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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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spricht es unverholen aus, daß seine Absicht sei, Scaliger schon in diesem
Leben ein Vorgefühl der ewigen Verdammniß zu geben, die seiner in jenem
harre, und zu bewirken, daß seine grauen Haare mit Gram in die Grube
fahren. Dem Buch ist eine ausführlich motivirte Bejahung der Frage einver¬
leibt: ob Tödtung der Ketzer geboten sei, und es ist dem spätern Kaiser
Ferdinand it. gewidmet, als von welchem man am ersten die praktische Be¬
folgung dieses Gebots erwarten konnte. Trotz Scaligers Widerlegung erreichten
die Jesuiten durch diese Schrift ohne Zweifel den Zweck, .seine Prätentionen
auf alten Adel lächerlich erscheinen zu lassen, und damit war wenigstens bei
dem französischen Publicum gewiß viel gewonnen: die Taktik, den Streit von
einem wissenschaftlichen Gebiet auf ein persönliches hinüberzuziehen, hatte sich
auch hier bewährt. Daß Scaliger innerlich sehr tief von diesen Angriffen be¬
rührt worden, ist kaum zu glauben, sein Selbstgefühl war ein zu sicheres. Die
ganz antike Naivetät, mit der er schon früher (1394) von sich gesprochen hatte,
ist zu merkwürdig, um nicht einiges aus dieser Selbstschilderung mitzutheilen:
"Königen, Fürsten und Großen bin ich bekannt. Ich bin weitgenannt und
hochberühmt. Den Wissenschaften bin ich mit wahrer Liebe ergeben. Von
jeder Ehrsucht und jedem Neide bin ich fern. Die Lüge hasse ich ebensosehr
von Natur als durch die Anweisung meines Vaters tödtlich. Der Neid mag
bersten! Ich kann mir selbst nicht unähnlich sein. Alle meine Feinde haben
bisher die Tugend, nicht Fehler an mir angegriffen. Kann irgendein Glück
diesem gleich sein?"

Ruhig fuhr Scaliger fort, sich mit seinem Hauptwerk, dem tksgaurus wm-
porum zu beschäftigen. Er hatte die Chronologie der alten Völker als einen
festen Niederschlag ihrer Geschichte erkannt; die Rechnung nach Olympiaden,
nach Consuln, die andern Aaren sind aus der lebendigen Mannigfaltigkeit
der Ereignisse hervorgegangen, keine todte Zahlenreihe. Scaliger legte seinem
Werk die lateinische Uebersetzung der eusebianischeu Chronik von Hieronymus
zu Grnnde; aber das erste Buch mit Auszügen griechischer Schriftsteller über
orientalische Geschichte, fehlte ganz, und das Uebrige war doch nur. in einer
Umformung durch eine zweite Hand zugänglich. Scaliger stellte sich die Auf¬
gabe einer Ergänzung des Fehlenden und keiner Rückübertragung in die Ur-
gestalt, also einer völligen Herstellung. Zu jener Ergänzung fehlte eS aber
an sicheren Quellen; doch kam Scaliger der Schrift eines Mönchs (Shnullus)
vus die Spur, die einen großen Theil des Eusebius enthält. Mit dem selte¬
nen Spürtalent vereinigte sich ein ebenso seltenes Finderglück: Casaubonus
entdeckte 1603 auf der pariser Bibliothek ein griechisches Manuscript, das eben¬
falls eine von den Quellen des Eusebius enthielt. "Die übermäßige Freude,"
schreibt Scaliger auf diese Nachricht, "habe ihn fast wie einen Narren sich ge-
berden lassen, er sei eine geraume Weile im Zimmer umhergesprungen." Er


spricht es unverholen aus, daß seine Absicht sei, Scaliger schon in diesem
Leben ein Vorgefühl der ewigen Verdammniß zu geben, die seiner in jenem
harre, und zu bewirken, daß seine grauen Haare mit Gram in die Grube
fahren. Dem Buch ist eine ausführlich motivirte Bejahung der Frage einver¬
leibt: ob Tödtung der Ketzer geboten sei, und es ist dem spätern Kaiser
Ferdinand it. gewidmet, als von welchem man am ersten die praktische Be¬
folgung dieses Gebots erwarten konnte. Trotz Scaligers Widerlegung erreichten
die Jesuiten durch diese Schrift ohne Zweifel den Zweck, .seine Prätentionen
auf alten Adel lächerlich erscheinen zu lassen, und damit war wenigstens bei
dem französischen Publicum gewiß viel gewonnen: die Taktik, den Streit von
einem wissenschaftlichen Gebiet auf ein persönliches hinüberzuziehen, hatte sich
auch hier bewährt. Daß Scaliger innerlich sehr tief von diesen Angriffen be¬
rührt worden, ist kaum zu glauben, sein Selbstgefühl war ein zu sicheres. Die
ganz antike Naivetät, mit der er schon früher (1394) von sich gesprochen hatte,
ist zu merkwürdig, um nicht einiges aus dieser Selbstschilderung mitzutheilen:
„Königen, Fürsten und Großen bin ich bekannt. Ich bin weitgenannt und
hochberühmt. Den Wissenschaften bin ich mit wahrer Liebe ergeben. Von
jeder Ehrsucht und jedem Neide bin ich fern. Die Lüge hasse ich ebensosehr
von Natur als durch die Anweisung meines Vaters tödtlich. Der Neid mag
bersten! Ich kann mir selbst nicht unähnlich sein. Alle meine Feinde haben
bisher die Tugend, nicht Fehler an mir angegriffen. Kann irgendein Glück
diesem gleich sein?"

Ruhig fuhr Scaliger fort, sich mit seinem Hauptwerk, dem tksgaurus wm-
porum zu beschäftigen. Er hatte die Chronologie der alten Völker als einen
festen Niederschlag ihrer Geschichte erkannt; die Rechnung nach Olympiaden,
nach Consuln, die andern Aaren sind aus der lebendigen Mannigfaltigkeit
der Ereignisse hervorgegangen, keine todte Zahlenreihe. Scaliger legte seinem
Werk die lateinische Uebersetzung der eusebianischeu Chronik von Hieronymus
zu Grnnde; aber das erste Buch mit Auszügen griechischer Schriftsteller über
orientalische Geschichte, fehlte ganz, und das Uebrige war doch nur. in einer
Umformung durch eine zweite Hand zugänglich. Scaliger stellte sich die Auf¬
gabe einer Ergänzung des Fehlenden und keiner Rückübertragung in die Ur-
gestalt, also einer völligen Herstellung. Zu jener Ergänzung fehlte eS aber
an sicheren Quellen; doch kam Scaliger der Schrift eines Mönchs (Shnullus)
vus die Spur, die einen großen Theil des Eusebius enthält. Mit dem selte¬
nen Spürtalent vereinigte sich ein ebenso seltenes Finderglück: Casaubonus
entdeckte 1603 auf der pariser Bibliothek ein griechisches Manuscript, das eben¬
falls eine von den Quellen des Eusebius enthielt. „Die übermäßige Freude,"
schreibt Scaliger auf diese Nachricht, „habe ihn fast wie einen Narren sich ge-
berden lassen, er sei eine geraume Weile im Zimmer umhergesprungen." Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/142>, abgerufen am 25.08.2024.