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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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klugen an der Donau herrschte, ein interessantes Seitenstück bildet.- Hier
mußte nämlich am Aschermittwoch der jüngste Bürger der Stadr d. h. der¬
jenige, welcher zuletzt Hochzeit gehalten, dreimal in den Marktbrunnen
springen. Alle Bürger begleiteten ihn vom Rathhause bis zur Stelle, er trug
weiße Hosen und eine rothe Weste. Ehe er hineinsprang, wurde das etwa
zehn Fuß tiefe Wasser umgerührt, so daß es recht wallte. Dann brachte der
Springer ein Vivat aus, worauf er seinen Sprung that. Sobald er wieder
emportauchte, reichte man ihm eine Stange, damit er wieder herauf kommen
konnte.

Dann sprang er auf dieselbe Weise noch zweimal hinab und brachte
jedes Mal ein Hoch aus; daS erste galt dem Liebchen, das zweite dem König,
das dritte gewöhnlich dem Magistrat. Den Beschluß machte ein Schmaus.
Jetzt ist das Brunnensprin^en bei Strafe verboten. Mit der rheinischen Weiber¬
fastnacht trifft die früher in Dombau übliche Sitte zusammen, nach welcher
dort am Aschermittwoch die Weiber Meister waren und jede Frau im Orte auf
Kosten der Gemeinde einen Schoppen Wein trinken durste. Auch dieser Brauch
ist schon geraume Zeit abgeschafft.

Auch in Weilheim bei Tübingen feierten ehedem die verheiratheten Frauen
um Fastnachten ein Fest, wobei sie in gewissem Grade die Stelle der Männer
einnahmen. Sie hatten nämlich das Recht, alle Jahre um die Zeit, wo man
die Eichen fällt und abschält, sich eine Eiche auszusuchen un" zu verkaufen,
das gelöste Geld aber zu vertrinken. Die einzige Bedingung war, daß sie den
Baum selbst umhauen mußten. Später wurde ihnen statt der Eiche eine runde
Summe Geldes gegeben, welche der Dorfschultheis auszahlen mußte. Es
gingen um die genannte Zeit drei bis vier Weiber zu ihm und sagten, indem
sie ihre Aerte zeigten: "Wir wollen unsre Eiche hauen." Darauf bekamen sie
das Geld und vertrauten es mit ihren Nachbarinnen auf dem Rathhause.
War der Wein so theuer, daß die Summe nicht ausreichte, so sammelte man
freiwillige Beiträge. Eine Frau, die diesem Trunke nicht beiwohnen konnte,
durfte sich ein halbes Maß ins Haus holen lassen; erschien sie jedoch, so konnte
sie trinken so viel sie mochte und vertragen konnte.

Von ganz besonderem Interesse für unsern Zweck ist endlich die seltsame
Ceremonie, welche im Rheingau Hallfeuer, in Oberschwaben, wo sie noch
in den letzten beiden Jahren an vielen Orten vorgenommen wurde, Funken-
feucr heißt und mit jenem ganz oben im äußersten deutschen Norden, auf
der Nordseeinsel Sitt üblichen Biikenbrennen große Ähnlichkeit hat. Der
erste Sonntag nach Fastnachten wird in dieser Gegend fast allgemein der weiße
Sonntag genannt, wobei zu bemerken ist, daß die weiße Farbe in der deutschen
Götter- und Gespensterwelt stets die Bedeutung des Lichten und Guten hat.
Andere nennen ihn auch wol den Funkentag oder den Scheibensonntag. An


klugen an der Donau herrschte, ein interessantes Seitenstück bildet.- Hier
mußte nämlich am Aschermittwoch der jüngste Bürger der Stadr d. h. der¬
jenige, welcher zuletzt Hochzeit gehalten, dreimal in den Marktbrunnen
springen. Alle Bürger begleiteten ihn vom Rathhause bis zur Stelle, er trug
weiße Hosen und eine rothe Weste. Ehe er hineinsprang, wurde das etwa
zehn Fuß tiefe Wasser umgerührt, so daß es recht wallte. Dann brachte der
Springer ein Vivat aus, worauf er seinen Sprung that. Sobald er wieder
emportauchte, reichte man ihm eine Stange, damit er wieder herauf kommen
konnte.

Dann sprang er auf dieselbe Weise noch zweimal hinab und brachte
jedes Mal ein Hoch aus; daS erste galt dem Liebchen, das zweite dem König,
das dritte gewöhnlich dem Magistrat. Den Beschluß machte ein Schmaus.
Jetzt ist das Brunnensprin^en bei Strafe verboten. Mit der rheinischen Weiber¬
fastnacht trifft die früher in Dombau übliche Sitte zusammen, nach welcher
dort am Aschermittwoch die Weiber Meister waren und jede Frau im Orte auf
Kosten der Gemeinde einen Schoppen Wein trinken durste. Auch dieser Brauch
ist schon geraume Zeit abgeschafft.

Auch in Weilheim bei Tübingen feierten ehedem die verheiratheten Frauen
um Fastnachten ein Fest, wobei sie in gewissem Grade die Stelle der Männer
einnahmen. Sie hatten nämlich das Recht, alle Jahre um die Zeit, wo man
die Eichen fällt und abschält, sich eine Eiche auszusuchen un» zu verkaufen,
das gelöste Geld aber zu vertrinken. Die einzige Bedingung war, daß sie den
Baum selbst umhauen mußten. Später wurde ihnen statt der Eiche eine runde
Summe Geldes gegeben, welche der Dorfschultheis auszahlen mußte. Es
gingen um die genannte Zeit drei bis vier Weiber zu ihm und sagten, indem
sie ihre Aerte zeigten: „Wir wollen unsre Eiche hauen." Darauf bekamen sie
das Geld und vertrauten es mit ihren Nachbarinnen auf dem Rathhause.
War der Wein so theuer, daß die Summe nicht ausreichte, so sammelte man
freiwillige Beiträge. Eine Frau, die diesem Trunke nicht beiwohnen konnte,
durfte sich ein halbes Maß ins Haus holen lassen; erschien sie jedoch, so konnte
sie trinken so viel sie mochte und vertragen konnte.

Von ganz besonderem Interesse für unsern Zweck ist endlich die seltsame
Ceremonie, welche im Rheingau Hallfeuer, in Oberschwaben, wo sie noch
in den letzten beiden Jahren an vielen Orten vorgenommen wurde, Funken-
feucr heißt und mit jenem ganz oben im äußersten deutschen Norden, auf
der Nordseeinsel Sitt üblichen Biikenbrennen große Ähnlichkeit hat. Der
erste Sonntag nach Fastnachten wird in dieser Gegend fast allgemein der weiße
Sonntag genannt, wobei zu bemerken ist, daß die weiße Farbe in der deutschen
Götter- und Gespensterwelt stets die Bedeutung des Lichten und Guten hat.
Andere nennen ihn auch wol den Funkentag oder den Scheibensonntag. An


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[0178] klugen an der Donau herrschte, ein interessantes Seitenstück bildet.- Hier mußte nämlich am Aschermittwoch der jüngste Bürger der Stadr d. h. der¬ jenige, welcher zuletzt Hochzeit gehalten, dreimal in den Marktbrunnen springen. Alle Bürger begleiteten ihn vom Rathhause bis zur Stelle, er trug weiße Hosen und eine rothe Weste. Ehe er hineinsprang, wurde das etwa zehn Fuß tiefe Wasser umgerührt, so daß es recht wallte. Dann brachte der Springer ein Vivat aus, worauf er seinen Sprung that. Sobald er wieder emportauchte, reichte man ihm eine Stange, damit er wieder herauf kommen konnte. Dann sprang er auf dieselbe Weise noch zweimal hinab und brachte jedes Mal ein Hoch aus; daS erste galt dem Liebchen, das zweite dem König, das dritte gewöhnlich dem Magistrat. Den Beschluß machte ein Schmaus. Jetzt ist das Brunnensprin^en bei Strafe verboten. Mit der rheinischen Weiber¬ fastnacht trifft die früher in Dombau übliche Sitte zusammen, nach welcher dort am Aschermittwoch die Weiber Meister waren und jede Frau im Orte auf Kosten der Gemeinde einen Schoppen Wein trinken durste. Auch dieser Brauch ist schon geraume Zeit abgeschafft. Auch in Weilheim bei Tübingen feierten ehedem die verheiratheten Frauen um Fastnachten ein Fest, wobei sie in gewissem Grade die Stelle der Männer einnahmen. Sie hatten nämlich das Recht, alle Jahre um die Zeit, wo man die Eichen fällt und abschält, sich eine Eiche auszusuchen un» zu verkaufen, das gelöste Geld aber zu vertrinken. Die einzige Bedingung war, daß sie den Baum selbst umhauen mußten. Später wurde ihnen statt der Eiche eine runde Summe Geldes gegeben, welche der Dorfschultheis auszahlen mußte. Es gingen um die genannte Zeit drei bis vier Weiber zu ihm und sagten, indem sie ihre Aerte zeigten: „Wir wollen unsre Eiche hauen." Darauf bekamen sie das Geld und vertrauten es mit ihren Nachbarinnen auf dem Rathhause. War der Wein so theuer, daß die Summe nicht ausreichte, so sammelte man freiwillige Beiträge. Eine Frau, die diesem Trunke nicht beiwohnen konnte, durfte sich ein halbes Maß ins Haus holen lassen; erschien sie jedoch, so konnte sie trinken so viel sie mochte und vertragen konnte. Von ganz besonderem Interesse für unsern Zweck ist endlich die seltsame Ceremonie, welche im Rheingau Hallfeuer, in Oberschwaben, wo sie noch in den letzten beiden Jahren an vielen Orten vorgenommen wurde, Funken- feucr heißt und mit jenem ganz oben im äußersten deutschen Norden, auf der Nordseeinsel Sitt üblichen Biikenbrennen große Ähnlichkeit hat. Der erste Sonntag nach Fastnachten wird in dieser Gegend fast allgemein der weiße Sonntag genannt, wobei zu bemerken ist, daß die weiße Farbe in der deutschen Götter- und Gespensterwelt stets die Bedeutung des Lichten und Guten hat. Andere nennen ihn auch wol den Funkentag oder den Scheibensonntag. An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/178>, abgerufen am 23.07.2024.