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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Sprache rede der Geist der Natur bei seinen Erwägungen mit sich selbst,
und die Erfindungen der Uhren, . des Pulvers und des Vüchcrdrucks mit
Enthusiasmus preist. ' Je mehr Nachsicht und Theilnahme aber Joseph Scaliger
den so unendlich tief unter ihm stehenden deutschen Gelehrten bewies, desto
mehr mußte es ihn schmerzen, daß er in seinen letzten Jahren die rohesten und
schändlichsten Angriffe grade von Deutschland erfuhr. Seine frühere Vorliebe
verwandelte sich in Abneigung, aus der Aeußerungen hervorgingen, wie folgende:
"Heutzutage sind die Deutschen sehr dumm und umgekehrt. Sie küimnern sich
nicht, welchen Wein sie trinken, wenn es nur Wein ist, noch welches Latein
sie sprechen, wenn eS nur Latein ist."

Jene Angriffe waren eine Folge von Scaligcrs Kampf gegen den Jesui¬
tenorden, der überhaupt am meisten beigetragen hat, das Urtheil der Mitwelt
und Nachwelt über ihn zu verwirren. Bis jetzt hatte der Orden sich noch in
keiner andern Weise mit dem Stolz der neuen Zeit, der classischen Philologie,
geschmückt, als indem er Philologen wie Muret und Lipsius zu sich herüber¬
zog, von dem der letztere seine Schriften der Censur der Väter unterwarf. Nun
erkannte man aber, daß man nicht länger die Gegner im Alleinbesitz des philo¬
logischen Ruhms lassen dürfe, und jüngere Ordensglieder, wie Sirmond und
Petavius mußten "ach Auszeichnung in diesen bisher vernachlässigten Fächern
strebe": wenn sie auch noch nicht sogleich gegen die beiden hugenottischen Phi¬
lologen Casaubonus und Scaliger ins Feld geführt werden konnten. Den
Anlaß zum Angriff auf Scaliger bot erst die zweite Bearbeitung, die er von
seine", Werk als "zmknclatioiis temporum 1598 erscheinen ließ, und die einige
auf kirchliche Urkunden bezügliche kritische Behauptungen enthielt, die jetzt
niemand mehr bezweifelt, die aber in jener Zeit angreifbar erschienen. Es
handelte sich hier hauptsächlich um eine Schriftensammlung, die angeblich von
Dionysius, dem Mitgliede des athenischen Areopags herrühren sollte, der aus
Paulus Predigt vom unbekannten Gotte gläubig geworden: sie war geschmiedet,
um die hierarchische Verfassung mit der Autorität des apostolischen Alterthums
zu bekleiden. Scaliger gab einen speciellen Beweis ihrer Unechtheit und
nannte den Fälscher in seiner lebhaften Weise "einen Affen". Nun wurde
in den leitenden jesuitischen Kreisen das Signal zum Angriff gegeben, und eS
erfolgte eine Reihe von Schmähschriften voll der gehässigsten Persönlichkeiten;
und da Scaligers Sittenreinheit über Verleumdung erhaben war, wurde
mit wahrhaft jesuitischer Bosheit seine Abstammung von dem veroncsischen
Fürstenhause della Scala in Zweifel gezogen: die Väter wußten sehr wohl,
wieviel Scaliger auf diese hielt. Allen Ertract des giftigsten und tobendsten
Schnupfens enthielt der neunhundertseitige Quartband deS deutschen Gaspar
Schoppe (Scioppius), damals in Rom: "Der untergeschobene Scaliger," dessen
Ton und Inhalt abwechselnd Lachen und Entsetzen erregt. Der Verfasser


Sprache rede der Geist der Natur bei seinen Erwägungen mit sich selbst,
und die Erfindungen der Uhren, . des Pulvers und des Vüchcrdrucks mit
Enthusiasmus preist. ' Je mehr Nachsicht und Theilnahme aber Joseph Scaliger
den so unendlich tief unter ihm stehenden deutschen Gelehrten bewies, desto
mehr mußte es ihn schmerzen, daß er in seinen letzten Jahren die rohesten und
schändlichsten Angriffe grade von Deutschland erfuhr. Seine frühere Vorliebe
verwandelte sich in Abneigung, aus der Aeußerungen hervorgingen, wie folgende:
„Heutzutage sind die Deutschen sehr dumm und umgekehrt. Sie küimnern sich
nicht, welchen Wein sie trinken, wenn es nur Wein ist, noch welches Latein
sie sprechen, wenn eS nur Latein ist."

Jene Angriffe waren eine Folge von Scaligcrs Kampf gegen den Jesui¬
tenorden, der überhaupt am meisten beigetragen hat, das Urtheil der Mitwelt
und Nachwelt über ihn zu verwirren. Bis jetzt hatte der Orden sich noch in
keiner andern Weise mit dem Stolz der neuen Zeit, der classischen Philologie,
geschmückt, als indem er Philologen wie Muret und Lipsius zu sich herüber¬
zog, von dem der letztere seine Schriften der Censur der Väter unterwarf. Nun
erkannte man aber, daß man nicht länger die Gegner im Alleinbesitz des philo¬
logischen Ruhms lassen dürfe, und jüngere Ordensglieder, wie Sirmond und
Petavius mußten »ach Auszeichnung in diesen bisher vernachlässigten Fächern
strebe»: wenn sie auch noch nicht sogleich gegen die beiden hugenottischen Phi¬
lologen Casaubonus und Scaliger ins Feld geführt werden konnten. Den
Anlaß zum Angriff auf Scaliger bot erst die zweite Bearbeitung, die er von
seine», Werk als «zmknclatioiis temporum 1598 erscheinen ließ, und die einige
auf kirchliche Urkunden bezügliche kritische Behauptungen enthielt, die jetzt
niemand mehr bezweifelt, die aber in jener Zeit angreifbar erschienen. Es
handelte sich hier hauptsächlich um eine Schriftensammlung, die angeblich von
Dionysius, dem Mitgliede des athenischen Areopags herrühren sollte, der aus
Paulus Predigt vom unbekannten Gotte gläubig geworden: sie war geschmiedet,
um die hierarchische Verfassung mit der Autorität des apostolischen Alterthums
zu bekleiden. Scaliger gab einen speciellen Beweis ihrer Unechtheit und
nannte den Fälscher in seiner lebhaften Weise „einen Affen". Nun wurde
in den leitenden jesuitischen Kreisen das Signal zum Angriff gegeben, und eS
erfolgte eine Reihe von Schmähschriften voll der gehässigsten Persönlichkeiten;
und da Scaligers Sittenreinheit über Verleumdung erhaben war, wurde
mit wahrhaft jesuitischer Bosheit seine Abstammung von dem veroncsischen
Fürstenhause della Scala in Zweifel gezogen: die Väter wußten sehr wohl,
wieviel Scaliger auf diese hielt. Allen Ertract des giftigsten und tobendsten
Schnupfens enthielt der neunhundertseitige Quartband deS deutschen Gaspar
Schoppe (Scioppius), damals in Rom: „Der untergeschobene Scaliger," dessen
Ton und Inhalt abwechselnd Lachen und Entsetzen erregt. Der Verfasser


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[0141] Sprache rede der Geist der Natur bei seinen Erwägungen mit sich selbst, und die Erfindungen der Uhren, . des Pulvers und des Vüchcrdrucks mit Enthusiasmus preist. ' Je mehr Nachsicht und Theilnahme aber Joseph Scaliger den so unendlich tief unter ihm stehenden deutschen Gelehrten bewies, desto mehr mußte es ihn schmerzen, daß er in seinen letzten Jahren die rohesten und schändlichsten Angriffe grade von Deutschland erfuhr. Seine frühere Vorliebe verwandelte sich in Abneigung, aus der Aeußerungen hervorgingen, wie folgende: „Heutzutage sind die Deutschen sehr dumm und umgekehrt. Sie küimnern sich nicht, welchen Wein sie trinken, wenn es nur Wein ist, noch welches Latein sie sprechen, wenn eS nur Latein ist." Jene Angriffe waren eine Folge von Scaligcrs Kampf gegen den Jesui¬ tenorden, der überhaupt am meisten beigetragen hat, das Urtheil der Mitwelt und Nachwelt über ihn zu verwirren. Bis jetzt hatte der Orden sich noch in keiner andern Weise mit dem Stolz der neuen Zeit, der classischen Philologie, geschmückt, als indem er Philologen wie Muret und Lipsius zu sich herüber¬ zog, von dem der letztere seine Schriften der Censur der Väter unterwarf. Nun erkannte man aber, daß man nicht länger die Gegner im Alleinbesitz des philo¬ logischen Ruhms lassen dürfe, und jüngere Ordensglieder, wie Sirmond und Petavius mußten »ach Auszeichnung in diesen bisher vernachlässigten Fächern strebe»: wenn sie auch noch nicht sogleich gegen die beiden hugenottischen Phi¬ lologen Casaubonus und Scaliger ins Feld geführt werden konnten. Den Anlaß zum Angriff auf Scaliger bot erst die zweite Bearbeitung, die er von seine», Werk als «zmknclatioiis temporum 1598 erscheinen ließ, und die einige auf kirchliche Urkunden bezügliche kritische Behauptungen enthielt, die jetzt niemand mehr bezweifelt, die aber in jener Zeit angreifbar erschienen. Es handelte sich hier hauptsächlich um eine Schriftensammlung, die angeblich von Dionysius, dem Mitgliede des athenischen Areopags herrühren sollte, der aus Paulus Predigt vom unbekannten Gotte gläubig geworden: sie war geschmiedet, um die hierarchische Verfassung mit der Autorität des apostolischen Alterthums zu bekleiden. Scaliger gab einen speciellen Beweis ihrer Unechtheit und nannte den Fälscher in seiner lebhaften Weise „einen Affen". Nun wurde in den leitenden jesuitischen Kreisen das Signal zum Angriff gegeben, und eS erfolgte eine Reihe von Schmähschriften voll der gehässigsten Persönlichkeiten; und da Scaligers Sittenreinheit über Verleumdung erhaben war, wurde mit wahrhaft jesuitischer Bosheit seine Abstammung von dem veroncsischen Fürstenhause della Scala in Zweifel gezogen: die Väter wußten sehr wohl, wieviel Scaliger auf diese hielt. Allen Ertract des giftigsten und tobendsten Schnupfens enthielt der neunhundertseitige Quartband deS deutschen Gaspar Schoppe (Scioppius), damals in Rom: „Der untergeschobene Scaliger," dessen Ton und Inhalt abwechselnd Lachen und Entsetzen erregt. Der Verfasser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/141>, abgerufen am 23.07.2024.