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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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anführen, die einiges Interesse erregt haben: Meyerbeers Prophet, Schumanns
Geuoveva und Wagners Tannhäuser und Lohengrin, und von diesen dürfte
wol in Bezug auf die äußere Anerkennung dem Tannhäuser die erste Stelle
zukommen.

Die eigentlich musikalische Seite, die in dem vorher erwähnten Aufsatze
(1853, 9. Heft) erschöpfend behandelt ist, will ich hier ganz bei Seite lassen,
und mich auf das Dramatische beschränken, worauf Wagner sein Hauptgewicht
legt. Daß der Eomponist in Beziehung auf künstlerische Einheit, auf Treue
und Lebendigkeit des Ausdrucks mehr leisten kann, als bisher in den meisten
Fällen geleistet worden ist, unterliegt keinem Zweifel, und Wagners Absicht ist
durchaus zu billigen; nur hat er sowol in der Feststellung des ideellen Motivs
wie in der Wahl der technischen Mittel so viele Fehlgriffe gemacht, daß es
augenscheinlich ist, nicht die unbewußt schaffende Naturkraft, sondern die Re¬
flexion sei seine Muse gewesen.

Die Wahl eines phantastischen Gegenstandes für ein Drama würden wir
unbedingt verwerfen; für die Oper dagegen nicht unbedingt. Durch Töne kann
die phantastische übersinnliche Welt uns bis zu einem gewissen Grade verständ¬
lich gemacht werden, obgleich wir in den bisherigen Opern die durchgehende
Bemerkung gemacht haben, daß die rein menschlichen Motive und Stimmungen,
die Naturlaute des Herzens und des Gemüths sich auch musikalisch viel besser
darstellen lassen, als jener Spuk des Jenseits, zu dessen Verständniß die Phan¬
tasie sich erst künstliche Wege bahnen muß. In Beethovens Fidelio ist nichts
Uebersinnliches, und doch wird man sich kaum vie Möglichkeit denken können,
eine der darin vorgestellten Gemüthsbewegungen musikalisch zu überbieten.
Indeß das Eine schließt das Andere nicht aus. Wenn wir auch wünschen,
daß in der Oper wie im Drama die natürlichen Motive überwiegen, so können
wir doch der Darstellung des Uebernatürlichen die Berechtigung nicht versa¬
gen, nur müssen wir die Bedingung stellen, daß der Künstler Kraft genug
besitzt, uns das Uebernatürliche wieder natürlich zu machen. Bei der bloßen
Ahnung, dem Schauer, dem Grauen und was sonst zur Nachtseite der Natur
gehört, darf der Künstler nicht stehen bleiben, er muß uns diese unberechenbaren
Motive wieder in bestimmte verständliche Empfindungen auflösen. Und das
ist Wagner nicht gelungen, zum Theil, weil er die alte nationale Sage in
einer Weise idealisirt hat, die ihrer Natur widerspricht.

Die Sage vom Tannhäuser ist ein Naturprodukt des Kampfes zwischen
christlicher und heidnischer Bildung; die christlichen Apostel suchten die allen
Naturgötter deS deutschen Volkes zu vernichten, und da sie dieselben nicht
einfach aus der Phantasie wegwischen konnten, so'verwandelten sie sie in böse
Geister. Als später durch den erweiterten Völkerverkehr auch die römische My¬
thologie in den Kreis der deutschen Vorstellung eingeführt wurde, vermischte


anführen, die einiges Interesse erregt haben: Meyerbeers Prophet, Schumanns
Geuoveva und Wagners Tannhäuser und Lohengrin, und von diesen dürfte
wol in Bezug auf die äußere Anerkennung dem Tannhäuser die erste Stelle
zukommen.

Die eigentlich musikalische Seite, die in dem vorher erwähnten Aufsatze
(1853, 9. Heft) erschöpfend behandelt ist, will ich hier ganz bei Seite lassen,
und mich auf das Dramatische beschränken, worauf Wagner sein Hauptgewicht
legt. Daß der Eomponist in Beziehung auf künstlerische Einheit, auf Treue
und Lebendigkeit des Ausdrucks mehr leisten kann, als bisher in den meisten
Fällen geleistet worden ist, unterliegt keinem Zweifel, und Wagners Absicht ist
durchaus zu billigen; nur hat er sowol in der Feststellung des ideellen Motivs
wie in der Wahl der technischen Mittel so viele Fehlgriffe gemacht, daß es
augenscheinlich ist, nicht die unbewußt schaffende Naturkraft, sondern die Re¬
flexion sei seine Muse gewesen.

Die Wahl eines phantastischen Gegenstandes für ein Drama würden wir
unbedingt verwerfen; für die Oper dagegen nicht unbedingt. Durch Töne kann
die phantastische übersinnliche Welt uns bis zu einem gewissen Grade verständ¬
lich gemacht werden, obgleich wir in den bisherigen Opern die durchgehende
Bemerkung gemacht haben, daß die rein menschlichen Motive und Stimmungen,
die Naturlaute des Herzens und des Gemüths sich auch musikalisch viel besser
darstellen lassen, als jener Spuk des Jenseits, zu dessen Verständniß die Phan¬
tasie sich erst künstliche Wege bahnen muß. In Beethovens Fidelio ist nichts
Uebersinnliches, und doch wird man sich kaum vie Möglichkeit denken können,
eine der darin vorgestellten Gemüthsbewegungen musikalisch zu überbieten.
Indeß das Eine schließt das Andere nicht aus. Wenn wir auch wünschen,
daß in der Oper wie im Drama die natürlichen Motive überwiegen, so können
wir doch der Darstellung des Uebernatürlichen die Berechtigung nicht versa¬
gen, nur müssen wir die Bedingung stellen, daß der Künstler Kraft genug
besitzt, uns das Uebernatürliche wieder natürlich zu machen. Bei der bloßen
Ahnung, dem Schauer, dem Grauen und was sonst zur Nachtseite der Natur
gehört, darf der Künstler nicht stehen bleiben, er muß uns diese unberechenbaren
Motive wieder in bestimmte verständliche Empfindungen auflösen. Und das
ist Wagner nicht gelungen, zum Theil, weil er die alte nationale Sage in
einer Weise idealisirt hat, die ihrer Natur widerspricht.

Die Sage vom Tannhäuser ist ein Naturprodukt des Kampfes zwischen
christlicher und heidnischer Bildung; die christlichen Apostel suchten die allen
Naturgötter deS deutschen Volkes zu vernichten, und da sie dieselben nicht
einfach aus der Phantasie wegwischen konnten, so'verwandelten sie sie in böse
Geister. Als später durch den erweiterten Völkerverkehr auch die römische My¬
thologie in den Kreis der deutschen Vorstellung eingeführt wurde, vermischte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/191>, abgerufen am 23.07.2024.