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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Ritter Toggenburg absurd erscheinen, sondern die Minnesänger des 12. und
4 3. Jahrhunderts würden in ein noch größeres Erstaunen darüber gerathen.
Wagner macht nicht blos aus seinen Dichtern eingefleischte Platoniker, sondern
auch die vornehmen Herrn,, die das Publicum des Wartburgkrieges bilden,
rufen regelmäßig der Theorie der entsagenden Liebe ihren Beifall. Im
Mittelalter war es anVers. Die Minnesänger waren keine Mönche; sie wu߬
ten recht gut, was Liebe heißt, und schilderten es recht lebhaft, recht sinnlich,
ja sie hielten sich mit den Regungen ihres Herzens keineswegs in den Schran¬
ken strenger Sittlichkeit; ihre Neigungen waren vorwiegend ehebrecherischer
Natur. Heinrich von Ofterdingen wurde geächtet nicht wegen seiner unkirchlichen
Liebe, sondern weil er sich mit dem Teufel eingelassen hatte und dieser Teufel
doch nicht geschickt genug war, ihm die nöthige Kunst beizubringen. -- Diese
unhistorische Auffassung würde man bei einem Operndichtcr nicht rügen, wenn
sie nicht auch die Wirkungen seiner Kunst beeinträchtigte; die Musik erhält
dadurch einen tristen, weinerlichen Charakter, der im Anfang die Nerven aus
eine unangenehme Weise reizt, gegen den Schluß hin aber eine ermüdende
und einschläfernde Wirkung ausübt, um so mehr, da die musikalische Erfindung
Wagners im Ganzen sehr arm ist. Bei geschickter Anwendung der musikali¬
schen Formen hätte sich diese Armuth zum Theil verstecken lassen, bei der ein¬
seitigen Declamation dagegen und bei dem Vorherrschen der abstracten Gegen¬
sätze tritt sie zuweilen auf eine recht grelle Weise hervor. Ich will auf die
Ouvertüre wenigstens hindeuten, wenn ich auch die rein musikalische Frage bei
Seite lasse. Zunächst muß dabei das sehr verschiedene Urtheil in Erstaunen
setzen. Ich hörte einen Verehrer Wagners sagen, er wünsche, daß diese Ouver¬
türe ihn durch sein ganzes Leben begleite und ihm noch in seiner Sterbestunde
vorgespielt würde, um ihn auf ihren Schwingen zum Himmel zu tragen. Ein
sehr gebildeter Musiker dagegen fühlte sich zu der respectwidrigen Aeußerung
veranlaßt, die Ouvertüre klänge , als wenn man sieben Katzen mit den
Schwänzen aneinander bande, und sie abwechselnd stachelte. Daß nun ein so
verschiedenartiges Urtheil möglich ist, erklärt sich aus dem sehr einfachen ab¬
stracten Bau dieses Musikstücks, welches dem Laien seine Absicht sehr deutlich
hervortreten läßt, und eine unmittelbar physische Wirkung hervorbringt, den
Musiker dagegen verstimmt. Die Ouvertüre besteht aus den beiden Motiven
des christlichen Pilgerliedes und des Venusberges, die znerst hintereinander
auftreten, und sich dann bekämpfen. Da nun aber diese beiden Motive nicht
thematisch verarbeitet, sondern nur in einfachen Wiederholungen mit immer
neuen instrumentalen Klangwirkungen dem Gedächtniß eingeschärft werden, so
wird aus dem Kampfe ein unorganisches Getümmel. Das Pilgerlied tönt
eintönig weiter, der Venusberg löst sich in eine Reihe widerlicher, chromatischer
Violinfiguren auf, bis endlich das Christenthum im strengsten Sinne des


Grenzlwte". I. -I8L". 24

Ritter Toggenburg absurd erscheinen, sondern die Minnesänger des 12. und
4 3. Jahrhunderts würden in ein noch größeres Erstaunen darüber gerathen.
Wagner macht nicht blos aus seinen Dichtern eingefleischte Platoniker, sondern
auch die vornehmen Herrn,, die das Publicum des Wartburgkrieges bilden,
rufen regelmäßig der Theorie der entsagenden Liebe ihren Beifall. Im
Mittelalter war es anVers. Die Minnesänger waren keine Mönche; sie wu߬
ten recht gut, was Liebe heißt, und schilderten es recht lebhaft, recht sinnlich,
ja sie hielten sich mit den Regungen ihres Herzens keineswegs in den Schran¬
ken strenger Sittlichkeit; ihre Neigungen waren vorwiegend ehebrecherischer
Natur. Heinrich von Ofterdingen wurde geächtet nicht wegen seiner unkirchlichen
Liebe, sondern weil er sich mit dem Teufel eingelassen hatte und dieser Teufel
doch nicht geschickt genug war, ihm die nöthige Kunst beizubringen. — Diese
unhistorische Auffassung würde man bei einem Operndichtcr nicht rügen, wenn
sie nicht auch die Wirkungen seiner Kunst beeinträchtigte; die Musik erhält
dadurch einen tristen, weinerlichen Charakter, der im Anfang die Nerven aus
eine unangenehme Weise reizt, gegen den Schluß hin aber eine ermüdende
und einschläfernde Wirkung ausübt, um so mehr, da die musikalische Erfindung
Wagners im Ganzen sehr arm ist. Bei geschickter Anwendung der musikali¬
schen Formen hätte sich diese Armuth zum Theil verstecken lassen, bei der ein¬
seitigen Declamation dagegen und bei dem Vorherrschen der abstracten Gegen¬
sätze tritt sie zuweilen auf eine recht grelle Weise hervor. Ich will auf die
Ouvertüre wenigstens hindeuten, wenn ich auch die rein musikalische Frage bei
Seite lasse. Zunächst muß dabei das sehr verschiedene Urtheil in Erstaunen
setzen. Ich hörte einen Verehrer Wagners sagen, er wünsche, daß diese Ouver¬
türe ihn durch sein ganzes Leben begleite und ihm noch in seiner Sterbestunde
vorgespielt würde, um ihn auf ihren Schwingen zum Himmel zu tragen. Ein
sehr gebildeter Musiker dagegen fühlte sich zu der respectwidrigen Aeußerung
veranlaßt, die Ouvertüre klänge , als wenn man sieben Katzen mit den
Schwänzen aneinander bande, und sie abwechselnd stachelte. Daß nun ein so
verschiedenartiges Urtheil möglich ist, erklärt sich aus dem sehr einfachen ab¬
stracten Bau dieses Musikstücks, welches dem Laien seine Absicht sehr deutlich
hervortreten läßt, und eine unmittelbar physische Wirkung hervorbringt, den
Musiker dagegen verstimmt. Die Ouvertüre besteht aus den beiden Motiven
des christlichen Pilgerliedes und des Venusberges, die znerst hintereinander
auftreten, und sich dann bekämpfen. Da nun aber diese beiden Motive nicht
thematisch verarbeitet, sondern nur in einfachen Wiederholungen mit immer
neuen instrumentalen Klangwirkungen dem Gedächtniß eingeschärft werden, so
wird aus dem Kampfe ein unorganisches Getümmel. Das Pilgerlied tönt
eintönig weiter, der Venusberg löst sich in eine Reihe widerlicher, chromatischer
Violinfiguren auf, bis endlich das Christenthum im strengsten Sinne des


Grenzlwte». I. -I8L«. 24
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[0193] Ritter Toggenburg absurd erscheinen, sondern die Minnesänger des 12. und 4 3. Jahrhunderts würden in ein noch größeres Erstaunen darüber gerathen. Wagner macht nicht blos aus seinen Dichtern eingefleischte Platoniker, sondern auch die vornehmen Herrn,, die das Publicum des Wartburgkrieges bilden, rufen regelmäßig der Theorie der entsagenden Liebe ihren Beifall. Im Mittelalter war es anVers. Die Minnesänger waren keine Mönche; sie wu߬ ten recht gut, was Liebe heißt, und schilderten es recht lebhaft, recht sinnlich, ja sie hielten sich mit den Regungen ihres Herzens keineswegs in den Schran¬ ken strenger Sittlichkeit; ihre Neigungen waren vorwiegend ehebrecherischer Natur. Heinrich von Ofterdingen wurde geächtet nicht wegen seiner unkirchlichen Liebe, sondern weil er sich mit dem Teufel eingelassen hatte und dieser Teufel doch nicht geschickt genug war, ihm die nöthige Kunst beizubringen. — Diese unhistorische Auffassung würde man bei einem Operndichtcr nicht rügen, wenn sie nicht auch die Wirkungen seiner Kunst beeinträchtigte; die Musik erhält dadurch einen tristen, weinerlichen Charakter, der im Anfang die Nerven aus eine unangenehme Weise reizt, gegen den Schluß hin aber eine ermüdende und einschläfernde Wirkung ausübt, um so mehr, da die musikalische Erfindung Wagners im Ganzen sehr arm ist. Bei geschickter Anwendung der musikali¬ schen Formen hätte sich diese Armuth zum Theil verstecken lassen, bei der ein¬ seitigen Declamation dagegen und bei dem Vorherrschen der abstracten Gegen¬ sätze tritt sie zuweilen auf eine recht grelle Weise hervor. Ich will auf die Ouvertüre wenigstens hindeuten, wenn ich auch die rein musikalische Frage bei Seite lasse. Zunächst muß dabei das sehr verschiedene Urtheil in Erstaunen setzen. Ich hörte einen Verehrer Wagners sagen, er wünsche, daß diese Ouver¬ türe ihn durch sein ganzes Leben begleite und ihm noch in seiner Sterbestunde vorgespielt würde, um ihn auf ihren Schwingen zum Himmel zu tragen. Ein sehr gebildeter Musiker dagegen fühlte sich zu der respectwidrigen Aeußerung veranlaßt, die Ouvertüre klänge , als wenn man sieben Katzen mit den Schwänzen aneinander bande, und sie abwechselnd stachelte. Daß nun ein so verschiedenartiges Urtheil möglich ist, erklärt sich aus dem sehr einfachen ab¬ stracten Bau dieses Musikstücks, welches dem Laien seine Absicht sehr deutlich hervortreten läßt, und eine unmittelbar physische Wirkung hervorbringt, den Musiker dagegen verstimmt. Die Ouvertüre besteht aus den beiden Motiven des christlichen Pilgerliedes und des Venusberges, die znerst hintereinander auftreten, und sich dann bekämpfen. Da nun aber diese beiden Motive nicht thematisch verarbeitet, sondern nur in einfachen Wiederholungen mit immer neuen instrumentalen Klangwirkungen dem Gedächtniß eingeschärft werden, so wird aus dem Kampfe ein unorganisches Getümmel. Das Pilgerlied tönt eintönig weiter, der Venusberg löst sich in eine Reihe widerlicher, chromatischer Violinfiguren auf, bis endlich das Christenthum im strengsten Sinne des Grenzlwte». I. -I8L«. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/193>, abgerufen am 23.07.2024.