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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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demselben findet eine eigenthümliche und sehr charakteristische Volkslustbarkeit
statr, bei der man im Allgemeinen folgendermaßen verfährt:

Man sammelt im Dorfe von Haus zu Hans Holz und Stroh, baut da¬
von auf einer Anhöhe einen Scheiterhaufen, steckt in die Mitte desselben eine
mit Lumpen behangene Strohpuppe, die "eine Here" vorstellen soll, und
zündet mit einbrechender Dunkelheit den Holzstoß an. Während er und die "Here"
(die gleich dem ausgetragenen und ersäuften Tode und gleich der begrabenen
Fastnacht beinahe unzweifelhaft den Winterriesen der Heidenzeit in sich birgt)
miteinander verbrennen, singen die Anwesenden ein geistliches Lied. So weit
ist die Ceremonie völlig dieselbe, die wir in den norddeutschen Osterfeuern und
in dem Baakenbrennen vor uns haben, welches letztere in DilMarschen in der
Walpurgisnacht stattfindet. Dann aber beginnt die Hauptfeierlichkeit, das
sogenannte "Schcibenschlagen". Man macht sich dünne runde Holzscheiben
von der Größe eines Handtellers, bohrt in die Mitte ein Loch, steckt sie an
zugespitzte Stöcke, hält sie an diesen in das Feuer und' schwingt sie, sobald sie
brennen, etliche Male, um sie schließlich mit aller Kraft emporzuschleudern.
Dabei bedient man sich einer länglichen Scheibenbank mi t drei Füßen, die man
dergestalt in den Boden treibt, daß der Sitz der Bank eine schräge Fläche bildet.
Um die Schwungkraft zu steigern und die Scheibe möglichst hoch zu treiben,
streift man mit dem Stocke über diese schiefe Fläche, sobald die Scheibe ab¬
springen soll. Während des Schwingens sagt man das erste Mal folgenden
Spruch:


"Scheible aus und ein!
Wem soll die Scheibe sein?
Die Scheibe soll der heiligen Dreifaltigkeit sein."

So in Tettnang und im Kloster Weingarten. Die zweite Scheibe verehrt
man gern der Landesregierung, und die dritte wird entweder zu Ehren des
Pfarrers, des Schultheißen, des Schätzchens oder irgendeines guten Freundes
geschlagen. In Altshausen lautet der Spruch:


"Scheib auf, Scheit ab
Die Scheib geht krumm und grad,
Die Scheib geht rechts und links.
Geht aus und ein,
Geht dem (oder der) N. N. zum Fenster hinein."

In Friedingen an der Donau hält man das Schcibenschlagen stets ans
einer Anhöhe, die das "Härtle" -- .der kleine Hain -- heißt. Jetzt herrscht
die Sitte des Scheibenschlagens noch in der Umgebung von Altdorf, Wolper-
schwende, Blitzreute, Baienfurt, Frohnhofen, ferner im Wiesenthal, bei Ravens-
burg, Tettnang, Leutkirch, Wangen und Waldsee. Die Scheiben trägt man
an einer Schnur und hat immer auch mehre Schleuderstöcke bereit. In der
Nachbarschaft ont Wangen schießt man auch während des Scheibenschleuderns.


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demselben findet eine eigenthümliche und sehr charakteristische Volkslustbarkeit
statr, bei der man im Allgemeinen folgendermaßen verfährt:

Man sammelt im Dorfe von Haus zu Hans Holz und Stroh, baut da¬
von auf einer Anhöhe einen Scheiterhaufen, steckt in die Mitte desselben eine
mit Lumpen behangene Strohpuppe, die „eine Here" vorstellen soll, und
zündet mit einbrechender Dunkelheit den Holzstoß an. Während er und die „Here"
(die gleich dem ausgetragenen und ersäuften Tode und gleich der begrabenen
Fastnacht beinahe unzweifelhaft den Winterriesen der Heidenzeit in sich birgt)
miteinander verbrennen, singen die Anwesenden ein geistliches Lied. So weit
ist die Ceremonie völlig dieselbe, die wir in den norddeutschen Osterfeuern und
in dem Baakenbrennen vor uns haben, welches letztere in DilMarschen in der
Walpurgisnacht stattfindet. Dann aber beginnt die Hauptfeierlichkeit, das
sogenannte „Schcibenschlagen". Man macht sich dünne runde Holzscheiben
von der Größe eines Handtellers, bohrt in die Mitte ein Loch, steckt sie an
zugespitzte Stöcke, hält sie an diesen in das Feuer und' schwingt sie, sobald sie
brennen, etliche Male, um sie schließlich mit aller Kraft emporzuschleudern.
Dabei bedient man sich einer länglichen Scheibenbank mi t drei Füßen, die man
dergestalt in den Boden treibt, daß der Sitz der Bank eine schräge Fläche bildet.
Um die Schwungkraft zu steigern und die Scheibe möglichst hoch zu treiben,
streift man mit dem Stocke über diese schiefe Fläche, sobald die Scheibe ab¬
springen soll. Während des Schwingens sagt man das erste Mal folgenden
Spruch:


„Scheible aus und ein!
Wem soll die Scheibe sein?
Die Scheibe soll der heiligen Dreifaltigkeit sein."

So in Tettnang und im Kloster Weingarten. Die zweite Scheibe verehrt
man gern der Landesregierung, und die dritte wird entweder zu Ehren des
Pfarrers, des Schultheißen, des Schätzchens oder irgendeines guten Freundes
geschlagen. In Altshausen lautet der Spruch:


„Scheib auf, Scheit ab
Die Scheib geht krumm und grad,
Die Scheib geht rechts und links.
Geht aus und ein,
Geht dem (oder der) N. N. zum Fenster hinein."

In Friedingen an der Donau hält man das Schcibenschlagen stets ans
einer Anhöhe, die das „Härtle" — .der kleine Hain — heißt. Jetzt herrscht
die Sitte des Scheibenschlagens noch in der Umgebung von Altdorf, Wolper-
schwende, Blitzreute, Baienfurt, Frohnhofen, ferner im Wiesenthal, bei Ravens-
burg, Tettnang, Leutkirch, Wangen und Waldsee. Die Scheiben trägt man
an einer Schnur und hat immer auch mehre Schleuderstöcke bereit. In der
Nachbarschaft ont Wangen schießt man auch während des Scheibenschleuderns.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/179>, abgerufen am 23.07.2024.