in der
That in beiden Geschichten vorhanden, und es ist für das Verständniß der
Handlung gar nicht ungeschickt, daß Tannhäuser, dessen Schuld und Neue sonst
nur auf dem übersinnlichen Gebiet spielt, auch einmal im gewöhnlichen Leben
zeigen muß, daß. man sich nicht ungestraft im Venusberg herumtreibt. Er hat
zu viel von dem süßen Gift gekostet, sein Blut ist noch unrein, und indem
ihn die alte sündhafte Leidenschaft plötzlich wieder überfällt, muß er erkennen,
daß man seine Vergangenheit keineswegs durch einfaches Jgnoriren beseitigen
kann. Der Entschluß, die Bußfahrt nach Rom anzutreten, wird durch diesen
scheinbaren Umweg geschärft und gründlicher motivirt.

Desto weniger kann ich mich mit dem Schlüsse einverstanden erklären, den
Wagner seiner Fabel gegeben hat. Und hier zeigt sich der Grundfehler seiner
ganzen ideellen Tendenz. Wagner legt seiner Behandlung einen Gegensatz zu
Grunde, der weder der mittelalterlichen Dichtung, noch dem modernen Bewußt¬
sein angehört, nämlich den Gegensatz zwischen der Liebe, die im Genuß schwelgt,
und der Liebe, die vom Anschauen lebt; in diesem Gegensatz bewegt sich sein
Sängerkrieg; er beherrscht die Ouvertüre, und macht sich ebenfalls im Schluß
geltend, wo die eine Abstraktion die andere todtschlägt. Nun wird nicht blos
in unsern Tagen jene entsagende phantastische Liebe eines Mönchs oder eines


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[0192] sich die Physiognomie auf eine wunderliche Weise, und Frau Hulda, die alt¬ deutsche Göttin, die, durch den strengen christlichen Gott in eine „Teufelinne" verwandelt, im Hörselberg die frommen'Christen zu sündhafter Lust verlockt, nahm in der Phantasie der Dichter, die den Virgil kannten, die Züge der alten Venus an. Der Ritter, der in dieses Zaubernetz verstrickt wurde, verfiel der Hölle nicht blos wegen seines liederlichen Lebenswandels (denn in dieser Beziehung waren die Minnesänger nicht so difficil, als sie uns Wagner dar¬ stellen will), sondern weil sie Götzendienst trieben. Das Volkslied, in welchem uns die Sage überliefert ist, hat eine sehr liebenswürdige und im Grunde ketzerische Wendung hinzugefügt, es ist vermessen von dem Papst, mit souve¬ räner Machtvollkommenheit über die Gnade Gottes zu verfügen, denn diese ist unermeßlich. Der Papst wird durch ein Wunder beschämt, der dürre Stab in seiner Hand fängt zu grünen an, dem armen Tannhäuser ist freilich nicht mehr zu helfen, er ist gefangen in jenem Zauberkreise, zu dem kein sühnender Gott den Weg findet, allein der Priesterschaft ist eine ernsthafte Warnung gegeben. So wie sie im Volksliede vorlag, konnte Wagner die Sage nicht brauchen; einmal verstößt der traurige Schluß gegen alles Gefühl, und dann fehlt der Handlung die für die Bühne nöthige Breite. Die letztere hat Wagner da¬ durch zu ergänzen gesucht, daß er die Sage vom Wartburgkriege in die Sage vom Venusberg verflocht. Ich möchte dies nicht so unbedingt tadeln, wie es der vorige Referent gethan hat, denn eine gewisse Verwandtschaft ist in der That in beiden Geschichten vorhanden, und es ist für das Verständniß der Handlung gar nicht ungeschickt, daß Tannhäuser, dessen Schuld und Neue sonst nur auf dem übersinnlichen Gebiet spielt, auch einmal im gewöhnlichen Leben zeigen muß, daß. man sich nicht ungestraft im Venusberg herumtreibt. Er hat zu viel von dem süßen Gift gekostet, sein Blut ist noch unrein, und indem ihn die alte sündhafte Leidenschaft plötzlich wieder überfällt, muß er erkennen, daß man seine Vergangenheit keineswegs durch einfaches Jgnoriren beseitigen kann. Der Entschluß, die Bußfahrt nach Rom anzutreten, wird durch diesen scheinbaren Umweg geschärft und gründlicher motivirt. Desto weniger kann ich mich mit dem Schlüsse einverstanden erklären, den Wagner seiner Fabel gegeben hat. Und hier zeigt sich der Grundfehler seiner ganzen ideellen Tendenz. Wagner legt seiner Behandlung einen Gegensatz zu Grunde, der weder der mittelalterlichen Dichtung, noch dem modernen Bewußt¬ sein angehört, nämlich den Gegensatz zwischen der Liebe, die im Genuß schwelgt, und der Liebe, die vom Anschauen lebt; in diesem Gegensatz bewegt sich sein Sängerkrieg; er beherrscht die Ouvertüre, und macht sich ebenfalls im Schluß geltend, wo die eine Abstraktion die andere todtschlägt. Nun wird nicht blos in unsern Tagen jene entsagende phantastische Liebe eines Mönchs oder eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/192>, abgerufen am 23.07.2024.